T H I R T Y T W O

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T H I R T Y T W O | Die Tage verstrichen in einem quälend langsamen Tempo. Auch die Suche blieb erfolglos und ohne jeglichen Hinweise auf den Aufenthaltsort des Jungen oder ihnen. Zu meinem Bedauern blieben auch die Träume aus, die ich mir so sehnlichst herbeiwünschte, um endlich mal etwas zu erfahren, das mir weiterhelfen könnte.

Mit den Tagen schwand aber auch meine Hoffnung. Ich hörte nichts, sah nichts. Sie quälten ihn sicher, und die Wahrscheinlichkeit, dass er noch immer am Leben war, sank von Minute zu Minute. In bereits bewusstlosem Zustand würde ich mit ihm auch nichts mehr anfangen können.

Vielleicht hatten sie ihn aber auch direkt getötet. Vielleicht hatte er sie so lange vollgepöbelt, bis sie keinen Bock mehr auf ihn hatten. So bescheuert es auch klang, ich sollte mir eigentlich lieber positive Gedanken zureden, doch so konnte ich ihn mir gut vorstellen. Besser zumindest, als wenn er sich verängstigt ergeben würde. Gefühle verdrängte er gerne, die Angst hatte er sicherlich in den Hintergrund geschoben. Doch dieses Verhalten würde es mir um einiges schwerer machen, ihn lebend zu finden. Die Chancen wurden aber sowieso geringer, je länger ich suchte. Ich war am Verzweifeln.

Ich seufzte hoffnungslos und ließ mein Hinterteil auf den Gehweg sinken, raufte mir aufgelöst durch die Haare. Ich war schrecklich müde. Seit Tagen hatte ich nicht mehr gut geschlafen. Wenn ich vorher schon schrecklich aussah, dann war das sicher noch ein Model-Look verglichen zu dem, wie ich jetzt aussah. Ich fühlte die dicken, dunklen Augenringe regelrecht schwer unter meinen Augen liegen. Meine Augen brannten, sicher waren sie rot. Diese ganze Aufgelöstheit, sie stand meinem abgemagerten, dreckigen Körper mit den sicherlich eingefallenen Wangen und den fettigen, dünnen Haaren wahrscheinlich sehr gut.

Ich starrte auf meine kaputten, abgelaufenen Sneakers, die schon seit langer Zeit nicht mehr weiß waren. Löchrige, schäbige, auseinanderfallende Schuhe. Sie waren zum Wegwerfen, wie der Rest von mir. Ich war unnütz an diesem Ort, und ohne ihn sowieso. Ich hatte keine Führung, ich wusste nicht wohin und hatte keine Ideen. Er hätte wenigstens Anhaltspunkte gehabt. 

Es war einer der Gründe, wieso ich nicht mehr suchen wollte. Ich hatte ihn so dringend finden wollen, und das wollte ich immer noch, aber wo sollte ich suchen? Wo sollte ich ihn finden? Ich war überall gewesen. In der Fabrik, in allen herausstechenden Gebäuden, Straße für Straße. Hatte in alle Häuser auf meinem Weg hineingeschaut. Und langsam gab ich die Hoffnung auf.

Wie sollte ich sie schon finden? Das hatte doch sonst niemand geschafft, oder? Möglicherweise schon, nur waren sie dabei alle gestorben. Das hatte der Junge selbst gesagt. Er hatte sie alle beobachtet. Aber auch er hatte nicht gewusst, wo sie waren.

Die einzige Lösung, die ich jetzt noch sah, war, mich holen zu lassen. Aber so ignorant und egoistisch das auch klingen mochte, das kam keinesfalls in Frage. Selbst der Junge hatte keine Chance gegen sie gehabt, als sie ihn holten, und er hatte hier ewig überlebt, hatte die Kampfkunst beherrscht. Wenn sie mich holten, war ich nur ein weiteres Opfer ohne Fluchtmöglichkeit. Keine heroische Rettung, nur ein elendiger Untergang, mit etwas Glück einer, der Seite an Seite mit meinem einzigen Freund ablief. Eine Tragödie, fast wie Romeo und Julia.

Mich holen zu lassen, das konnte und durfte ich nicht. Dafür würde mich der Junge im Jenseits gleich noch einmal töten. Das war es mir auch nicht wert. Ich wusste, ich musste ihn retten, ich wollte es so sehr. Wollte mit ihm entkommen. Weil er endlich mal wieder die Welt außerhalb sehen sollte, bevor er hier ganz unterging. Er hatte es verdient zu entkommen. Das sollte nicht das Letzte sein, das er jemals zu Gesicht bekam. Nicht für die vielen, vielen Rettungen und Opfer, die er brachte, um mich am Leben zu erhalten. Auch ich sah es endlich ein. Er hätte einfach abhauen können, und war doch bei mir, der Verdammten, geblieben, die sie gesehen hatte. Und hatte sich dafür holen lassen.

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