In diesem Fall bist du die Gute und ich die Böse

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"Schätzchen, Liebes. Alles okay?" Ruft Cordelia von oben. Als ich nicht erwiedere, kommt sie zu mir. Ich schüttel den benommen Kopf. Außer meinen rötlichen Augen verrät nichts, dass ich geweint habe. Selbst mein Gesichtsausdruck nicht. Er ist kalt. Alle Emotionen habe ich auch meinem Gesicht verbannt.
"Er ist tot." Sage ich leise. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob sie mich gehört hat. Sie sagt nichts. Ich sehe nur wie ihr eine Träne die Wange hinunterrollt. Stumm. Still. Totenstill.
"Ich rufe einen Bestattungsservice..." Sagt sie und will schon in die VR, als ich sie zurückhalte.
"Nicht." Sage ich und meine Stimme klingt brüchig. "Begrab ihn im Garten. Er hätte es so gewollt." Ich zittere. Mir ist kalt. Sie geht zu mir und umarmt mich.
"Okay."Flüstert sie in mein Haar. Langsam, sanft schiebe ich sie von mir. Meine Hände liegen außen an ihren Schultern. Ein leichter Druck liegt auf ihnen.
"Cordelia." Sage ich hart. Sie nickt.
"Pass auf. Heute verlierst du nicht nur Thomas, sondern auch mich." sie nickt wieder.
"Pass auf Symon auf. Er ist das Letzte, was ich habe. Halte dich von VR fern. Im Wald habe ich Waffen versteckt. In schlechten Zeiten kannst du sie auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Und vergesst mich nicht. Vor allem Simmey darf mich nicht vergessen." Sie weint.
"Alles Verstanden?" Frage ich sie.
"Ja." Schluchzt sie. Ich reiche ihr ein Taschentuch.
6:03.
"In weniger als einer Stunde werde ich nicht mehr da sein. Weg. Verstehst du?" Sie nickt abermals.
"Dann siehst du mich vielleicht nie wieder. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich fort gehe, aber was auch immer es ist, ihr müsst am Leben bleiben. Falls ich es auf die Uni schaffe, versorge ich euch mit Geld. Und wenn nicht, bin Ich wahrscheinlich tot. Ich gehe jetzt duschen. Falls es etwas gibt, was du mir mitgeben willst, leg es tief in meine Tasche hinein, okay?" Frage ich sie.
"Okay." Sagt Sie.
"Gut. Na dann." Sage ich gedehnt und beiße mir auf die Lippe. Dann quetsche ich mich an ihr vorbei und trete in die Dusche.

Das warme Wasser prasselt auf mich herab. Ich nutze die Zeit um meine Gedanken zu ordnen. 6:44. Es wird langsam Zeit. Ich schlüpfe aus der Dusche und trockne mich schnell ab. Dann streife ich frische Klamotten über. Als ich in die Küche gehe, steht dort meine Tasche. Ich nehme sie auf die Schulter und gehe zum Korridor, wo ich meine abgeranzten Wildlederstiefel anziehe. Dann greife ich zum Kleiderhaken und nehme mir die alte, braune Lederjacke meines Vaters. Sie ist wärmer als meine und er wird sie jetzt nicht mehr brauchen. Somit nehme ich auch etwas von zu Hause mit. Etwas von Dad. Aber auch etwas vom Tod. Der Rest meiner Familie steht an meiner Tür. Simon, Jeyla und Cordelia. 6:52. Zeit sich zu verabschieden.
"Ich werde bald gehen." Sage ich mit angespannter Stimme und durchbreche somit die Stille. Die Spannung in der Luft ist so stark zu spüren, dass man sie in Stücke schneiden könnte. Simon rennt stürmisch auf mich zu und schließt seine Arme um mich.
"Ich liebe dich, Jenna." Sagt er und seine Augen werden wässrig.
"Shhh. Nicht weinen. Alles wird gut." Ich gebe ihm leere Versprechen, während ich ihm über den Kopf streiche.
"Versprich, dass du wiederkommst." Fordert er.
"Ich verspreche es." Noch ein leeres Versprechen. Dann lässt er mich los. 6:54. Dann kommt Cordelia zu mir. Stumm schließt sie die Arme um mich.
"Pass auf ihn auf. Vergiss nicht, was ich gesagt habe." Flüstere ich lautlos in ihr Ohr. Meine Stimme ist emotionslos. Kalt. Sie nickt kaum merklich. Weint vor sich hin. Als sie sich von mir löst, lacht sie leicht.
"Jetzt hab ich dein Shirt ruiniert. Das tut mir leid." Sie reibt verzweifelt auf meiner Brust herum.
"Macht nichts." Ich wage den Versuch zu lächeln. 6:57. Dann kommt Jeyla auf mich zu. Jedoch bleibt sie vor mir stehen. Schafft Abstand zwischen uns.
"Weißt du Jenna, ich mochte dich noch nie. Du warst immer die bessere von uns. Wurdest mehr geliebt, sahst besser aus. Ich hasse dich. So sehr. Aber dich hier und jetzt gehen zu lassen, fällt mir trotzdem schwer. Weißt du, du warst meine bessere Hälfte. Und wenn du gehst, geht auch ein Teil von mir. Wir gehörten zusammen. Wie gut und böse. Und weißt du, was mir klar geworden ist?" Ich schüttel den Kopf. 6:59.
"In diesem Fall bist du die Gute und ich die Böse. Das Leben bestraft uns. Karma." Nun rollt auch ihr eine Träne hinunter. Sie wischt sie weg.
"Du bist nicht die Böse. Virreal..." 7:00. Es wird gegen unsere Tür geklopft.
"Zeit zu gehen, Schwester." Sagt Jeyla und zieht mich nun auch in eine innige Umarmung.
"Zeit zu gehen." Sie öffnet die Tür und zwei muskelbepackte Männer ziehen mich in einen Gleiter. Weg von ihr. Weg von Symon. Weg von meiner Familie.

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