T W E N T Y

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T W E N T Y | "Ich hab hier was für dich."

Mein Kopf fuhr nach oben. Da stand er, mitten auf dem Dach und öffnete seinen Rucksack. Ich hatte ihn gar nicht hochkommen hören.

Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. Wenn er sich jetzt noch weiter über mich lustig machen würde, dann....

Er zog eine Jeans aus seinem Rucksack. Sie sah relativ klein aus, was teilweise sicher an seiner großen, kräftigen Gestalt lag. "Ich denke, die Größe sollte dir besser passen als...", er deutete auf meine jetzige Hose. Ja, sie war locker geworden, ziemlich locker sogar, aber ich hatte einen Gürtel.

"Da soll ich reinpassen?", fragte ich abfällig. Das war mindestens mal Kindergröße, was mir eher Angst einjagte als dass es mich besänftigte. Ein leicht böser Blick machte sich derweil auf seinem Gesicht breit. "Natürlich passt du da rein.", erklärte er. 

Trotzig schüttelte ich den Kopf. "Ich bin dünn geworden, ja. Aber da passt ja nicht mal mein kleiner Fußzeh rein!"

Sein Kiefer spannte sich an, ich sah es. Seine grünen Augen wurden dunkler. "Versuch's wenigstens.", kommentierte er trocken und warf mir die Hose ins Gesicht. 

"Nein.", protestierte ich, und er ballte eine Hand zu einer Faust. "Wenn du unbedingt in deiner vollgebluteten Hose bleiben willst, bitte. Ich bringe dir keine neue, bis du die nicht erstmal anprobiert hast!", knurrte er.

Seufzend nahm ich zögernd die Hose entgegen. Er hatte eine Aussage gemacht. Und in meiner jetzigen Hose wollte ich keine Sekunde länger mehr bleiben, denn das Blut war noch immer klebrig feucht. "Achso, und hier. Ich dachte, das könntest du vielleicht auch gebrauchen." Er hielt mir eine Unterhose vor die Nase.

Leicht errötend schnappte ich sie ihm aus der Hand. "Danke...", flüsterte ich nun eher beschämt, denn er schien noch immer sauer. Zögernd ging ich zur Leiter. 

"Bleib oben. Es wird sicher bald Nacht und ich will nicht, dass du dann da unten bist.", erwiderte er kühl und setzte sich. Warte, was? Machte er sich etwa... Nein Amalia

"Uh.. Nein? Ich zieh mich doch nicht vor dir aus, bist du bescheuert?", entgegnete ich frech und er warf mir einen bösen Blick zu. "Als würde ich dich dabei beobachten wollen.", brummte er Augen verdrehend. 

Ouch. Das hatte mich irgendwie getroffen. Ich presste die Lippen etwas zusammen, machte dann auf dem Absatz kehrt und lief in die am weitesten entfernte Ecke auf dem Dach, wo ich noch einmal sicher ging, dass er nicht schaute, bevor ich mich schnell umzog, ihn nicht aus den Augen lassend. Er hielt sein Wort, schien sogar regelrecht desinteressiert zu sein. Gelogen hatte er jedenfalls nicht. Und das traf mich wirklich.

Ob er das bei einem hübscheren Mädchen auch gesagt hätte...? Amalia, Stopp jetzt. Du sitzt hier fest. Es gibt wichtigeres zu tun als sich von so einem Arsch beleidigen zu lassen, er hat dich sowieso nicht verdient. Was denkst du da überhaupt?

Dabei wollte ich nur, dass er mich verdammt nochmal mochte. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare und knöpfte schlussendlich die Hose zu, die wirklich passte. War ich wirklich so dünn geworden? Das hätte ich niemals erwartet. So sehr mir auch bewusst war, dass ich viel zu dünn war, dies war dennoch ein Schock für mich. Ich war ein Skelett.

Ich ließ mich auf den Boden sacken. "Ich sagte doch, es passt.", hörte ich ihn genervt sagen und es trieb mir Tränen in die Augen. Es war nicht nur das, es war einfach alles. Sein Spruch, der Fakt, dass ich magersüchtig war und in diese Hose passte, das Festsitzen an diesem Ort, meine Hormone, und dass ich allein war. Ich fühlte mich schrecklich allein, denn dieser Junge tat nichts dagegen. Es war ihm sowas von egal. 

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