Kapitel 10

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Ich war verletzt und wütend gleichzeitig. Wie konnte er mir das nur antun? Mein eigener Bruder, meine einzige Familie die ich noch hatte. Ich fuhr schon zwei Stunden ziellos durch die Gegend und wusste nicht wohin, aber ich musste irgendwohin, denn ich war müde und stand kurz davor während dem Fahren einzuschlafen. Nach Hause wollte ich nicht und zu Marvin auch nicht, sonst würde Trevor dann noch bei ihm auftauchen. Kurz wog ich meine Möglichkeiten ab und bog dann rechts ab. Ich wusste nur wo er wohnte, weil ich ihn letzte Woche zu Hause abgesetzt hatte nach der Schule. Ich hoffte nur das ich wenigstens diese Nach bei ihm bleiben konnte.

Ich parkte in der Auffahrt, nahm meine Tasche und lief zur Haustür. Es vergingen einige Minuten bis die Tür geöffnet wurde, immerhin war es nicht gerade früh. Langsam wurde die Tür geöffnet und ein grosser, 18-jähriger, muskelbepackter und dazu noch verschlafener Tristan in Boxershorts stand vor mir. "Casey. Was machst du hier?" er ging einen Schritt zur Seite und gewährte mir somit den Einlass. Mit hängendem Kopf trat ich in den Flur und sah ihn an. "Es tut mir wirklich leid Tristan, aber...ich weiss nicht." seufzend fuhr ich mit der Hand durch meine Haare. Verwirrt sah er auf meine Tasche, nahm sie mir aus der Hand und schob mich die Treppe hoch. "Du wirst mir jetzt erstmal erzählen was los ist." sagte er und öffnete oben im Flur die erste Tür links. Es sah mir schwer nach Gästezimmer aus. Ich setzte mich auf das Bett und sah auf meine Hände als ich ihm begann ihm zu erzählen was zu Hause passiert war.

"Das ist echt scheisse." sagte Tristan als ich fertig war. Die ganze Zeit über sagte er nichts und hörte mir aufmerksam zu. Es tat wirklich gut es jemandem zu sagen. "Du wirst jetzt erst einmal hier bleiben, meine Eltern haben sowieso nichts dagegen und sonst muss ich es ihnen halt sagen. Du lässt jetzt alle erst einmal zu Ruhe kommen und redest in ein paar Tagen mit deinem Bruder. Oh und bevor ich es vergesse, ich werde jetzt Marvin anrufen." irritiert sah ich ihn an. "Wieso Marvin?"

"Weil er dein bester Freund ist und sich sicher schon Sorgen um dich macht." sagte er lächelnd und verliess das Zimmer. Seufzend liess ich mich nach hinten auf das Bett fallen und starrte an die Decke. Tristan hatte recht, ich musste Gras über die Sache wachsen lassen und erst in ein paar Tagen mit Trevor reden. Leicht machen würde ich es ihm nicht, immerhin hatte er mich hintergangen und das schlimmste, er hatte mich geschlagen.

Minuten vergingen in denen ich einfach an die Decke starrte und an nichts mehr dachte. "Wo ist sie?" langsam setzte ich mich auf als ich jemanden hörte. "Gästezimmer." kaum hatte Tristan das gesagt, hörte ich Schritte die die Treppe hoch kamen. Gleich darauf wurde die Tür aufgerissen und Marvin sah mich erleichtert an. "Cas! Wir haben dich schon überall gesucht." ohne gross zu überlegen sprang ich auf und in seine Arme. "Trevor hat mir gesagt was passiert ist." sagte er und drückte mich an sich. "Ich hasse ihn." nuschelte ich an seiner Brust. "Das tust du nicht Cas. Lasst euch ein paar Tage zeit und redet wenn sich alles gelegt hat." langsam löste ich mich von ihm und setzte mich wieder auf das Bett. "Ich muss dir etwas erzählen." ich klopfte auf das Bett und Marvin setzte sich mir gegenüber. "Wenn ich es dir erzähle, lass mich bitte bis zum Ende aussprechen. Egal was ich sage oder wie ich dabei selber reagiere musst du mich aussprechen lassen." Marvin nahm meine Hände in seine und sah mir in die Augen. "Versprochen!"

