E L E V E N

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E L E V E N | Die folgende Nacht verging recht zügig und ich schlief vergleichsweise tief. Erst, als ich am Morgen aufwachte, machte sich der übliche Hunger bemerkbar. Dies würde wohl mein größtes Problem werden, da mir der Junge nie gezeigt hatte, wo er das Brot holte oder machte. Ich war mir sicher, dass er es aus egoistischen Gründen nicht getan hatte.

Die Frage, woher ich essen bekommen würde, beanspruchte mein Gehirn am meisten. Ich hatte nicht wieder vor, Monsterfleisch zu essen. Ich wusste nicht, wie gut es war und der Junge hatte es bis jetzt auch noch nie getan, weswegen es wohl einen guten Grund haben musste, es nicht anzurühren. Wer wusste schon, ob mir von bestimmten Sorten vielleicht Hörner wachsen würden, oder ob meine Haut grün werden würde.

Seufzend trank ich ein wenig, um meinen Hunger ein kleines bisschen zu stillen und machte mich auf den Weg. Durch die Straßen marschierend hielt ich Ausschau nach etwas Auffälligem, doch der Tag verging und mein Erfolg blieb aus. Erst bei Anbruch der Sirene kletterte ich aufs nächstbeste Dach und ließ meine Gedanken schweifen.

Der Tag war trotz meinem Hunger ein guter gewesen. Nun, da ich tun und lassen konnte, was immer ich wollte, fühlte ich mich freier und besser. Ich musste mich nicht zurückhalten und konnte gehen, wohin ich gerade Lust hatte. Meine ersten Erfahrungen mit genügend Wissen und ohne ihn waren super gewesen. Ich fühlte mich einfach lebendiger, sogar sicherer und glücklicher. Niemals hätte ich gedacht, dass ich an diesem Ort lachen könnte, nachdem mir nach so langer Zeit ein heiseres Kichern entfuhr. Ich war frei! Und wer weiß, vielleicht saß der Junge ohne mich noch immer in seinem Lagerraum fest und kam nicht heraus. Der Gedanke befriedigte mich ungemein.

Mein Lachen war laut und glücklich, als ich zufrieden die Arme ausstreckte und es genoss frei von ihm zu sein. Mir war egal, ob mich die Monster hörten, ich war frei und es war das beste Gefühl, das ich seit langem gehabt hatte. Wie der glücklichste Mensch dieser Welt fühlte ich mich, als ich mich hinlegte und in einen friedlichen Schlaf rutschte.

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Ich wachte ausgeschlafen auf, jedoch nicht mehr ganz so glücklich wie am Abend zuvor. Der Hunger war stärker geworden. Natürlich wurde ich inzwischen durchgängig vom Hunger begleitet und ich konnte es ganz gut verdrängen, aber unangenehm war es trotzdem, jedenfalls dann, wenn man mehr Hunger bekam als sonst.

Seufzend hievte ich mich auf die Beine und machte mir einen kurzen Eindruck von der jetzigen Situation. Alles lag friedlich in der in der Luft hängenden Asche. Die Straßen waren leer, es war mucksmäuschenstill. Kurz rieb ich mir meinen leise vor sich hin grummelnden Bauch und lief dann auf die Leiter zu. Sobald meine Hände aber nach den Sprossen griffen, hielt ich inne und betrachtete sie. Die Knochen ragten sichtbar hässlich aus meiner Haut heraus, ich war abgemagert und dünn. Meine Finger waren kleine, sich bewegende Stäbchen, jeder Knochen, jedes Gelenk ließ sich erkennen. 

In diesem Moment war ich so verdammt froh seit Wochen keinen Spiegel mehr gesehen zu haben. Ich wollte nicht wissen, wie mein Körper aussah. Wahrscheinlich sah ich aus, als würde ich jeden Moment zusammenbrechen können. Man hätte meinen können, dass der Junge mich daran erinnern würde, da er auch hätte so aussehen sollen wie ich, doch er hatte einiges mehr an Essen als ich und hatte mehr mit diesen ganzen Gefechten zu tun wie ich.

Ich jedoch, ich hatte Wochen ohne Bewegung auf einem Dach verbracht und alles an Muskeln und Fett verbraucht, das ich hatte. Vielleicht hatte das auch schon zu seinem Plan gehört- dafür zu sorgen, dass ich nicht weit kommen würde, falls ich überlebte. Er war zu egoistisch, um mich gewinnen zu sehen. Er war zu kalt, um mir einen guten Wunsch mit auf den Weg zu geben. Ich persönlich wünschte ihm alles schlechteste der Welt. Etwas Besseres hatte er nicht verdient. Ich wünschte ihm verfaulte Pfirsiche aus der Lagerhalle, oder sogar den Tod auf dem Weg nach draußen. Auf alle Fälle wünschte ich ihm den Tod, und das war ein Wunsch, den ich in meinem ganzen Leben noch nicht verspürt hatte, für niemanden.

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