E I G H T

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E I G H T | Die nächsten Tage zogen sich schrecklich. Ich gehorchte dem Befehl des Jungen, nicht weil ich wollte, sondern weil mir mein Bein doch noch ziemlich am Herzen lag. Umso unerträglicher wurde es, da dieser Befehl der einzige Befehl blieb. Ich durfte nichts tun, nicht aufstehen, nicht gehen. Ich saß nur da, aß, was er mir gab, trank. Aufstehen durfte ich nur, wenn ich mal für kleine Mädchen musste.

Das unangenehmste daran war, dass er darauf bestand mich zu stützen und in meiner Nähe zu bleiben, was zur Folge hatte, dass ich mich schrecklich beobachtet fühlte und verdammt, das letzte was ich wollte, war, dass er mir zusah, wenn ich mich erleichtern musste.

Und obwohl er tat, was er tat, fühlte ich mich nicht sicher um ihn herum, auch nicht akzeptiert. Diese kühle Ausstrahlung, die er hatte, verfolgte ihn in jeder Sekunde, sie blieb, ich konnte mich einfach nicht entspannen. Es war offensichtlich, dass er nicht glücklich war mich um sich herum zu haben, erst recht jetzt, da ich gehandicapt war. Umso mehr fragte ich mich in diesen Tagen, wieso er mich nicht einfach mir selbst und somit dem Tod überließ. Das böse Gefühl, dass er etwas Schlimmes mit mir vorhatte, wurde von Tag zu Tag größer.

"Wie geht's dir heute?", fragte er mich mit desinteressiertem Unterton, als er von einem seiner Streifzüge des Morgens zurückkam und ich schon wach war. Ohne mich auch nur anzuschauen, setzte er sich gegenüber von mir hin und begann, seine Waffen mit Patronen nachzufüllen.

Die Kugel, die ich ihm in die Schulter gejagt hatte, schien ihm nie was ausgemacht zu haben. Jeder Mensch hätte Schwierigkeiten gehabt, danach seinen Arm zu bewegen und so hatte ich noch mehr Respekt vor ihm als zuvor, was ich ihm aber nicht zeigte. Er war kräftig und stark, das Wort Schmerz schien er wohl nicht mehr zu kennen und der einzige Weg ihn aufzuhalten, damit er mir nicht mehr folgte, wäre ihn zu töten, doch selbst das schien schier unmöglich. Außerdem könnte ich niemals einen Menschen umbringen, egal wie scheiße er zu mir war.

"Besser, denke ich.", murmelte ich leise und wendete meinen Blick ab. Ich wusste nicht, wie er reagierte, denn eine Antwort blieb aus und ich hatte nicht das Bedürfnis ihn anzugucken. Unsicher spielte ich stattdessen mit meinen Händen. Unter meinen abgebrochenen Nägeln saß der Dreck tief, meine Hände waren rau und von Schmutz und Ruß bedeckt. Ich hatte bis heute keine Möglichkeit gefunden mich zu waschen und würde meine Nase Gerüche noch wahrnehmen können, wusste ich, dass ich schrecklich riechen würde. Ich schämte mich.

Meine Wunde war inzwischen zugewachsen, doch mein Muskel war noch immer nicht belastungsfähig. Es würde eine ekelhafte Narbe geben, das wusste ich. Ich fühlte mich schwach und hilflos, ich war auf den Jungen gegenüber von mir angewiesen und das ließ meinen Scham nur größer werden. Er musste mich füttern, mich versorgen, musste ständig auf mich aufpassen. Ich fühlte mich wie ein Gelähmter und ich mochte das Gefühl nicht. Ich wusste endlich, was diese Menschen meinten, wenn sie sagten, sie wollten kein Mitleid. Würde dieser Typ hier mich auch noch bemitleiden, wäre ich völlig am Ende. 

Wäre diese Welt nicht zu meinem Alltag geworden, hätte ich geweint. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl hier. Seufzend legte ich den Kopf zurück gegen die Wand und trommelte mit meinen Fingern auf meinen Oberschenkel. Eigentlich sollte ich froh sein, dass er mich ignorierte und eigentlich sollte ich die Klappe halten, bevor wir uns wieder streiten würden, doch mir war so schrecklich langweilig, ich hatte einfach nichts zu tun.

"Wann darf ich eigentlich wieder laufen?", fragte ich schließlich, den Blick in den weiß bedeckten Himmel gerichtet. Sofort spürte ich seinen intensiven Blick auf mir, doch ich verdrängte das unangenehme Gefühl, das diese Augen immer in mir auslösten. 

"Erstmal gar nicht.", brummte er. Das Gefühl verschwand augenblicklich und ich wusste, dass er die Augen wieder auf seine Waffen gerichtet hatte. Meine Waffe hatte er mir zu meinem Überraschen nicht wieder weggenommen, sondern gemeint, ich müsste mich ja schützen können, wenn er unterwegs war und mich vielleicht doch einmal ein Monster finden würde.

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