Die ganze Sache zu verdrängen war nicht die beste Idee.
Jasons Pov
Als ich durch die Tür mein neues zu Hause betrete, rieche ich sofort den Duft von frisch gebackener Pizza. Lisa kann zwar super nervig sein, aber wenn es ums Essen geht ist sie ein echtes Genie. Sie scheint immer genau zu wissen, was ich gerade brauche. Ich bringe meine Tasche schnell in mein Zimmer, weil es die Betreuer nicht gerne sehen, wenn wir unsere Sachen im Wohnungsflur stehen lassen. Dann schleiche ich mich so leise wie möglich in die Küche, damit Lisa mich nicht hört. Der Pizzageruch wird mit jedem Schritt stärker und mein Magen beginnt zu grummeln.
„Spar dir den Aufwand, mich erschrecken zu wollen. Ich hör deinen Magen bis hier in brummen.“, ruft sie mir zu. Verdammt. Aber ich bin auch wirklich hungrig. Der Tag war echt kein Zuckerschlecken und hat heftig an meinen Nerven gezerrt. Und wenn ich mit den Nerven fertig bin muss ich entweder laufen oder essen.
„Mist. Ich dachte, ich würde es heute einmal schaffen.“, lache ich und stelle mich neben sie an den Herd. Auf dieser Seite hängen ihr die langen blonden Haare über das Gesicht, sodass ich sie nicht sehen kann. Doch ich weiß, dass sie die Haare auf der anderen Seite abrasiert hat und die übrigen Stoppeln zu einem lustigen Muster getrimmt trägt. Außerdem weiß ich, dass sie von ihrer saufenden Mutter vor zwei Jahren sitzen gelassen wurde. Da war sie dreizehn. Ein Jahr lang hat sie sich alleine durchgeschlagen. Dann wurde sie beim Essen klauen erwischt und hierher gebracht. Jetzt ist sie fünfzehn und lebt hier seit einem Jahr. Bis vor anderthalb Monaten hat sie die Wohnung nur mit Kayla geteilt. Dann kam ich. Lisa ist fünfzehn, aber sie wirkt wie dreiundzwanzig. Sie kümmert sich wie eine Mutter um Kayla und mich. Obwohl wir beide älter sind als sie.
„Träum weiter, Jase. Mich kann niemand erschrecken. Nach einem Jahr auf der Straße entwickelst du einen Spürsinn dafür, wenn sich jemand von hinten an dich anschleicht.“ Sie wendet mir ihren Kopf zu und schenkt mir ein Lächeln. Ihr Lachen ist immer echt. Trotz ihrer Vergangenheit scheint sie ein durch und durch positiver Mensch zu sein. Das in eine der vielen Eigenschaften um die ich sie beneide. Eine andere ist, dass sie offen über ihre Mutter sprechen kann. Ihre saufende Mutter. Dass sie mir von ihrem Vater erzählt hat, der abgehauen ist, als sie zehn war, vorher aber mit seinen Schlägen mehr als genug Schaden an ihr und ihrer Mutter angerichtet hat. Darum beneide ich sie nicht. Aber ich beneide sie darum, dass sie offen darüber reden kann. Sie weiß bis heute nicht, warum ich hier bin. Es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz zwischen uns. Sie fragt nicht und respektiert meine Verschwiegenheit. Gleichzeitig weiß ich, dass sie hofft, dass ich mich ihr irgendwann offenbaren werde.
„Nimm dich in Acht. Irgendwann kriege ich dich noch. Die Pizza sieht übrigens hammer aus.“, antworte ich und möchte mir schon ein Stück nehmen, als sie auf meine ausgestreckte Hand schlägt. Reflexartig ziehe ich sie zurück und mache gleich einen ganzen Schritt nach hinten. Überrascht blickt sie mich an.
„Alles ok? Wollte dir nicht wehtun. Will nur auf Kayla warten und dann mit ihr gemeinsam essen. Fänd es ganz schön mal was zu dritt zu machen.“, sagt sie, aber ich habe mich schon längst wieder gesammelt.
„Achso. Klar. Ne mit mir ist alles in Ordnung. Hast Recht. Lass uns auf Kayla warten.“, sage ich gespielt munter und setze mich auf einen der drei Stühle am Küchentisch hinter mir. Lisa macht eine Ausbildung zur Küchenhilfe in einem Hotel. Deshalb arbeitet sie häufig früh morgens oder spät abends, weshalb sie tagsüber meistens in der Wohnung ist, um für uns zu kochen oder alles sauber zu halten. Ohne sie würden Kayla und ich die Wohnung wahrscheinlich komplett zumüllen. Nicht, dass die Betreuer, die einmal in der Woche vorbeikommen um nach dem Rechten zu sehen, das zulassen würden.
Kayla arbeitet in einem Friseursalon und macht dort ihre Ausbildung. Sie kommt meistens genau dann nach Hause, wenn auch für mich die Schule zu Ende ist. Deshalb sollte sie jeden Moment eintreffen.
DU LIEST GERADE
He Ain't All Bad
Fanfiction„Wer ist der da drüben?“, frage ich und deute quer durch den Gang auf einen tättowierten Jungen, der mir schon seit einigen Minuten aufgefallen ist. Ich merke, wie sich ein verträumter Ausdruck auf Lissys Gesicht breit macht. "Das ist Jason. Jason...