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Jo

Vertraue ihm, Jo! Jan ist ein Arschloch und ein Spinner. Er ist der Letzte, von dem ich mir irgendwas einreden lassen sollte. Nur war Alex vor nicht vielen Wochen noch genauso ein Junge und konnte er sich in der kurzen Zeit einfach um 180 Grad ändern? Genau das ist der Punkt, warum mir Vertrauen bei ihm so schwerfällt. Ganz abgesehen davon, dass ich grundsätzlich ein stark eingeschränktes Vertrauen Menschen gegenüber aufbringen kann und genau dies ist der Punkt. Mir kommt in den Sinn, dass eben diese Problem der Grund sein könnte, warum ich mich in unserer Beziehung nicht so gut aufgehoben fühle, wie ich es eigentlich sollte. Ganz am Anfang war es vielleicht noch schön, für wenige Tage, aber im Moment fühle ich mich einfach nicht wohl, ich kann mir selber nicht genau erklären warum. Diese Erkenntnis knickt mich, da sie mir mal wieder zeigt, dass ich anscheinend nicht ganz normal bin. Das Merkwürdige ist, dass ich überhaupt keine Idee habe, woher mein starkes Misstrauen und dieses Gefühl von Unreife herführen. Ich bin durch und durch verwirrt, doch ich beschließe, mir erstmal längere Zeit auf Alex zu lassen. Ich muss es versuchen, vielleicht ist das bei jedem Mädchen so, dass zum ersten Mal einen Freund hat.

Die Worte von Jan wandern mir erneut durch den Kopf. Ich werde Alex zur Rede stellen, irgendwann. Ich weiß, dass Jan ein Vollidiot ist, aber sollte ich mit dieser enormen Unsicherheit weitermachen? So sehr mich seine Worte auch verletzt haben, ich würde das Thema erst anschneiden, wenn es günstig ist. Zum einen habe ich Angst vor der Wahrheit, zum anderen weiß ich nicht, wie ich ihn fragen sollte. Wahnsinn, da dacht ich in der letzten Zeit, ich sei ganz schlagfertig, aber sobald mir dieser verfluchte Junge den Kopf verdreht hat, kann ich nicht Frau genug sein, um so eine wichtige Sache klarzustellen.

Ich stehe genau eine Woche durch, in der wir durchgängig von Jan beobachtet werden. Jeden Tag, an dem Alex und ich gemeinsam durch die Schule gehen, sieht er im ersten Moment immer mehr als überrascht aus. Er hätte mit solcher „Stärke" oder „Feigheit" offenbar nicht gerechnet. Warum nur will er uns so gern getrennt sehen? Hat er so einen Hass auf mich oder hat es einen ganz anderen Grund?

Jedes Mal, wenn wir durch die Schulflure laufen, meist Hand in Hand, entgeht mir kein einziger von den verwirrten bis abschätzigen Blicken der anderen, größtenteils Mädchen, die Alex wie es scheint kaum wahrnimmt, dafür ich umso mehr, schließlich gelten die negativen Reaktionen auch nur mir. Ich hasse diese Aufmerksamkeit und dadurch hasse ich das Händchenhalten mit ihm in der Öffentlichkeit. Das lässt unsere Beziehung für mich noch unmöglicher erscheinen, obwohl ich es immer war, die sagte, dass man auf die anderen scheißen sollte. Doch Alex ist ein Junge, der Aufmerksamkeit auf sich zieht, zu viel Aufmerksamkeit und die wirkt sich auf mich mit aus. Nur ist es das Gegenteil von Aufmerksamkeit, die mancher sich erwünscht. Ihre Blicke kann ich ihnen allerdings wenig übelnehmen. Ich bin mir unsicher, ob ich in ihrer Haut nicht auch so reagiert hätte. An seiner Seite hat man stets Mädchen wie Jessica erlebt. Eben Mädchen mit einer Modelfigur und keinen zu großen Klamotten, die meist ziemlich schlampig saßen, einer Brille und alles andere als ein auffällig schönes Gesicht. Wenn meine Mutter oder Chelsea Hand anlegten, mochten sie eine andere Person aus mir zaubern können, doch deshalb fühlte ich mich nicht mehr wie mich selbst und ich wollte mich nicht jeden Tag als eine andere Person verkleiden, nur weil mein derzeitiges Äußeres den anderen nicht passte. Diese Welt konnte nun ml nicht nur aus Naturschönheiten bestehen.

Die anderen Mädchen wirkten oft sogar wütend. Nie hatte Alex ihnen viel Aufmerksamkeit geschenkt und nun tanzt er mit mir an? Verständliche Gedankengänge. Eifersucht ist etwas Menschliches. Ich verspüre sie ebenfalls oft genug, zu oft. Einbildung oder Realität, Alex sieht anderen Mädchen nach, sie zwinkern ihm anzüglich zu. Neben ihm fühle ich mich wie eine Luftblase, eine dreckige Luftblase.

Deswegen habe ich nach einer Woche gründlichen Grübelns einen Entschluss entfasst, von dem ich mich nicht abbringen lassen werde. Meine Gefühle sind so gespalten, eine Seite wiegt allerdings mehr.

Am Abend treffen Alex und ich uns in einem Park. Kopf an Kopf liegen wir in entgegengesetzte Richtungen auf dem Rasen, der endgültig von dem Schnee und dem Matsch befreit ist. Da es dennoch zu kalt auf dem Boden wäre, vor allem abends, liegen wir auf einer Decke. Jeder in seinen Gedanken versunken, beobachten wir den mal ausnahmsweise klaren Sternenhimmel. Es ist kalt, doch noch am Rande des Erträglichen. Solche Momente, in denen wir uns nahe sind, ich jedoch weder gezwungen bin etwas zu tun, noch etwas zu sagen, genieße ich am meiste, so selten sie auch sind. Oder ich genoss sie.

„Ich will dir ein paar Fragen stellen und ich möchte, dass du sie ehrlich beantwortest.", zerstöre ich den Frieden mit gepresster Stimme, da ich auf dem Rücken liege und ein wenig Angst vor seiner Antwort habe, auch wenn sie nichts an meiner Entscheidung ändern kann. So viel Willensstärke traue ich mir zu.

„Hattest du etwas mit der Cousine von Tom, Samantha?" Kurzes Schweigen.

„Ja, das war natürlich vor dir.", bringt er schwerlich heraus. Das klingt ehrlich. In meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß, doch was kann ich ihm vorwerfen? Wir waren nicht zusammen, er konnte mit jedem etwas anfangen. Seine Stimme klingt nach Reue, ein gutes Zeichen, oder?

„Hattest du eine Wette mit Jan, in der es darum gehen sollte, wer mich zuerst rumkriegt?" Sobald die Frage meinen Mund verlassen hat, rutscht der Kloß von meiner Kehle in meinen Bauch.

„Ja.", gibt er überrascht und wütend zu. „Jan, dieser Idiot. Du musst mir glauben, dass ich sie noch vor unserer Beziehung beendet habe und sie auch schnell bereut habe. Es hat absolut nichts mehr mit uns zu tun, meine Gefühle für dich sind echt und haben nichts mit dieser dummen Wette zu tun. Wahrscheinlich wäre es weniger schlimm gewesen, wenn ich von Anfang an ehrlich zu dir gewesen wäre. Es tut mir leid, Jo. Ich weiß nicht, wie ich mich noch entschuldigen könnte, bin nicht sonderlich gut darin." Das erklärt das äußerst merkwürdige Verhalten von Jan. Überraschenderweise verletzt es mich nicht ganz so stark, wie ich es erwartet hatte. Vielleicht, weil ich mich schon lange darauf eingestellt habe. Oder weil es nun eine noch verletzendere Sache zu wissen gibt.

„Hattest du etwas mit einem anderen Mädchen, während wir zusammen waren?", frage ich ihn, als ich mich wieder gefasst habe. Erst habe ich den Verdacht, Alex hätte aufgehört zu atmen oder wäre gar nicht mehr hier, wenn ich seine Haare nicht gespürt hätte, doch dann spricht er.

„Ja." Dreimal ja also, die gefürchtete Zahl. „Es war nicht mehr als ein Kuss, wirklich. Es ist trotzdem schlimm genug, das ist mir klar. Es tut mir so leid." Seine letzten Worte wispert er nur noch und mein Kloß scheint sich im gesamten Körper ausgebreitet zu haben. Jede von Jans Behauptungen hat gestimmt und das ist das Schlimmste daran. Jan hatte Recht mit seinen ekelhaften Behauptungen, wie ich ihn verabscheue. Minuten liegen wir nur nebeneinander und sagen nichts. Ich muss mir erstmal meine Worte zusammensuchen.

„Ich glaube, das Beste für uns beide wäre eine Trennung, zumindest wäre es das für mich. Es sind nicht nur diese drei Dinge, ich kann und will es so nicht mehr. Das hat weniger mit dir zu tun, als mit mir. Ich weiß, klingt total nach Klischee, doch es entspricht der Wahrheit." Ich setze mich wieder auf, da mein Rücken langsam schmerzt und es sich so besser reden lässt. „Ich habe das Gefühl, wenn ich mit dir zusammen bin, vor allem in der Öffentlichkeit, überwiegt das Unbehagen mehr als das, was ich für dich empfinde. Ich empfinde viel für dich, das ist keine Frage, darum fiel mir meine Entscheidung auch nicht leicht, aber reicht das? Wir sind einfach zu verschieden, du hast schon so viel Erfahrung und stehst stets im Mittelpunkt. Ich dagegen bin nun mal ein Mauerblümchen, dagegen kann man anscheinend nichts machen und ich fühle mich kein Stück reif genug. Vielleicht müssen wir unser beider Leben erstmal in den Griff bekommen, bevor wir es mit anderen teilen." Damit spiele ich auch auf seinen Vater an, gegen den er anscheinend noch nichts unternommen hat und was ihn immer noch sichtlich belastet. „Da steht einfach zu viel zwischen uns."

Zu mir komme ich nicht. Alex zieht mich in seine Arme und umklammert mich, als würden wir beide ertrinken. Vielleicht tun wir das ja wirklich und merken es nur nicht. Ich genieße ein letztes Mal die Nähe, seine Wärme, seinen Geruch und schmiege meinen Kopf in seine Halsbeuge, bevor er mich abrupt loslässt und ohne ein weiteres Wort geht. Zurück bleibe ich mit einem Gefühl von Leere. Ich dachte immer, in solchen Momenten sollte man weinen.

Ich weiß, das ist nicht das Ende, das sich jemand erhofft hat, aber es ist ja auch noch nicht das Ende ;)

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