"Vor vier Jahren, als ich 14 war, hatte ich den schlimmsten Tag meines ganzen Lebens. Ich kam Abends von meiner damaligen Freundin nach Hause. Trevor übernachtete bei seinem Freund. Er war damals schon eine Nervensäge und daher war ich froh, hatte ich einen Abend ruhe vor ihm. Als ich rein kam wollte ich gleich hoch in mein Zimmer, aber jemand hielt mich davon ab. Erst dachte ich das es mein Dad war, aber es war ein fremder Mann. In seiner Hand hielt er eine Pistole und hielt mir den Mund zu weil ich schreien wollte." ich sah auf Marvins Hände die beruhigend über meine strichen und atmete tief ein. "Er zeigte mir das er es mehr als ernst meinte indem er mich umdrehte und die Pistole an meine Schläfe hielt. Ich hoffte noch das wenigstens meine Eltern nicht zu Hause waren, aber die Hoffnung wurde mir genommen als ich sie im Wohnzimmer gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl sitzen sah." eine Träne bahnte sich den Weg über mein Gesicht, aber ich ignorierte es, genauso wie meine zittrige Stimme. "Weisst du, ich dachte die ganze Zeit das gleich die Polizei rein stürmen würde und die zwei Typen überwältigen. Genauso wie man es immer im Fernsehen sieht, aber die Realität sah anders aus. Der Mann hinter mir trat in meine Kniekehle worauf ich auf den Boden fiel. Ich sollte zu meinen Eltern sehen, aber das wollte ich nicht. Jedoch hielt er mir die Pistole an den Kopf und zwang mich so zu ihnen zu sehen." ich wollte es nicht weiter erzählen, das was jetzt kommen würde war das Schlimmste an der ganzen Geschichte. Aber ich wusste, wenn ich es jetzt nicht machen würde, würde ich nie mit jemandem darüber reden. Ich schloss einen Moment meine Augen und erzählte weiter. "Ich habe mit angesehen, wie der andere Mann zuerst meiner Mutter und dann meinem Vater die Kehle aufgeschlitzt hat. Es...diese Bilder bekomme ich bis heute nicht aus meinem Kopf." ich sah Marvin kurz an und wieder auf unsere ineinander verschlungenen Händen. "Ich schrie wie am Spiess, aber immer noch war weit und breit keine Polizei in Sicht. Der Typ hinter mir zog mich dann an den Haaren wieder auf die Beine und der Andere stellte sich vor mich. Er sagte es wäre wirklich schade um mich und stach zu. Als er das Messer aus meiner Brust zog liessen sie mich fallen und verliessen das Haus. Minuten lag ich blutend auf dem Boden bis ich das Bewusstsein verlor. Im Krankenhaus sagten sie mir dann, dass ich nur knapp überlebt hatte. Kurz nachdem ich das Bewusstsein verlor, stürmte die Polizei das Haus. Sie wurden von den Nachbarn angerufen, weil sie Schreie aus unserem Haus hörten, meine Schreie. Ich lag einen Monat im künstlichen Koma. Ab dem Moment hatte ich nur noch Trevor, aber wir drohten auseinandergerissen zu werden. Trevor war damals 16 und noch zu Jung um für mich zu Sorgen. Er traf Vorkehrungen. Hatte alles Geld vom Konto abgehoben, frag mich nicht wie er das geschafft hat. Besorgte neue Ausweise und als ich dann aus dem Krankenhaus entlassen wurde, sind wir abgehauen. Darum leben wir unter falschem Namen." irgendwie war ich stolz auf mich selber. Ich hatte zum ersten Mal mit jemandem darüber geredet, auch wenn es ein Monolog war. Es tat gut mich Marvin anzuvertrauen und wie er es mir versprochen hatte, sagte er kein Wort und unterbrach mich auch nicht.

Vorsichtig hob ich meinen Kopf und wagte einen Blick auf sein Gesicht. "Es tut mir so unendlich leid Cas!" flüsterte er und zog mich in seine Arme. Bis jetzt hatte ich mich noch zusammengerissen, aber kaum hielt er mich in seinen Armen, begann ich wieder einmal an zu weinen. Ich kroch auf seinen Schoss und vergrub meinen Kopf an seiner Brust. Minuten vergingen in der wir einfach so dasassen. "Deine Albträume. Du träumst immer davon oder?" fragte er vorsichtig worauf ich nur nickte. Er zog mich enger an sich und drückte mir einen Kuss auf den Kopf.

"Er hat mich einfach angelogen und mich geschlagen." platzte es aus mir heraus als ich mich wieder beruhigt hatte. "Ich weiss Prinzessin. Er bereut es wirklich und wollte dich nicht schlagen." er schob mich etwas von sich und strich eine Strähne hinter mein Ohr. "Ich bleibe ein paar Tage hier. Ich würde ja zu dir gehen, aber dann wird Trevor auftauchen und das möchte ich nicht." flüsterte ich. "Das ist in Ordnung so. Ich bleibe heute bei dir und morgen schwänzen wir die Schule und machen das worauf du Lust hast." lächelnd umarmte ich ihn. Marvin war wirklich ein guter Freund, denn er wusste genau was ich im Moment brauchte. Ich legte mich auf das Bett und Marvin neben mich. Wieder redeten wir Stunden bis wir einschliefen, wobei mich Marvin keine Sekunde losliess.


Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt