Part 1

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TEIL 1

Scarletts Pov

„Josey? Scarlett? Seid ihr so weit? Ich möchte nicht, dass ihr schon am ersten Tag zu spät kommt. Vor allem nicht du Scarlett, mit deiner Vorgeschichte!“ Mums Stimme schallt durchs ganze Haus. Wegen meiner Vorgeschichte? Die kann mich mal. Sie denkt, sie wüsste alles, aber in Wirklichkeit weiß sie nichts. Gar nichts. Wenn sie denkt, dass ich mich jetzt ändere, nur weil sie mich in dieses Kaff gebracht hat, dann täuscht sie sich gewaltig.

„Scarlett! Hast du gehört, was ich gesagt habe?“ Im Ernst jetzt? Denkt die, ich bin taub? Aus reinem Trotz spare ich mir meine Antwort, greife nach meinem Rucksack und schlurfe die Treppe hinunter. Als Mum mich im Flur empfängt verdreht sie sofort die Augen.

„Muss das sein? Kannst du nicht einmal normal rumlaufen?“ Sie deutet auf meinen weiten grauen Pullover und meine Mütze. Ich wüsste nicht, was daran nicht normal ist. Aber wenn es nach ihr ginge, würde ich jeden Tag pinke Kleidchen und Blümchenballerinas tragen. Nein danke. Immer noch ohne ein Wort gesagt zu haben schlüpfe ich in meine schwarzen Boots und werfe mir meine dunkelgrüne Winterjacke über.

„Von mir aus können wir.“, murmele ich und trete aus dem Haus heraus. Ich weiß, dass ich Mum mit diesem Verhalten wahnsinnig mache, aber es ist mir egal. Sie soll es einfach als Strafe dafür ansehen, dass sie mit uns hierher gezogen ist. Stratford. Was ist das bitteschön für ein Name? Genau 32000 Einwohner. Das habe ich gegoogelt. Hier kennt jeder jeden und los ist hier garantiert auch nichts. Ich höre fröhliches Pfeifen hinter mir und verdrehe zum ungefähr hundertsten Mal an diesem Morgen die Augen. Josey kommt an mir vorbeigehüpft und pfeift irgendeinen Bubblegum Popsong vor sich hin. Sie ist die Traumtochter. Macht Ballett. Kichert mit ihren Freundinnen. Trägt rosa. Und pink. Und lila. Und nervt.

„Jetzt sei nicht so mies drauf. Nimm dir lieber mal ein Beispiel an deiner kleinen Schwester. Die kann es gar nicht erwarten neue Bekanntschaften in der Schule zu machen.“ Mum läuft an mir vorbei und lächelt mir aufmunternd zu. Mir bleibt nichts anderes übrig als in den Wagen zu steigen und die Tür mit einem möglichst lauten Knall zu schließen.

„Glaubst du, das Essen in der Schule ist gut?“, flötet Josey von hinten. „Hast du es etwa noch nicht gehört? Die servieren da Grashüpfer und Fliegen.“, antworte ich, weil ich immer noch schlechte Laune habe. „Scarlett!“, ruft Mum und wirft mir von der Seite einen tadelnden Blick zu. Ich verdrehe die Augen und richte meinen Blick aus dem Fenster. Alles was ich sehe kotzt mich an. Kleine Häuser und ordentliche Vorgärten. Kein einziger Club. Kein einziges Hochhaus. Willkommen in der Hölle, Scarlett.

„Ich will unbedingt Cheerleader werden. Dann kann ich immer diese super coole Uniform tragen.“, überlegt Josey. Ich spare mir dieses Mal eine Antwort, da ich weiß, dass Mum dann endgültig ausrasten würde.

„Ich habe auf deinem Stundenplan gesehen, dass du heute Sport hast. Vielleicht kannst du deinen Lehrer ja fragen, wann die Castings sind.“, schlägt Mum stattdessen vor. Ich denke schon, die beiden sind jetzt endlich ruhig und ich habe meine Ruhe, als Mum wieder zu sprechen beginnt.

„Du könntest dich auch nach irgendeiner AG umschauen, Scarlett.“

„Klar.“, antworte ich sarkastisch, aber ich habe den Eindruck, sie denkt, ich habe das ernst gemeint, weil sich ihre Miene augenblicklich aufhellt. Als wir zehn Minuten später die Schule erreichen und Mum einen Parkplatz sucht, ist meine Laune endgültig auf dem Tiefpunkt. Ich sehe Scharen von schnatternden Mädchen und eingebildeten Footballspielern aufgeregt auf den Haupteingang zulaufen. Yeah die Herbstferien sind zu Ende. Endlich dürfen wir wieder in die Schule gehen! Sarkasmus lässt grüßen.

„Ich wünsche euch einen wunderschönen ersten Tag, meine Lieben. Und benimm dich, Scarlett. Ich möchte nichts hören, was mir nicht gefällt.“ Ich nicke, kicke die Beifahrertür mit meinem Fuß auf und trete hinaus in die kühle Luft. Ich hab das Gefühl, ich muss gleich anfangen zu heulen. Ich will zurück nach Toronto. Sofort. Ich merke, dass mich eine Gruppe von Mädchen neugierig beobachtet, ignoriere sie und mache mich auf den Weg zum Haupteingang. Ich habe nicht vor, hier irgendwelche Freunde zu finden oder Bekanntschaften zu machen, wie es Mum nennt. In einem halben Jahr bin ich achtzehn und dann kann sie mich hier nicht mehr halten. Dann haue ich ab. Zurück nach Toronto oder in irgendeine andere vernünftige Stadt. Hier können mich keine zehn Pferde halten. Ich blicke mich nach dem Sekretariat um. Mum hat gestern schon Joseys Stundenplan abgeholt, aber sie ist der Meinung, dass ich alt genug bin, das selber zu tun. Bin ich auch. Es ist trotzdem unnötig.

„Suchst du etwas?“, höre ich eine hohe Stimme rechts neben mir. Da ich wirklich Hilfe gebrauchen kann, entscheide ich mich, nett zu sein.

„Kannst du mir sagen, wo ich das Sekretariat finde?“, frage ich und blicke das Mädchen neben mir an. Sie könnte Josey in drei Jahren sein. Pinker Rock, weißes Top und blonde Locken. Dazu ein geblümter Schal. Ein echter Engel. Unter normalen Umständen würde ich kein Wort mit ihr wechseln. Sie lächelt mich an.

„Kein Problem. Ich bringe dich hin.“, sagt sie, nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich her. Sie nimmt meine Hand? Im Ernst? Wie alt sind wir? Zwölf?

„Ich bin übrigens Elisabeth.“, sagt sie ohne, dass ich sie dazu aufgefordert habe und blickt mir fragend entgegen. Ich brauche ein paar Sekunden um zu verstehen, dass sie darauf wartet, dass ich ihr meinen Namen verrate.

„Scarlett.“, murmele ich und sie nickt zufrieden.

„Hier müssen wir rein.“ Sie hat gerade den Mund geschlossen, als uns die Tür entgegengeschleudert wird und ein Typ laut fluchend den Gang entlang läuft.

„Mr McCann das wird ein Nachspiel haben!“, ruft die aufgebrachte Sekretärin ihm hinterher und blickt mich dann entschuldigend an.

„Es tut mir leid, dass du das jetzt miterleben musstest. Mr McCann ist kein angemessenes Beispiel für die Schüler unserer Schule. Du musst Scarlett sein, richtig?“, sagt sie und schenkt mir ein Lächeln. Immer noch leicht geschockt nicke ich und folge ihr ins Sekretariat.

„Wir sehen uns bestimmt in der Mittagspause oder so?“, ruft Elisabeth mir fragend hinterher. Ich tue so, als könnte ich sie nicht hören und lehne mich gegen die Theke um darauf zu warten, dass die Sekretärin meinen Stundenplan zwischen all dem Gewühl auf ihrem Schreibtisch findet. 

He Ain't All BadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt