Part 6

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Scarletts Pov

Seit ungefähr einer Stunde sitze ich auf meinem Bett und starre die Wand an. Ich weiß nicht, wie ich Mum dazu bringen soll, mir die Party zu erlauben. In solchen Momenten beneide ich Menschen wie Ashley, die anscheinend kein Problem mit ihren Eltern zu haben scheinen. Schade nur, dass ich nicht ganz unbelastet bin. „Nicht bei deiner Vorgeschichte, Scarlett.“, höre ich die Stimme meiner Mutter schon mehr als deutlich vor mir. Aber ich weiß, dass es keinen Weg daran vorbei gibt, zu fragen. Wenn sie nein sagt, kann ich immer noch heimlich abhauen. Nur, dass sie misstrauisch sein wird, wenn ich gefragt habe.

Und was, wenn ich einfach überhaupt nicht frage? Wenn ich einfach gehe? Sollte das auffliegen, bin ich erledigt. Das ist mir klar. Aber ich will zu dieser Party. Da ich immer noch nicht dazu gekommen bin, Lissy nach ihrer Nummer zu fragen, bleibt mir nichts anderes übrig, als sie auf Facebook zu suchen. Das stellt sich jedoch als nicht weiter schwer heraus. Nicht viele Eltern nennen ihre Tochter heutzutage noch Elisabeth. Wobei ich mit meinem Namen eigentlich kein Recht dazu habe, so etwas zu denken. Der kleine grüne Punkt neben ihrem Profilbild zeigt mir, dass sie online ist. Ich schicke ihr eine Freundschaftsanfrage, die sie wie erwartet nach einigen Sekunden beantwortet. Dann rufe ich das Fenster des Messengers auf und beginne zu tippen.

Hey meine Mum lässt mich nicht gehen. Muss heimlich abhauen. Klingel also nicht. Treffen und um acht am Ende der Straße an der großen Kreuzung.

Ich drücke auf Enter und warte auf ihre Antwort. In der Zeit kann ich mir ja schon mal was zum Anziehen raussuchen, überlege ich. Ich erhebe mich schwerfällig von meinem Bett und laufe hinüber zum Schrank. Nicht zu auffällig, aber auch nicht langweilig. Ich möchte keins dieser Extrema erfüllen. Schließlich entscheide ich mich für eine enge dunkle Jeans und eine weites dunkelrotes Top, auf dem in schwarzen Buchstaben das Wort „Bitch“ steht. Wenn ich dazu meine Boots anziehe, passt das Outfit. Zufrieden laufe ich zurück zum Bett um nachzugucken, ob Lissy mittlerweile geantwortet hat.

Ich finde es zwar nicht gut, dass du deine Mum hintergehst, aber ok. Bin gegen acht an der Kreuzung. Schreib mir noch deine Nummer.

Ich muss lächeln. Zwar kenne ich Lissy erst seit heute, trotzdem weiß ich schon, dass dieses Verhalten typisch für sie ist. Sie ist nicht der Typ, der Regeln bricht. Ich frage mich, warum ich ausgerechnet an ihr hängen geblieben bin, doch dann denke ich an die ganzen Schlampen in der Schule und mir fällt wieder ein, dass sie der einzige halbwegs normale Mensch in Stratford zu sein scheint.

Ich tippe schnell meine Nummer in das Nachrichtenfeld und fahre dann den Laptop runter. Die Uhr sagt sieben. Wenn ich noch duschen und etwas essen möchte, bevor Lissy kommt, muss ich mich beeilen. Ich stopfe die Klamotten wieder in den Schrank, damit Mum keinen Verdacht schöpft, wenn sie aus irgendeinem Grund wieder mal der Meinung ist, mein Zimmer betreten zu müssen, und laufe auf Socken rüber ins Bad. Nachdem ich ausgiebig geduscht habe und mich nach dem langen Schultag wieder einigermaßen lebendig fühle, hüpfe ich die Treppe hinunter und husche in die Küche auf der Suche nach etwas Essbarem. Dort treffe ich auf Josey, die mich mit zusammengekniffenen Augen beobachtet.

„Warum isst du jetzt schon? Mum mach doch nachher noch Lasagne.“, fragt sie während sie versucht irgendeine Matheaufgabe zu lösen. An Hausaufgaben habe ich noch gar nicht gedacht. Egal. Die haben mich bisher ja auch noch nie interessiert.

„Erstens geht dich das einen Scheißdreck an und zweitens kommt gleich ein Film, den ich unbedingt gucken möchte.“, antworte ich bestimmt und greife nach der Milch um sie auf meine Cornflakes zu schütten.

„Musst ja nicht gleich so mies reagieren.“, murmelt meine Schwester und wendet sich wieder ihrer Aufgabe zu. Ich verdrehe die Augen und bin mit meiner Cornflakesschale schon wieder halb aus der Tür, als mir noch etwas einfällt.

„Josey sagst du bitte Mum, dass sie sich nicht mehr um mich zu kümmern braucht heute Abend? Ich gucke noch diesen Film und dann gehe ich schlafen. War ein anstrengender Tag.“ Ich finde meine Lüge eigentlich ziemlich überzeugend, aber meine Schwester kennt mich schon zu lange, um sie nicht als solche zu entlarven.

„Ich bin nicht blöd, Scarlett. Ich weiß, dass du vor hast abzuhauen. Seit wann gehst du denn bitte früh ins Bett, nur weil es ein anstrengender Tag war?“, entgegnet sie und lächelt mir zuckersüß zu. Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich meine Schwester manchmal am liebsten zum Mond schießen würde?

„Halt bitte deine Klappe Mum gegenüber.“, versuche ich es auf die billige Art und Weise, obwohl mir schon klar ist, dass Josey berechnend ist und diese Situation zu ihrem Gunsten ausnutzen wird.

„Nur wenn du meine Mathehausaufgaben machst.“, fordert sie und deutet auf das Heft, das vor ihr liegt. Ich verdrehe die Augen.

„Für wann sind die fällig?“, frage ich und blicke ihr abwartend entgegen.

„Übermorgen.“, antwortet sie, nimmt das Heft in die Hand und hält es mit hin. Na toll. Aber was tut man nicht alles für seine Freiheit.

„Du bist so ein verdammtes Miststück!“, fluche ich, reiße ihr das Heft aus der Hand und stampfe die Treppe wieder hinauf um mich umzuziehen. Naja. Wenigstens verpetzt sie mich jetzt nicht und hält Mum hoffentlich davon ab, mein Zimmer zu betreten.

Zwanzig Minuten später stehe ich fertig angezogen und geschminkt in meinem Zimmer und fahre mir vor dem Spiegel noch einmal mit den Fingern durch die dunklen Haare. Die Rotfärbung, die ich in Toronto vorgenommen habe, schimmert immer noch leicht durch und erinnert mich an meine Zeit dort. Es war nicht immer gut, aber ich hatte eine tolle Zeit. Fast jeden Tag Party und der Rest war egal. Eigentlich war dort alles egal. Das ist der Grund, warum Mum mich von dort weggezerrt hat. Sie will nicht, dass mir alles egal ist. Aber das ist es hier immer noch. Irgendwie. Deshalb werfe ich auch alle Bedenken, dass ich Mum hintergehe, beiseite und öffne vorsichtig meine Zimmertür.

Mit meiner schwarzen kleinen Tasche in der Hand schleiche ich die Treppe hinunter und halte auf dem untersten Absatz einen Moment lang inne um zu lauschen, ob sich etwas im Haus bewegt. Alles still. Schnell werfe ich mir meine Lederjacke über und schlüpfe in die Boots, bevor ich mich durch die Tür stehle und diese leise hinter mir schließe. Draußen atme ich befreit aus. Das Schwierigste ist geschafft. Abhauen ist immer schwieriger als wieder reinkommen.

Ohne mich umzublicken trabe ich die Straße hinunter zur Ecke, an der Lissy schon steht und nach mir Ausschau hält. Sie trägt ein buntes Sommerkleid und sieht damit nicht gerade so aus, als wollte sie auf eine Party gehen. Aber es ist Lissy. 

He Ain't All BadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt