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Jo

Meine schlimmste Befürchtung hat sich bestätigt. Die Affäre meiner Mutter ist der Vater von Alex. Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein Mensch jemals so anwidern könnte. Er hintergeht seine Frau, verprügelt seinen Sohn, nutzt meine Mutter aus und als ob das noch nicht reichen würde, schlägt er sie jetzt ebenfalls? Würde mir mein Verstand nicht sagen, dass es vermutlich nicht die beste Idee wäre, sein Haus zu stürmen und ihn mit eigenen Händen zu erwürgen, dann wäre er jetzt sowas von tot. Nachdem ich meine Mutter so gut es geht verarztet habe, hat sie sich schlafen gelegt. Das war vor zwei Stunden und genau so lange liege ich in meinem Bett und starre die Dunkelheit an. Ich bekomme kein Auge zu. Meine Gedanken kreisen ununterbrochen um die letzten Tage, um alles, was ich über ihn und Alex in Erfahrung bringen konnte. Hoffentlich hält Mama sich jetzt von diesem Mistkerl fern. Eigentlich müsste man solche Menschen anzeigen, doch was würde das für Alex und seine Familie bedeuten? Sie hätten ihn schon längst anzeigen können und doch lässt sich die Familie immer und immer wieder tyrannisieren. Ich muss dringend mit Alex darüber sprechen, schließlich geht es jetzt erst recht nicht nur ihn etwas an.

Als ich am nächsten völlig übermüdet aufstehe, schläft meine Mutter noch. Wenn ich nicht zur Schule müsste, würde ich bis zum Abend kein Auge öffnen. Mehr als vier Stunden kann ich nicht geschlafen haben. So schleppe ich mich durch den Schulalltag, bemüht, beim Laufen nicht umzufallen oder in der Stunde einzunicken. Im Sportkurs-den wir heute zu meinem Leid ausgerechnet heute haben, ganz davon abgesehen, dass Sport das letzte Fach ist, für das ich auch nur annähernd Sympathie empfinde-müssen wir uns noch dazu die Sporthalle mit den Jungs aus unserem Jahrgang teilen. Unsere Schule besitzt eine große Turnhalle, die durch Trennwände, die von der Decke runtergefahren werden, geteilt wird. Nur haben diese Trennwände derzeit einen Defekt, weshalb wir uns heute also beim Schwitzen beobachten können. Es wurde doch nicht umsonst der geschlechtergetrennte Sportunterricht eingeführt, warum fällt dann Sport nicht einfach aus? Warum darf ich hier nicht die Regeln machen? Nein, stattdessen darf ich mich mit meiner Unsportlichkeit blamieren.

„Heute könnt ihr euch große Runden einlaufen. Ich hätte gern 6, los!", befiehlt unsere Lehrerin, die stark einem Kommandanten ähnelt, so wie sie uns immer anschreit. Eigentlich laufe ich mich ganz gern ein, nur habe ich diesmal das Gefühl, als würde ich bei jedem Atemzug von allen beobachtet werden, was eigentlich totaler Schwachsinn ist, da es für die Jungs sicherlich interessantere Dinge gibt. Das ist mein kleines Problem.

Beim Laufen versuche ich das alles auszublenden, indem ich mich nur auf meinen Atem und den Rhythmus meiner Schritte konzentriere. Das hilft, mein Kopf ist leer, zumindest bis Jessica neben mir läuft. Wir haben zufällig den gleichen Sportkurs gewählt, doch bisher haben wir uns immer ignoriert. Was will sie also? Wenn sie mich noch einmal wegen Alex anzickt, dann raste ich aus!

„Alex sieht die ganze Zeit zu dir.", sagt sie überraschend normal. Ich sehe sie nur genervt an. Reden will ich beim Laufen nicht, da mir sonst die Luft fehlt.

„Das tut er öfter. Du auch, oder? Ich denke, er mag dich, aber so richtig, verstehst du? Aus irgendeinem Grund seid ihr beide zu blöd, das zu merken." Sie zieht ihr Tempo an und läuft weiter, während ich total verwirrt von ihrer Aussage stehen zu Alex sehe. Dieser wendet sich schnellst möglich von mir ab und tut so, als wäre der Ball in seiner Hand gerade das Interessanteste auf der Welt. Ohne es zu merken, bin ich stehen geblieben. Ich beobachte ihn weiterhin und frage mich, ob Jessica Recht hat. Ach was, warum mache ich mir so einen Kopf um etwas, was sie gesagt hat? Das muss endlich aufhören, dass mir jeder einreden will, dass ich auf Alex stehe und umgekehrt. Auf das Wort von Jessica sollte ich sowieso kein Stück vertrauen.

„Johanna, hier werden keine Löcher in die Luft geguckt! Beweg dich!", schreit mir unsere Lehrerin zu. Natürlich muss ich darauf rot anlaufen und gehorche ihr dann.

Nach der Stunde bin ich die Letzte im Umkleideraum. Der Gestank von Schweiß und Toilette staut sich, hier gibt es aber nur ein kleines Fenster, das nicht wirklich hilfreich ist. So schnell es geht ziehe ich mich um, versuche dabei wenigst möglich zu atmen und verlasse fluchtartig den Raum. Auf dem Flur stoße ich fast mit Alex zusammen, der auch eben die Jungenumkleide verlassen hat.

„Tut mir leid.", entschuldige ich mich reflexartig.

„Warum? Ich habe dich doch auch nicht gesehen.", lacht er und entblößt dabei seine weißen, perfekten Zähne. Seine Augen strahlen ebenso, es wirkt bei dem Licht fast, als würden sie glitzern. Sein Gesicht ist wirklich schön. „Alles okay?" Ich erwache aus meiner Starre und bin erschrocken darüber, was ich gerade alles gedacht habe. Was ist denn nur mit mir los? Werde ich krank? Das ist doch nicht normal! Ich komme mir vor wie dumm, dass er mich auch noch dabei beobachten konnte, wie ich ihn wahrscheinlich wie ein verknallter Teenager mit offenem Mund angestarrt habe. Hey, ich bin ja tatsächlich ein Teenager! Das muss es sein, sowas ist in meinem Alter doch völlig normal. Bei mir setzt es nur etwas später ein, als im Normalfall. Ich reiße mich wieder zusammen und mir kommt wieder in den Sinn, dass ich eigentlich mit ihm reden wollte.

„Können wir bitte reden?"

Wir haben noch lange genug Zeit bis zur nächsten Stunde, deshalb setzen wir uns zu den Fahrradständern, obwohl der komplette Schulhof leer ist, allerdings kann man hier durch die Bäume nicht so gut gesehen werden.

„Wusstest du, dass dein Vater Affären hat?", beginne ich schweren Herzens das Gespräch.

„Ja, sowas bekommt man leider mit der Zeit. Woher weißt du das?"

„Weil meine Mutter seine Affäre ist, zumindest eine. Ich weiß schließlich nicht, mit wie vielen Frauen dein Vater etwas am Laufen hat.", gestehe ich und bin furchtbar gespannt auf seine Reaktion. Doch er schweigt und sieht einfach nur in den Himmel.

„Hat sie es dir erzählt?", fragt er nach einer Weile der Stille endlich.

„Ich habe es gestern Abend erfahren. Alex, dein Vater hat sie geschlagen." Schon wieder diese Stille.

„Tut mir leid.", sagt er kurz und knapp, während er aufsteht und anscheinend gehen will, aber ich halte ihn auf.

„Du kannst ja nichts dafür, aber das alles muss aufhören. Dein Vater hat ein Problem und jetzt bist nicht mehr nur du betroffen. Ich hoffe zwar, dass meine Mutter sich nie wieder in seine Nähe begibt, aber er kann trotzdem nicht jeden zusammenschlagen. Und für dich bessert sich auf diesem Weg doch auch nichts.", versuche ich, zu ihm durchzudringen und er beleibt tatsächlich stehen. Ich gehe auf ihn zu und zwinge ihn, sich zu mir zu drehen. Zum ersten Mal sehe ich Tränen in seinen Augen.

„Ich habe Angst, okay?"

„Ich bin bei dir.", flüstere ich und nehme ihn in den Arm, bemüht, nicht ebenfalls zu heulen. Er scheint sich zu beruhigen und dagegen anzukämpfen, den Tränen freien Lauf zu lassen, drückt mich dennoch fest an sich. Es fühlt sich gut an.

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