6 - Der Engel der Seelen

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Ich sah meinen Vater wütend an. "Wie wär's, wenn ich einfach meine Kräfte benutzen dürfte?" schlug ich zynisch vor. Kurz sah ich in Luzifers Augen ein wenig Rot aufleuchten. "Wag es nicht, so mit mir zu sprechen. Tochter hin oder her, du hast zu tun was ich sage!" knurrte er bedrohlich leise. Aus den Fingern seiner linken Hand waren schwarze Krallen gekommen, die sich nun in das Holz des Tisches gruben. "Aber wieso darf ich denn nicht zeigen was ich kann? Wieso dürfen es die anderen Dämonen nicht wissen? Was verschweigt ihr mir, verdammt?" fauchte ich laut und auch aus meinen Fingern kamen Klauen. Mein Vater drehte sich ruckartig zu mir. Aus seinem Kopf wuchsen zwei, leicht nach hinten gebogene Hörner. Seine Pupillen waren Schlitze und seine Iris kurz davor sich vollends rot zu verfärben. "Manchmal habe ich das Gefühl, du vergisst mit wem du redest! Du hast zu tun was ICH dir befehle, so wie jeder Andere hier auch! Du hast nicht zu hinterfragen, was ich dir erlaube und was nicht. Und jetzt GEH!" schrie er mich an. Ich wollte gerad zu einer erbosten Antwort ansetzten, aber ein vernichtender Blick aus seinen, mittlerweile roten, Augen reichte als Drohung. Wütend drehte ich mich herum und ging.
Grummelnd schmiss ich die Tür hinter mir zu und stapfte den breiten Flur entlang. "Cherubyn, du weißt was deine Aufgabe ist, also erledige sie." äffte ich meinen Vater nach. Ich würde sie ja erledigen, wenn ich meine Kräfte benutzen dürfte! Dachte ich wütend. Frustriert schlug ich in die Wand neben mir. Meine Faust hinterließ ein großes Loch, aus dem ein wenig Staub rieselte. Wieso musste ich auch Mr. 'Alles und jeder ist mir unterstellt' als Vater haben.
Ich stöhnte frustriert und strich mir eine dunkelrote Haarsträhne aus dem Gesicht. Manchmal wünschte ich mir einfach bloß ein Mensch zu sein. Ein normales Leben zu führen, nichts von Hölle oder Himmel zu wissen und einfach einer von Vielen zu sein. Doch dann fiel mir wieder die kurze Lebensdauer von Menschen ein und ich war froh über meinen unsterblichen Körper.

"Ärger im Paradies?" riss mich eine feixende Stimme aus meinen Gedanken. Ich drehte meinen Kopf ein Stück und entdeckte am Treppenabsatz den grinsenden Beelzebub. Seine schmutzig gelblichen Haare hatte er sich zur Seite gestrichen, seine Augen leuchteten intensiv gelb. "Haha..." machte ich sarkastisch. "Mein Leben wahr ja wohl nie ein Paradies und das solltest du auch wissen, Fürst der Finsternis." sagte ich gelangweilt. Der Höllenfürst dagegen grinste weiter und kam ein paar Schritte auf mich zu, sodass er fast direkt vor mir stand. "Sieh es doch mal positiv, es hätte dich auch schlimmer treffen können. Du hättest auch als einer der Sklaven geboren werden können, oder als Engel." lachte er, woraufhin ich die Augen verdrehte. Beelzebub legte mir eine Hand auf die Schulter, aus welcher unaufhörlich Schatten quollen. "Jetzt mach dir keinen Kopf, bloß weil du schwach bist." sagte er, mit einer aufrichtigen Stimme. Ich verzog das Gesicht und sah ihn mit einem 'Ernsthaft?' Blick an. "Du verstehst es immer, mich aufzumuntern." grummelte ich.
"Ach ja, ich habe auch von dem Vorfall letztens gehört. Pass auf, dass das morgen Abend keiner mitbekommt, sonst werden nur Fragen gestellt. Schließlich ist es etwas merkwürdig das der Kerberos aufgegeben hat, kurz nachdem die 'ach so schwache' Tochter Luzifers in das Dorf gerannt ist." kicherte er, zwinkerte mir zu und ging ohne ein weiteres Wort.
Also irgendwie werde ich hier doch verarscht?! Offenbar war es doch irgendwie durchgesickert, dass ich mit in den Vorfall verwickelt war. Doch nach Beelzebubs Aussage wusste es das Volk wohl noch nicht. Dann erinnerte ich mich wieder an den morgigen Abend und schlug mir seufzend eine Hand vors Gesicht. Der Ball. Arya würde wieder Stunden an meiner Frisur und meinem Make-up sitzen und ich musste mich in ein enges Kleid zwängen. Bei dem Gedanken daran breitet sich sofort große Unlust in mir aus. Da würde ich ja lieber die ganze Zeit arbeiten. Aber erstmal musste ich in meinen Palast und mit Amon sprechen, wenn er denn Zeit hatte.

Als ich einen einigermaßen ruhigen Platz gefunden hatte schnippte ich mit den Fingern und stand kurz darauf am oberen Ende einer Treppe. Das mit dem Schnippen musste ich nicht machen, tat es aber manchmal aus Reflex. Als ich hinunter blickte sah ich die große Eingangshalle meines Palastes. Die Angestellten waren alle weg, offenbar waren alle Arbeiten in andere Etagen verlegt worden. Bei dem Anblick, der sich mir jedoch bot, hielt ich die Luft an.
In dem gesamten Raum war es unglaublich kalt, ich konnte schon meinen Atem in kleinen Wölkchen sehen. Nicht das ich direkt frieren konnte, aber den Unterschied der Temperaturen spürte ich trotzdem. Außerdem herrschte eine merkwürdige Präsenz, die mir Gänsehaut auf die Arme trieb. Alles wirkte irgendwie farblos und trüb. In der Mitte der Eingangshalle stand ein Mann. Aus seinem Rücken ragten zwei riesige, graue Schwingen. Er stand mit dem Rücken zu mir und hatte seine rechte Hand in die Luft gehoben. Der Engel trug eine hellgraue Rüstung, die perfekt an seinem Körper saß. In der gesamten Halle schwebten Geister und ähnliche Gestalten herum. Die Seelen Toter. Dachte ich und betrachtete die grauen Gestalten. Sie gaben Klagelaute von sich und heulten laut. Die Laute hallten fast im gesamten Palast wieder. Ich hielt mir die Ohren zu und knurrte wütend.

Mein Name ist MorgensternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt