Blaubeeren

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"Nimm so ein Brötchen. Die sind echt lecker." Sagt der Junge und hält mir ein helles Brötchen hin, in welchem sich viele bunte Stückchen befinden.
"Was ist da drin?" Frage ich den Jungen und betrachte ihn genauer. Am Auffälligsten sind seine Haare, welche einen Farbverlauf von grün über blau zu lila zeigen und dabei silbrig glänzen. Fasziniert betrachte ich den Schimmer. Seine Haare sind zu einem Undercut frisiert und sind leicht wellig.
"Fruchtstückchen. Probier mal." Ich nehme das Brötchen dankend an und schaue den Jungen weiterhin an. Seine Haut ist nicht hell und auch nicht dunkel, seine Zähne sind beim Lächeln strahlend weiß.
Er nimmt ein weiteres Brötchen und teilt es in zwei Hälften. Eine streckt er mir hin, die andere stopft er sich selbst in den Mund.
"Falls du denkst, ich will dich vergiften." Lacht er mit vollem Mund.
"Nein, nein. Warte, ich koste mal." Sage ich und lege mir ein Stückchen Brot in den Mund.
Der Junge schaut mich erwartungsvoll an.
"Das ist unglaublich!" Nuschle ich mit vollem Mund.
"Unglaublich gut, nicht wahr?" Ich nicke eifrig.
"Sag mal..." Eine peinliche Stille tritt ein, als mir auffällt, dass ich seinen Namen nicht kenne.
"Nakes. Ich heiße Nakes. Sorry fürs späte Vorstellen." Er grinst schief und ich muss zugeben, dass er in diesem Moment ziemlich attraktiv aussieht. So lässig an die Wand gelehnt, mit diesem Lächeln... Ich schweife ab.
"Sag mal, Nakes. Was hier ist noch empfehlenswert?" Frage ich neuguerig. Sollte ich mir auch so eine Suppe holen?
"Das Fitnesscenter ist fantastisch und die Bibliothek, die solltest du dir echt mal angucken." Erzählt er voller Enthusiasmus.
"Das meine ich nicht. Ich meine das hier." Ich deute mit ausschweifender Geste auf das Buffett. "Was sollte ich noch nehmen?" Er lacht ein warmes Lachen.
"Am Besten alles. Aber fang erstmal hiermit an."

"Und du bist dir sicher, dass man das hier wirklich essen kann?" Frage ich Nakes und stupse mit meiner Gabel das glibbrige Etwas auf meinem Teller an.
"Ja. Warum sollte etwas gut schmecken, obwohl es nicht zum Essen gedacht ist?" Da hat er Recht. Ich löse mit dem Besteck ein Stückchen der blauen Masse von Rest.
"Was ist das überhaupt?" Frage ich Nakes und greife zum Löffel. Mit der Gabel wird eas doch nie was!
"Götterspeise." Antwortet er und trinkt sein Glas Tarchun aus. Ich beobachte ihn dabei konzentriert, wie mie leider etwas zu spät auffällt, als mir die Götterspeise vom Löffel auf meine Hose schwabbelt.
"Tja. Aber ich esse sie kein bisschen göttlich." Scherze ich um diese verkorkste Situation ein wenig zu kaschieren. Dann nehme ich mir eine Servierte und reibe auf dem Fleck herum.
"Wir sind ja auch Menschen. Und wer glaubt schon an diesen Götterkram?Selbst die Wassisten glauben doch nicht wirklich daran. Die sind doch einfach nur zu faul sich ein Virreal einpflanzen zu lassen!" Er schüttelt seinen Kopf und seine Haare verwuscheln dabei. Ich kratze mir peinlich berührt den Hinterkopf.
"Ist was?" Fragt Nakes besorgt.
"Nun ja. Ich bin ein Fehler." Grinse ich schief.
"Jetzt verstehe ich das. Ich rede darüber, dass Religion ausgedachter Shitz ist und du bist ein Fehler." Er entblößt seine weißen Zähne, als er grinst.
"Nein, nein. Ich bin keine Verweigerin aus religiösen Gründen.Ich glaube nicht an Götter oder ähnliches." Antworte ich und gehe bewusst nicht weiter darauf ein. "Was ich jedoch sagen kann, ist, dass diese Götterspeise himmlisch schmeckt."
"Hab ich dir doch von Anfang gesagt!" Seine Augen glitzern golden, oder bilde ich mir das ein?
"Obwohl der Blaubeergeschmack ziemlich künstlich ist." Kritisiere ich das Dessert. "Frisch gepflückt schmecken Blaubeeren am Besten." Schwärme ich und verfalle in Heimweh und mehrere Erinnerungen kommen in mir hoch.
Damals waren mein Vater und ich öfter zusammen Beeren, Pilze, Gemüse und Früchte sammeln. Er hatte mir damals immer gezeigt, wass essbar war, und was nicht.

