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Alex

Jo erstaunt mich immer wieder. Sie sieht aus wie ein anderer Mensch, wenn sie sich um ihr Äußeres kümmert. Nicht, dass ich ihr Aussehen sonst schlecht finde, ihr freakiger Look ist sogar niedlich, aber ich bin ein Mann und genieße den Anblick, wenn meine Freundin ein schönes, kurzes Kleid trägt. Ich kann nicht glauben, dass ich Jo meine Freundin nenne. Wer hätte jemals damit gerechnet? In der Schule weiß es noch keiner, auch wenn ich vorher schon Gerüchte über uns mitbekommen habe. Doch es ist mir egal, was irgendwer denkt. Ich fühle mich in ihrer Nähe wie ein anderer Mensch. Sie macht mich glücklich und lässt mich in unseren gemeinsamen Momenten die ganze Scheiße vergessen.

Bevor wir nach unten gehen, küsse ich sie und fahre dabei mit meiner Hand über ihren Hintern. Das tue ich aus reiner Gewohnheit. Als sie meine Hand wegschlägt, könnte ich mich am liebsten selber ohrfeigen. Natürlich mag sie das nicht, schließlich ist sie das komplette Gegenteil von den Mädchen, die ich bisher hatte. Ich muss mich dringend zusammenreißen, sonst war sie mal meine Freundin.

Wir gehen nach draußen, wo meine Eltern schon ungeduldig warten. Sie sehen aus wie ein normales Ehepaar, ohne Probleme. Sie haben sich beide ordentlich in Schale geworfen und ein falsches Lächeln aufgesetzt. Schlechte Schauspieler sind sie jedenfalls nicht.

„Wir nehmen heute Johanna mit. Das ist doch in Ordnung, oder?", verkündet Chelsea. Schüchtern tritt Jo den beiden gegenüber, schüttelt meiner Mutter die Hand und zögert kurz, als mein Vater ihr die Hand reicht.

„Du musst sie nur die Fahrt über ertragen.", spreche ich ihr zu, nur sie kann es hören. Ich spüre ihre Anspannung. Sie muss mittlerweile einen riesigen Hass auf meinen Vater haben. Ich halte ihr die gesamte Fahrt über die Hand, was mir ein Gefühl von Geborgenheit gibt. Viel mehr, als sie mir diese Familie geben kann. Könnten Jo und ich irgendwann mal eine Familie sein oder trennen werden wir uns wieder trennen? Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob ich später mal heiraten wollen oder gar Kinder haben würde. Es gab ja nie jemanden, bei dem ich es mir hätte annähernd vorstellen können, allerdings bin ich wohl ein bisschen zu jung, um über sowas schon groß nachzudenken.

Das Firmengebäude ist von außen nichts Besonderes. Ein Klotz mit Glasfassade. Ich hasse diesen modernen Baustil, was soll daran schön sein? Wir steigen aus dem Auto und betreten gemeinsam das unfreundliche Gebäude. Der Raum ist gefüllt mit Männern in Anzügen und Frauen in schönen, teuren Cocktailkleidern, wir scheinen hier perfekt hineinzupassen. Bevor wir mit einem von denen reden müssen, ziehe ich Jo mit mir mit, meine Schwester kommt uns hinterhergelaufen. Ich war schon oft genug auf diesen Feiern, um mir einen Ort zu suchen, an dem sich der Abend aushalten lässt. Durch eine Glastür, anscheinend ist hier alles aus Glas, führe ich uns einen dunklen Flur entlang zum Fahrstuhl, mit dem wir bis in den obersten Stock fahren. Von da aus müssen wir eine Treppe hochlaufen, dann kommen wir auf der Terrasse an, die wesentlich sehenswerter ist als dieser Haufen an Snobs.

„Oh Gott, ist das kalt! Ich gehe lieber gleich wieder rein." Damit lässt Chelsea uns allein. Wer weiß, ob ihr wirklich so kalt ist oder ob sie uns Zeit für uns lassen will. Die Nacht ist allerdings wirklich verdammt kalt, schließlich haben wir Winter und unsere Jacken unten abgegeben. Wir gehen bis zum Geländer der Terrasse und können über die ganze Stadt blicken. Bei Nacht sind alle Lichter an und der Schnee reflektiert auch noch.

„Es ist schön hier.", wispert Jo. Der Wind weht ihr die Haare ins Gesicht, einige bleiben ihr dort hängen, also streiche ich sie ihr wieder hinter die Ohren. Meine Hand ruht an ihrer Wange.

„Du bist schön.", entgegne ich ihr. Sie muss sich ein Lachen unterdrücken und sieht verlegen geradeaus. „Lach nicht, das ist mein voller Ernst. Du solltest wissen, dass du wunderschön bist." Jo fängt leicht zu zittern an. Lange können wir nicht draußen stehen bleiben, sonst sind wir morgen Eiszapfen. Von hinten schließe ich sie in meine Arme und mir wird gleich wärmer, ihr hoffentlich auch. Jedes Mal, wenn ich sie berühre, wirkt sie total angespannt, so auch diesmal. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr sowas wirklich so schwer fällt. Nach einer Weile hat sie sich zum Glück wieder entspannt und lehnt ihren Kopf gegen meine Brust. Wenn es nach mir ginge, würden wir Stunden oder Tage so verweilen.

„Ich habe mich mit meiner Mutter gestritten.", sagt sie in die beruhigende Stille und stößt dabei eine Atemwolke aus.

„Was ist passiert?", frage ich besorgt.

„Ich habe dir doch erzählt, dass dein Vater sie geschlagen hat. Anstatt sich von ihm fernzuhalten-was sie sowieso tun sollte, schließlich ist er verheiratet-hat sie sich nochmal mit ihm getroffen. Da war ich schon sauer auf sie. Nachdem du gestern gegangen bist, hat sie mir allen Ernstes verboten, dich weiterhin zu treffen. Dann ist die Situation eskaliert. Wie bescheuert ist das bitte? Die dürfen so einen Müll abziehen und wir müssen darunter leiden? Warum ist gerade alles so kompliziert?", erzählt sie mit einem verzweifelten Unterton. Ich drücke sie noch näher an mich und platziere meinen Kopf auf ihrer Schulter.

„Weiß sie von mir?"

„Nein, ich habe dir doch versprochen, es niemandem zu sagen."

„Vielleicht sollten wir sie aufklären, wenn du dir solche Sorgen um sie machst. Das wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass er handgreiflich ihr gegenüber geworden ist."

„Bist du dir da wirklich sicher?"

„Das könnte ein erster Schritt sein, um sich gegen ihn zu wehren. Wahrscheinlich hast du Recht, ich kann es nicht so belassen. Zwar werde ich bald ausziehen, aber die Gewalt überträgt er nur auf meine Schwester und auf meine Mutter. Ich kann sie unmöglich so zurücklassen, auch wenn ich eine verdammte Angst habe."

„Ich verstehe nicht, warum unsere Mütter sich alles so gefallen lassen."

„Sie sind wie abhängig von ihm. Irgendwas muss an ihm sein, dass sie nicht gehen lässt." Wir müssen beide lachen, weil meine Worte ungewollt zweideutig klingen.

„Wenn du dich endgültig entschieden hast, sagst du mir Bescheid?"

„Natürlich.", versichere ich ihr. „Lass uns wieder reingehen, du holst dir eine Erkältung."

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