T H I R T Y

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T H I R T Y | Wir waren seit Tagen auf der Flucht, nie am selben Ort zwei Mal, immer in Bewegung und auch nachts immer auf der Hut nach einem möglichen Angriff. Ich war müde, und ich war hungrig. Die recht schlaflosen Nächte, in denen einer von uns immer wach bleiben musste, zerrten völlig die Energie aus meinem schwachen, dürren Körper, die vielen Stunden des Laufens durch den ganzen Tag hindurch verschlimmerten es nur noch und bereicherten mich außerdem noch mit einem unbrauchbaren Muskelkater.

Außerdem wurde unser Essen knapp. Der Junge wehrte sich mit allen Gliedern dagegen, neues Brot zu holen. Wir waren zu oft dort gewesen. Und sie waren dort auch. Es sei ein zu hohes Risiko.

Ich hatte es von Anfang an als Risiko empfunden, dorthin zu gehen, wo sie die Kleidung der Verstorbenen verfrachteten. Ich konnte ihm nicht ganz dabei zustimmen, dass das Risiko jetzt höher war. Wir hätten ihnen auch schon vorher dort über den Weg laufen können. Und auch verstand ich seine Schlussfolgerung nicht, dass sie nach uns suchten, nur weil sie uns gesehen hatten.

Jedenfalls war unsere tägliche Ration Nahrung ins Unbrauchbare gesunken. So viel, wie ich momentan aß, da konnte ich auch genauso gut nichts essen. So fühlte ich mich. Nach langer Zeit hatte ich mal wieder ein riesiges schwarzes Loch im Magen. So hungrig war ich nur am Anfang gewesen.

Und trotzdem ging das Brot leer. Sogar viel zu schnell, wenn man bedachte, wie wenig wir aßen. Ich hätte weinen können, als ich sah, wie wir uns an einem Morgen das letzte Stück Brot teilten.

"Was machen wir jetzt?", fragte ich leise. Er blickte auf, als er mir das Stück Brot reichte und zuckte die Schultern.

"So ungern ich das auch vorschlage... Ich denke, es wird Zeit, auf Fleisch umzusteigen.", meinte er ruhig, als würde ihn dieser Gedanke kalt lassen. Mich hingegen schüttelte es schon jetzt. Ich hatte ein Mal das Fleisch hier gegessen. Es war geschmacklich nicht übermäßig widerlich gewesen, aber der Gedanke daran, was es war, löste einen Würgereiz in mir aus.

Verrottetes, altes Monsterfleisch, durchlöchert und bakteriell beschmutzt. Ew.

"Ich weiß.. Widerlich.", seufzte er, "aber es wird uns vorm Verhungern bewahren."

"Werden wir nicht krank, wenn wir so viel davon essen?", fragte ich angewidert.

"Anfangs habe ich nur Fleisch gegessen, bevor ich den Ofen entdeckt hab. Genauso wie alle anderen vor mir auch. Und ist irgendwas falsch mit mir?", erwiderte er, noch immer regelrecht ruhig.

"Mh, wo soll ich anfangen?", begann ich, woraufhin er mir einen bösen Blick zuwarf. Ich grinste zurück und er verdrehte die Augen. 

"Ich muss mich echt an deine schlechten Witze gewöhnen. Die ich noch immer als sehr unpassend an diesem Ort finde, nebenbei erwähnt. Du solltest ernster bleiben.", knurrte er.

"Ernst bleiben hilft uns leider auch nicht. Und Witze, beziehungsweise Lachen verlängert das Leben. Was brauchbar ist, wenn wir hier raus wollen. Ist ja nicht so, als hättest du nicht auch schon gelacht. Nur eben eher über mich als mit mir.", seufzte ich.

"Bist ja auch lächerlich. Das heißt lustig, nur negativer.", brummte er und schenkte mir ein kurzes, provozierendes Grinsen. "Ach halt doch die Klappe..", genervt verdrehte ich die Augen, und siehe da, er lachte kurz auf.

"Iss jetzt dein Brot. Wir müssen weiter."

Ich nickte, seufzend, und aß mein Brot, kaute lange auf der gummihaften Konsistenz um meinen Hunger zu stillen und schluckte es schließlich, wiederholte es so lange, bis die Scheibe weg war. Dann standen wir gemeinsam auf und ich packte meinen Rucksack zusammen.

Als ich mich umdrehte, war der Junge schon auf die Leiter gestiegen und kletterte sie hinab, also folgte ich, wobei ich im Augenwinkel etwas funkelndes wahrnahm. Verwirrt und neugierig zugleich drehte ich mich nach links. Was konnte hier schon glitzern?

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