"Jenna, spuck aus! Nicht essen!" Rief er entsetzt und schüttelte sie kräftig an ihren kleinen, zarten Schultern. Sie spuckte aus.
"Ausspülen, Kleines." Sagte er nun ruhiger und reichte seinem kleinen Mädchen eine geöffnete Flasche. "Und jetzt ausspucken." Sagt er erschöpft und streicht seiner Tochter über den Rücken. Doch sie spuckt nicht. Er klopft ihr auf den Rücken.
"Ausspucken, Kleines. Die Beeren sind giftig." Nun spuckt sie endlich aus. Er wischt sich den kalten Schweiß von der Stirn.
"Baaahhh." Sie streckt die Zunge raus. Blau vom Beerengift.
"Spül nochmal aus." Sagt er besorgt und reicht ihr ein weiteres Mal die Flasche mit brauner Lederummantellung.
"Bahh." Wiederholt Jenna nochmal und schüttelt angewidert ihren kleinen Kopf. "Dad, das waren keine guten Beeren."
"Nein, das waren ganz böse Beeren, Kleines. Hör mal, die darfst du nicht essen." Er streichelt sie. "Hier hast du ein paar gute Beeren." Sagt er und pflückt welche von einem Strauch in der Nähe. Dann nimmt er ihre Hand, die zu einer Faust geformt ist und öffnet langsam ihre Finger. Dann legt er ihr einige blaue kugelförmige Beeren auf ihre Handfläche. Zögerlich legt Jenna sie sich in den Mund. "Brombeere?" Fragt sie ihren Vater nachdenklich. Nein, das konnte nicht sein. So einen Geschmack hatte sie noch nie in ihrem Mund geschmeckt. Dies war neu.Intensive Süße und doch mit einem sauren Unterton. Und diese Optik ist anders. Blau. Reines Blau, ohne Unterton von lila oder rot. Diese blauen Beeren sind besser als Brombeeren. Noch nie hattedie kleine Jenna so etwas wunderbares geschmeckt.
"Blaubeere." Sagt ihr Vater träumerisch. Jenna lacht.
"Kleines, das sind die Momente, die in Errinerung bleiben. Glaub mir, diese Blaubeeren sind ein Symbol. Vergiss das nicht. Diese Blaubeeren gehören nur uns. Genauso, wie dieser vergängliche Augenblick." Jenna kuschelt sich an ihren Vater. Mit dem Geschmack der Blaubeere im Mund, verfällt sie wieder in ihr Tagträumen und hofft, dieser Moment würde nie zu Ende gehen.

"Frisch gepflückt? Ich dachte du kommst aus Forres?" Erwidert Nakes überascht.
"Komme ich doch auch. " sage ich und mir fällt auf, dass ich gerade dabei bin mich zu verraten.
"Soweit ich weiß ist Forres kein Landschaftsdistrikt, oder ist das falsch?" Fragt er verwirrt.
"Nein, das stimmt. Mit 'frisch gepflückt' meine ich aus dem Supermarkt in der Frucht- und Beetenabteilung und nicht mit künstlichem Blaubeergeschmack." Versuche ich mich herauszureden. Ich hatte ja komplett vergessen, dass wir von Kameras beobachtet werden. Ich blicke mich nach einer um, um sie ihm zu zeigen, denn ich sehe, dsss er mir meine Notlüge nicht abkauft. Ich entdecke eine am Ventilator über uns und erst jetzt fällt mir auf, dass er sich viel zu langsam dreht. Unauffällig deute ich auf die schlecht versteckte Kamera. Nakes nickt unmerklich. Er weiß also Bescheid.
"Ich glaube für den Anfang reicht das. Den Rest kannst du morgen probieren." Wechselt er das Thema zurück zum Essen.
"Stimmt." Sage ich erleichtert.
"Brauchst du auch Servierten?" Fragt er mich und guckt mich mit seinen eisblauen Augen an. Ich nicke und er nimmt welche für micg mit.
Als wir zum ursprünglichen Tisch zurückkehren, ist es voll geworden. Es ist nur noch ein Platz frei. Als Stepan uns entdeckt, springt er auf.
"Ihr habt echt lange gebraucht." Während er das sagt, schaut er nur mich an. "Die reden immernoch irgendeinen langweiligen Chitz. Lass uns an den Tisch nebenan gehen, so verpassen wir nichts, und doch ist es ruhiger und wir haben mehr Platz." Mit diesen Worten nimmt er sein eigenes Tablett und legt es auf den anderen Tisch. Ich geselle mich zu ihm und Nakes folgt stumm. Während dem Essen reden Stepan und ich genauso, wie früher. Nakes hält sich raus, bis er plötzlich aufsteht.
"Hier sind deine Servierten. Das hatte ich schon fast vergessen." Sein Blick durchbohrt mich, als er mir meine Servierten reicht. "Wir sehn' uns." Dann dreht er sich um und geht. Stattdessen setzt sich Delilah neben mich und klinkt sich ein. Stepan und sie reden, während ich weiteresse. Ich hätte mir nicht so viel auftun sollen. Mein Vater hatte mir beigebracht das Essen zu schätzen und nichts wegzuwerfen.

'Nahrung ist wertvoll. Die Natur ist fair. Sie teilt mit dir, nimmst du jedoch zu viel, welkt sie. Nimm dir, aber nur das, was du auch wirklich brauchst.' 

Ich nehme mir eine Servierte und wickele das übriggebliebene Brötchen sorgfältig ein. Dann lege ich es mir in meine Tasche. Als Nächstes nehme ich mir den Apfel vor, aber ich bemerke nahezu sofort, dass diese Servierte anders ist. Sie ist bekritzelt. '5A14'. Ich verstehe, Nakes. Ich stecke den Apfel in die Tasche und mache mich auf den Weg zum Zimmer.

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