Scarletts Pov
Die harte Holzlehne an meinem Rücken beginnt langsam wehzutun und ich habe meinen Blick seit einer halben Ewigkeit auf die Uhr neben der Tafel gerichtet. Französisch. Letzte Stunde für heute. In zehn Minuten wird es schellen. Ich kann kaum erwarten aus diesem Irrenhaus von Nutten und Zuhältern zu entfliehen. Ich mache keine Scherze. Lissy ist die einsame Ausnahme an dieser Schule. Alle anderen Mädchen scheinen billige Kopien von Ashley zu sein. Damit möchte ich keinesfalls sagen, dass Ashey nicht billig ist. Im Gegenteil. Sie ist die schlimmste von allen. Bei den Jungs sieht es aber leider auch nicht anders aus. Jason und seine Gang scheinen über allen zu stehen. Der Rest sind eingebildete Hockey- und Basketballspieler. Damit möchte ich nicht sagen, dass Jason nicht eingebildet ist. Im Gegenteil. Er ist der schlimmste von allen. Auch wenn in ihm immerhin unserem Gespräch im Park nach zu urteilen ein kleiner Funke Menschlichkeit steckt.
Noch drei Minuten. Dann ist es endlich vier Uhr. Der Gedanke daran, dass ich bis zu meinem Abschluss jeden Tag hier verbringen muss, drückt mein gesamtes Mittagessen wieder nach oben. Nein danke.
Als es schließlich nach unendlich erscheinenden drei Minuten doch noch schellt, stehe ich erleichtert von meinem viel zu harten Stuhl auf und verlasse den Raum im Eilschritt. Im Rausgehen streife ich mir meine Mütze über und atme die frische Luft ein. Da ich weder Mum noch Josey irgendwo ausmachen kann, setze ich mich auf eine schmale Mauer und beobachte das Geschehen um mich herum.
„Jason wird auch da sein. Glaub mir Süße. Dieses Mal sorg ich dafür, dass er mir gehört.“, höre ich auf einmal eine mir viel zu bekannte und verhasste Stimme hinter meinem Rücken. Ashley scheint mit ihren Barbiefreundinnen irgendetwas zu bequatschen. Normalerweise bin ich nicht der Typ, der andere Gespräche belauscht. Mir ist eigentlich absolut egal, was meine Mitmenschen mit ihrem Leben anfangen. Doch als sie Jason erwähnt werde ich aus irgendeinem Grund hellhörig.
„Bist du sicher, dass er da ist? Er war seit der Sache mit seinem Vater auf keiner Party mehr.“, fragt nun eine der Schönheiten. Ich kann sie nicht sehen, doch ich erkenne an ihrer Stimme, dass es eine von den beiden ist, die gemeinsam mit Ashley in Sport zu Jason gerannt sind.
„Klar kommt er. Es ist doch bei Cole. Warum sollte er es sich entgehen lassen, wenn sein bester Freund die halbe Stadt einlädt?“, entgegnet Ashley genervt.
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich komme. Morgen ist Schule und meine Eltern würden mich eh nur bis zehn oder so weglassen.“, wirft die andere der beiden Ashley-Anhängsel ein. Obwohl ich sie immer noch nicht sehe, kann ich förmlich spüren, wie Ashley die Augen verdreht.
„Dann bleib halt zu Hause. Dein Problem und nicht meins. Ich muss. Wir sehen uns heute Abend. Oder auch nicht.“ Daran, dass ihre Worte zum Ende hin immer leiser werden, merke ich, dass sie sich noch beim Sprechen von der Gruppe entfernt. Aber ich muss zugeben, dass sie mich neugierig gemacht hat. Ich habe zwar immer noch nicht vor irgendwelche Freundschaften einzugehen, aber so eine Party ist doch der ideale Ort dazu, die allgemeine Lage abzuchecken, oder? Wie auf Abruf laufen da auch schon Jason, Cole und Jai an mir vorbei. Man soll doch seine Chancen am Schopfe packen oder?
„Hey Cole, warte mal!“, rufe ich und stehe auf um den dreien hinterherzulaufen. Doch das ist nicht nötig, da sie schon bei der Erwähnung von Coles Namen stehenbleiben und sich zu mir umdrehen. Cole runzelt die Stirn und beginnt zu reden.
„Ehm wer genau bist du und warum sprichst du mit mir?“, fragt er überheblich, aber ich bleibe unbeeindruckt. Soll der ruhig labern. Mich schüchtert er mit seinem arroganten Gehabe nicht ein.
„Lass gut sein, Alter. Sie ist cool.“, sagt da aber Jason überraschenderweise und ich muss zugeben, dass ich ihm dankbar bin. Wenn der Boss sagt, dass man cool ist, können die Anhänger der Gang schlecht was anderes behaupten, oder? Und ich scheine Recht zu haben. Auf der Stelle verschwindet Coles abweisender Gesichtsausdruck und weicht Neugierde und Respekt. Verschwörerisch lächelt mir Jason zu. Nein. Das kann er sich sparen. Ich hätte die Kurve auch ohne ihn gekriegt.
„Gut. Was willst du?“, fragt Cole. Das ist dann wohl der Startschuss für mich.
„Hab gehört, du hast heute Abend die halbe Stadt eingeladen und ich hab mich ein bisschen vor den Kopf gestoßen gefühlt, weil ich hintenherum davon erfahren musste.“, sage ich und schenke ihm ein Lächeln. Vielleicht habe ich ja Glück und er fällt auf meinen Flirtversuch rein.
„Oh. Klar, da hast du natürlich Recht. Kannst gerne auch kommen. Meine Adresse steht im Telefonbuch.“, antwortet er und zwinkert mir zu. Jackpot. Manche Jungs sind einfach zu leicht manipulierbar.
„Ich werde da sein.“, sage ich und nicke ihnen zu, als sie sich wieder umdrehen und ihren Weg fortsetzen. Erste Hürde geschafft. Jetzt muss ich nur noch Mum dazu überreden, mich gehen zu lassen. Denn in diesem Punkt hat Ashleys Freundin Recht. Morgen ist Schule und meine Mum ist nicht gerade die toleranteste, was das Feiern angeht.
„Sag mal hast du dich gerade ernsthaft selbst du Coles Party eingeladen?“, höre ich Lissys schrille Stimme direkt neben mir und zucke zusammen. Kann die mich nicht vorwarnen, wenn sie plötzlich auftaucht?
„Wenn du es mitbekommen hast, warum fragst du dann?“, erwidere ich, weil ich rhetorische Fragen hasse. Zumindest wenn sie von anderen kommen. Ich selber stelle sie hundert Mal am Tag.
„Sei nicht gleich so eingeschnappt.“, murmelt sie und will sich schon verziehen, als doch das schlechte Gewissen anfängt an mir zu nagen.
„Hey, Lissy! Warte.“, rufe ich ihr hinterher, doch im Gegensatz du den Jungs bleibt sie nicht stehen. Bleibt mir also keine andere Wahl als ihr hinterherzulaufen.
„Hey ich habe das nicht so gemeint. War halt ein langer Tag. Du kannst ja mitkommen heute Abend.“, schlage ich vor ohne darüber nachzudenken. Innerlich bete ich, dass sie nein sagt. Ich habe keine Lust darauf, sie den ganzen Abend an mir kleben zu haben.
„Hast du mich eigentlich nicht verstanden, als ich dir gesagt habe, du sollst dich von Jason und seiner Gang fernhalten? Die machen nur Ärger.“, entgegnet sie aufgebracht. Ich kann daraufhin nur die Augen verdrehen.
„Wenn ich auf Coles Party gehe, heißt das nicht, dass ich mit Cole abhänge. Oder mit Jason oder mit Jai. Ich möchte einfach mal abchecken, was für Leute so hier in Stratford leben.“, versuche ich sie zu beruhigen. Als sie nicht antwortet, überwinde ich mich dazu sie doch noch einmal aufzufordern, mich zu begleiten.
„Und ich könnte ein bisschen Seitendeckung gebrauchen.“ Fragend und entschuldigend blicke ich sie an und ich merke, wie ihre Gesichtszüge erweichen und sie einknickt.
„Also schön. Ich komme dich um acht abholen.“, sagt sie und lässt mich stehen. Ich mache mir keine weiteren Gedanken darüber, dass sie immer noch sauer ist. Viel wichtiger ist jetzt, dass ich meine Mum und Josey finde, damit ich endlich nach Hause komme. Da höre ich auch schon rechts neben mir ein dreifaches Hupen und drehe mich um. Mum sitzt aufgeregt gestikulierend im Wagen und Josey hat es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht. Kleines Miststück. Sie weiß genau, dass ich es hasse, hinten zu sitzen. Begleitet von lautem Seufzen öffne ich die Hintertür und lasse mich auf den Sitz plumpsen. Sofort werde ich von der vorwurfsvollen Stimme meiner Mutter begrüßt. Herrlich.
„Sag mal bist du eigentlich blind? Ich stehe hier die ganze Zeit und du unterhältst dich seelenruhig mit diesem Mädchen.“ ruft sie aufgebracht, während sie versucht an einer Gruppe von Unterstuflern vorbeizufahren.
„Tut mir leid. Hab dich nicht gesehen.“, entgegne ich und setze mir meine Kopfhörer auf. Ich frage Mum zu Hause wegen heute Abend. Jetzt würde sie garantiert nein sagen. Ich muss einen guten Moment abwarten. Aber eigentlich ist es auch relativ egal, was sie sagt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich heimlich von zu Hause abhaue um etwas zu machen, was sie mir verboten hat. Wenn sie denkt, das würde sich jetzt ändern, nur weil sie mich aus Toronto weggezerrt hat, hat sie sich geschnitten.
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He Ain't All Bad
Fanfiction„Wer ist der da drüben?“, frage ich und deute quer durch den Gang auf einen tättowierten Jungen, der mir schon seit einigen Minuten aufgefallen ist. Ich merke, wie sich ein verträumter Ausdruck auf Lissys Gesicht breit macht. "Das ist Jason. Jason...