Part 17

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Scarletts Pov

Als ich am Ende der letzten Stunde den Schulgong vernehme, entspanne ich mich nicht wie sonst immer, sondern spüre, wie sich sämtliche Muskeln in mir zusammenziehen. Jetzt ist es so weit. Ich beeile mich, den Raum und auch das Schulgelände zu verlassen, damit ich weder Cole noch Lissy begegne. Die beiden sind schließlich der Annahme, dass ich von meiner Idee, bei Jason vorbeizuschauen, Abstand genommen habe. Aber das habe ich nicht. Ganz und gar nicht. Ich weiß genau, dass ich nicht zur Ruhe komme, ehe ich weiß, was bei ihm los ist. Also entferne ich mich zügigen Schrittes immer weiter von der Schule, bis ich so weit weg bin, dass ich sicher sein kann, dass mir niemand mehr folgt.

Ich weiß genau, wo Jason wohnt, weil wir in der Nacht vor vier Tagen, als wir zusammen von der Party abgehauen sind, an seinem Haus vorbeigekommen sind und er mir gezeigt hat, hinter welchem der Fenster sich sein Zimmer befindet. Komischerweise erinnere ich mich an den Weg, obwohl ich in der Nacht so viel getrunken habe, genau. Als würde ich ihn zum hundertsten Mal gehen, laufe ich durch die Straßen von Stratford und als ich schließlich in Jasons Straße einbiege, erkenne ich sein Haus sofort und laufe zielstrebig darauf zu.

Ich meine, hinter dem Fenster, das zu seinem Zimmer gehört, einen Schatten zu sehen. Das macht mir Mut. Wenn er zu Hause ist, bin ich wenigstens nicht umsonst den ganzen Weg gelaufen. Er muss aber auch die Tür aufmachen.

Und was, wenn sein Vater für ihn öffnet und mir verbietet, reinzukommen?

Ich kehre diesen Gedanken ganz schnell beiseite und drücke auf die Klingel, da ich mittlerweile direkt vor der Haustür stehe. Erst tut sich gar nichts. Dann höre ich Schritte eine Treppe hinunterkommen.

Mein Herz pocht. Bumm bumm. Bumm bumm.

Bitte lass es Jason sein. Bitte lass ihn gesund sein. Bitte lass das alles nur ein riesiges Missverständnis sein.

Jasons Pov

Es ist mittlerweile schon nach drei Uhr und ich höre Dad immer noch unten im Haus herumlaufen. Verdammt. Was, wenn er heute gar nicht zur Arbeit geht?

Tick. Tack.

Tick. Tack.

In meinem Zimmer befindet sich überhaupt keine analoge Uhr, doch ich höre die Zeiger trotzdem in meinem Kopf ticken. Beruhig dich, Jason. Es kommt öfter vor, dass er verspätet aufbricht. Er ist noch nie zu Hause geblieben.

Noch nie.

Heißt nicht, dass es kein erstes Mal geben kann.

Ich liege immer noch auf meinem Bett und rühre mich nicht von der Stelle. Ich habe Angst, durch irgendein Geräusch seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Fast kommt es mir so vor, als wäre ich wieder vier oder fünf Jahre alt und würde mich zusammen mit meiner Mutter an einem Samstagmorgen in meinem Kinderzimmer verstecken. Nur, dass ich dieses Mal alleine bin.

Mum ist nicht da.

Schon lange nicht mehr.

Der plötzliche Ton unserer Klingel lässt mich beinahe aufrecht im Bett sitzen. Sämtliche meiner Muskeln sind angespannt und die Härchen auf meinen Armen haben sich aufgestellt. Verdammt. Warum muss ausgerechnet jetzt jemand klingeln? Ohne von meinem Bett aufzustehen, bewege ich mich langsam zum Fenster, um nachzusehen, wer vor unserer Tür steht. Scarlett. Was macht die denn hier? Woher weiß sie überhaupt, wo ich wohne. Mir fällt ein, dass wir in unserer ersten Nacht an meinem Haus vorbeigegangen sind. Sie war wohl doch nicht so betrunken wie ich dachte, wenn sie es geschafft hat, sich den gesamten Weg zu merken. Ich möchte ihr eigentlich nicht aufmachen, doch dann höre ich, wie sich die Kellertür öffnet und mein Vater in den Flur tritt.

Nein.

Wenn sie ihm Fragen stellt. Sie darf ihm auf keinen Fall begegnen. Das würde für mich den Weltuntergang bedeuten. Er würde mich umbringen. Endgültig.

So schnell ich kann springe ich von meinem Bett und laufe die Treppe hinunter zur Tür. Meine Hand pocht unheimlich, aber das ist mir egal. Hauptsache ich bin schneller als mein Vater. Zum Glück hat er die Eingangshalle noch nicht erreicht und ich öffne die Tür nur einen Spaltweit, damit Scarlett nicht auf die Idee kommt, das Haus zu betreten. Außerdem soll sie meine Hand nicht sehen.

Scarletts Pov

Die Schritte, die ich zuvor noch auf der Treppe gehört habe, nähern sich nun der Tür und die Klinke bewegt sich nach unten, bevor die Tür leicht nach innen hin geöffnet wird. Ein Stein fällt mir vom Herzen, als ich erkenne, dass es Jason ist, der mich reinlässt. Oder auch nicht. Denn er stellt einen Fuß so gegen die Tür, dass ich weder eintreten, noch hineinblicken kann.

„Was machst du denn hier, Scarlett?“, fragt er scheinbar unbekümmert, dabei erkenne ich an der Anspannung, die in seinem Körper steckt, wie nervös er ist. Mit jeder Sekunde werde ich mir sicherer, dass ich Recht habe und hier wirklich etwas nicht stimmt.

„Warum hast du Cole gestern angelogen und warst heute nicht in der Schule?“, frage ich ihn ziemlich direkt. Ich merke, dass er damit nicht gerechnet hat, weil er kurz zögert, bevor er zu einer Antwort ansetzt.

„Es ist gerade echt schlecht, Scarlett. Können wir das nicht am Montag in der Schule klären?“, fragt er und blickt dabei immer wieder hektisch hinter sich.

„Jason was ist los?“ Ich lasse mich nicht mit einer Ausrede abspeisen.

„Wer ist da an der Tür Jason?“, höre ich plötzlich eine tiefe, ziemlich wütend klingende Stimme aus dem Inneren des Hauses. Jason zuckt zusammen.

„Niemand.“, ruft er zurück und drückt sich durch den kleinen Türspalt zu mir nach draußen, als sich von hinter ihm Schritte nähern.

„Wo willst du hin?“, brüllt die Stimme. Jason greift mit seiner rechten Hand nach meinem Arm und zieht mich hinter sich her die Straße entlang. Das irritiert mich, weil er eigentlich Linkshänder ist. Aber ich habe keine Zeit, ihn danach zu fragen, weil er plötzlich anfängt zu rennen, als wir die Schreie seines Vaters hinter uns auf der Straße hören. 

He Ain't All BadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt