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Alex

„Weiß sie etwas?" Ich stehe mit meiner Schwester in unserem Garten. Unser kleiner Teich plätschert leise vor sich hin und die Gartenschaukel quietscht bei dem leichten Wind. Dieses Geräusch erinnert stark an einen Horrorfilm. Man merkt, dass es langsam wärmer wird, vor ein paar Wochen war es abends wesentlich kälter. Unser Vater ist mal wieder weg, hat sich glücklicherweise seit vorhin nicht nochmal blicken lassen. Ob er sich immer noch mit der gleichen Frau trifft oder wechselt er sie mal zwischendurch?

Unsere Mutter schläft schon fast den ganzen Tag durch. Wie kann sie ihr Leben nur wie eine Halbtote verbringen? Ich zünde mir eine Zigarette an und ziehe zweimal daran, bevor ich an die Worte von Jo denken muss. Rauchen ist scheiße, hatte sie gesagt, nachdem sie meine Zigarette runtergeschmissen hatte. Der Qualm zieht zu Chelsea rüber, doch sie verzieht keine Miene. Sie ist es vielleicht schon gewohnt, ständig diesem Mief ausgesetzt zu sein. Dabei schadet nicht nur mir diese Zigarette, sondern auch ihr. Also werfe ich das Ding aus Schuldbewusstsein zu Boden und trete es aus. Jetzt kann sie keinem von uns mehr schaden.

„Ja. Ich habe ihr nichts gesagt, sie hat es selbst mitbekommen. Wir haben uns zu auffällig verhalten. Aber ansonsten hat sie keine Details erfahren. Es sollte dein Part sein, ihr davon zu erzählen, falls du dich mal dafür entscheiden solltest." Natürlich, Jo ist klug, es war also im Prinzip klar, dass sie es herausfinden könnte. „Du solltest besser aufpassen. Oder du änderst etwas. Es ist deine Entscheidung, wie es weitergehen wird."

Meine Entscheidung, warum ist so etwas Schwerwiegendes ausgerechnet meine Entscheidung? Ich habe keine Lust heute noch weiter über dieses Thema zu reden und gehe wieder ins Haus.

Wir müssen wohl auf dem Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen sein, denn es ist schon halb drei morgens, als ich durch einen heftigen Knall die Augen aufreiße. Vater ist wieder da. Na toll, ein Zusammentreffen mit ihm um diese Uhrzeit sollte man möglichst vermeiden, wie konnte ich nur so blöd sein? Ich ruckle Chelsea an, die es sich auf meiner Schulter gemütlich gemacht hat, damit sie ebenfalls aufwacht.

„Mist, der ist wohl mal wieder blau.", flüstert sie. Immerhin kann er noch relativ gerade laufen und steuert direkt auf uns zu, doch anstatt uns anzubrüllen oder zu schlagen, setzt er sich einfach zu uns.

„Wer war denn die komische Kleine vorhin?", lallt er ein wenig. Sein Interesse lässt mich skeptisch werden. Er schert sich doch eigentlich einen Dreck um uns und unsere Freunde, es sei denn, es lässt ihn in irgendeiner Weise schlecht dastehen.

„Sie ist nicht komisch und nenn sie nicht Kleine, das klingt seltsam.", antwortet Chelsea abweichend. Oh, das war keine sonderlich gute Idee.

„Hat dich jemand nach deiner Meinung gefragt?", wird er lauter und packt sie an den Haaren, wobei sie erschrocken aufschreit. Ich bin auch völlig entsetzt. Dass er mir etwas antut ist mittlerweile fast Alltag, aber an Chelsea hat er sich noch nie vergriffen. Sofort gehe ich dazwischen, wofür er mir gleich einen Fausthieb ins Gesicht verpasst.

In diesem Zustand hat er immer noch solch eine Kraft, dass ich nach unten falle und mit der Lippe auf unserem Glastisch aufschlage. Verdammt, tut das weh! Schnell ist meine Schwester zur Stelle, Vater steht nur unbeteiligt auf und geht ohne ein weiteres Wort. Etwas Besseres könnte er für uns auch kaum tun.

„Hier, du blutest." Chelsea drückt mir ein Taschentuch auf die Lippe. „Das wird morgen schön dick aussehen. Sag einfach, du bist beim Schlafen runtergefallen und bist auf dem Tisch aufgefallen, falls dich jemand fragt. Das ist ja nicht mal sonderlich abwegig."

Am nächsten Tag bekomme ich wieder den ein oder anderen neugierigen Blick zugeworfen. Leider kann man sowas nicht so gut verstecken wie so manche Narben.

„Alter, was ist denn mit dir passiert?", ist der erste Satz von Jan, als wir uns nach den ersten zwei Stunden sehen.

„Bin nur beim Schlafen auf die Tischkante geknallt. Passiert leider."

„Naja, geht ja bald wieder weg. Aber mit dem Aussehen schreckst du vielleicht Jo ab. Ich könnte ihr ja auftischen, du warst ein ganz böser Junge, das fände sie bestimmt nicht witzig.", scherzt Jan und ich lache gespielt mit, obwohl es mich innerlich richtig wütend werden lässt, aber ich kann ihm schlecht Vorwürfe machen, wenn er die Wahrheit gar nicht kennt.

„Wer war ein böser Junge?", kommt es direkt von vorn.

„Jo, wie passend! Unser Alex hier hat sich mit ein paar Kerlen gekloppt." Jetzt erzählt er ihr diesen Scheiß tatsächlich. Ich kann darauf nur die Augen verdrehen und ihm einen Klaps auf dem Hinterkopf verpassen.

„Ganz witzig, Jan. Heiliger, das sieht ja gar nicht gut aus!", meint Jo erschrocken, als sie meine aufgeplatzte Lippe betrachtet. „Du hast dich nicht wirklich geprügelt, oder?", fragt sie, als Jan ein paar unserer anderen Kumpels hinterhergejagt ist.

„Natürlich nicht, ich bin beim Schlafen auf eine Tischkante geknallt, mehr nicht.", erkläre ich einstudiert. Wow, schon zweimal gelogen in so kurzer Zeit.

„Wenn du das sagst." Sie klingt skeptisch, selbstverständlich wird sie etwas anderes vermuten. Ich sollte sie nicht nochmal mit zu mir nach Hause nehmen.

In unserem gemeinsamen Kurs spüre ich die ganze Zeit die Blicke von Jo auf mir, doch immer, wenn ich mich zu ihr umdrehe, sieht sie schnell aus dem Fenster. Nicht schnell genug. Sie soll sich keine Sorgen um mich machen, aber vielleicht sollte ich das in dem Punkt positiv sehen, dass ich ihr anscheinend doch nicht so scheiß egal bin, wie sie es immer darstellt.

„Alex?", sagt meine Lehrerin anscheinend schon zum dritten Mal meinen Namen, was ich nicht mitbekommen habe, da ich die ganze Zeit zu Jo gestarrt habe.

„Entschuldigen sie, wie bitte?" Meine Frage löst in der Klasse Gelächter aus und sogar Jo muss lächeln.

„In meinem Unterricht hat sie nur der Stoff zu interessieren, um Mädchen können sie sich von mir aus in den anderen Stunden kümmern, vorzugsweise allerdings außerhalb der Schule." Ich bin kein Typ, dem schnell etwas peinlich ist, aber diesmal laufe ich rot an wie eine Tomate. Neben mir klopft mir Jan auf die Schulter und lacht sich mit den anderen kaputt.

„Scheinst ja doch ein kleiner Konkurrent zu werden."

Dieser Hans Entertainment Moment, wenn du nicht weißt, was du in die A/N schreiben sollst.

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