Scarletts Pov
„Musst du mich so erschrecken?“, rufe ich und er wirft mir einen gestellten Hundeblick zu.
„Hab dich nur gefragt, ob es dir da drinnen zu laut ist.“, murmelt er und steckt sich eine Zigarette in den Mund. Toll. Und jetzt? Die Party ist Mist. Das habe ich mittlerweile auch gemerkt. Vielleicht kann ich aber ja trotzdem noch das Beste aus dem Abend machen.
„Schon ziemlich voll hier.“, sage ich und setze mich neben ihn auf die Treppe. Eine Weile sitzen wir einfach nur schweigend da, doch irgendwann habe ich das Gefühl, die Stille brechen zu müssen, weil sie mir langsam unangenehm wird.
„Und warum sitzt du so ganz alleine hier draußen? Ist doch die Party deines besten Freundes.“, frage ich und mir fällt wieder ein, dass eine von Ashleys Freundinnen mehrfach gesagt hat, dass Jason seit irgendeinem Vorfall auf keiner Party mehr war.
„Ist nicht so gut, wenn mich die Leute da drinnen sehen.“, lautet seine knappe Antwort und normalerweise hätte ich nachgehakt, aber ich merke, dass ihm das Thema nicht gefällt. Daher nicke ich nur.
„Würde nur wieder alte Geschichten hochholen, die eigentlich alle vergessen schon vergessen haben.“, fährt er aber da doch noch fort.
„Alte Geschichten?“, wage ich mich vor. Doch Jason macht nur eine abfällige Handbewegung.
„Egal.“, sagt er und zaubert ein gequältes Lächeln auf sein Gesicht.
„Anderes Thema. Wie gefällt dir Stratford bisher so?“, fragt er und mir ist klar, dass er was die alten Geschichten angeht jetzt endgültig zumacht. Ich setze an um auf seine Frage zu antworten, doch ich muss innehalten. Wie gefällt mir Stratford? Ich habe keine Ahnung.
„Um ehrlich zu sein kann ich das noch nicht so abschätzen. Aber dass ich mich schon am ersten Abend heimlich von zu Hause verpisst habe, kann eigentlich nichts Gutes bedeuten.“, überlege ich laut und Jason lacht.
„Wieso? Hört sich doch aufregend an.“, wirft er ein und drückt die Zigarette auf dem Boden zwischen seinen Schuhen aus. Schlagartig muss ich schmunzeln.
„Wenn du Stress mit deiner Mutter als aufregend beschreibst, dann ja.“, antworte ich und verdrehe die Augen.
„Kenne ich irgendwoher. Nur dass es nicht meine Mum ist, sondern mein Dad.“, murmelt er und wird plötzlich wieder ernster. Ich habe das Gefühl, dass sich unser Gespräch wieder in eine Richtung entwickelt, die ihm nicht gefällt. Mein Verdacht bestätigt sich, als er aufsteht und wieder dieses Lächeln auf seinem Gesicht erscheint, von dem ich mir sicher bin, dass es nicht echt ist.
„Hast du Lust auf eine richtige Party zu gehen?“, fragt er und ich blicke ihm verwirrt entgegen. Was soll das denn bedeuten?
„Wie? Jetzt oder was?“, frage ich, weil ich mir sicher bin, dass ich mich verhört habe. Gespielt genervt verdreht er die Augen.
„Ne übermorgen. Natürlich jetzt.“, sagt er und hält mir seine linke Hand hin. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das hier falsch ist und dass ich ganz schnell wieder nach drinnen und zu Lissy gehen sollte. Jason vergessen und pünktlich und unbemerkt wieder nach Hause gehen. Das Richtige tun. Aber da ist noch eine andere Stimme in meinem Kopf, die mir einredet, dass es eine einmalige Chance ist. Jason scheint in Ordnung zu sein. Jeder hat ein paar Laster mit sich zu tragen. Und wenn ich schon in einem langweiligen Kaff leben muss, kann ich mir mein Leben ja wenigstens ein bisschen interessanter gestalten. Ich hole tief Luft, verbanne die Stimme, die mich davor warnt, mit ihm zu gehen, in die hinterste Ecke meines Kopfes und nehme seine Hand.
Jasons Pov
Bingo. War vielleicht gar nicht so schlecht, dass ich doch noch gekommen bin. Ich würde es ihr gegenüber zwar niemals zugeben, aber als sie sich auf dem Schulparkplatz selber bei Cole eingeladen hat, hat sie mich neugierig gemacht. Wahrscheinlich wäre ich sonst zu Hause geblieben wie sonst auch immer. Oder ich wäre direkt wo anders hin gefahren. Irgendwohin, wo mich keiner kennt. Wo niemand meine Geschichten kennt. Mich die Leute verstehen.
Scarletts Pov
Seit ich nach Jasons Hand gegriffen und mich für das Falsche entschieden habe, sind etwa zehn Minuten vergangen und wir laufen schweigend durch eine enge Gasse.
„Wo genau gehen wir jetzt hin?“, frage ich leicht beunruhigt.
„Lass dich überraschen.“, sagt er nur und grinst mir zu. Auf einmal spüre ich, wie mein Handy in meiner Hosentasche vibriert. Ich nehme es heraus und blicke auf das Display. Lissy. Klar. Sie muss sich fragen, wo ich bin. Es kommt mir vor, wie ein Weckruf. Als würde Lissy uns sehen und mich zurück auf die zivilisierte Schülerparty rufen. Weg von Jason und der Versuchung meine Mum und den Ärger, der zu Hause garantiert auf mich wartet, zu vergessen.
„Willst du nicht rangehen?“, fragt da Jason und ich brauche nur einen kurzen Augenblick um meine endgültige Entscheidung zu treffen.
„Nein. Ist nicht so wichtig.“, murmele ich, drücke Lissy weg und lächle ihm zu.
Jasons Pov
Sie ist anders. Weder Schlampe noch von den Gerüchten, die wie eine Mauer um mich herum bestehen, abgeschreckt und verunsichert. Ich habe fast das Gefühl, dass sie mir vertraut.
Scarletts Pov
„Gleich sind wir da.“, sagt Jason als wir um eine Ecke biegen und die enge Gasse endlich verlassen. In einiger Entfernung ragt ein altes Fabrikgebäude vor uns auf und die von Laternen beleuchtete Straße, die sich vor uns erstreckt, lässt mich wieder mehr Sicherheit empfinden. Nachdem wir noch ungefähr fünf Minuten gelaufen sind, haben wir Jasons Ziel anscheinend erreicht. Ich erinnere mich an solche Partys in Toronto. Mum hat mich einmal von einer aufgesammelt, weil sie von irgendwo her erfahren hat, dass ich da war. Ich hatte danach einen Monat Hausarrest. Ich kann nur hoffen, dass Lissy nicht so blöd ist und zu mir nach Hause rennt um Mum zu alarmieren. Vielleicht sollte ich ihr doch Bescheid sagen.
„Ich muss kurz Lissy schreiben, damit sie sich keine Sorgen macht.“, sage ich zu Jason und bleibe stehen um die SMS zu schreiben.
„Lissy?“, fragt er verwirrt und mir fällt ein, dass ja nur ich sie so nenne.
„Elisabeth.“, kläre ich ihn auf und entsperre mein Handy. Ich habe zwei Sprachnachrichten und zehn SMS von ihr.
von Scarlett – an Lissy
Mach dir keine Sorgen. Bin noch wo anders hin. Sorry, dass ich nicht Bescheid gesagt habe. Brauchst nicht auf mich zu warten. Gehe von hier direkt nach Hause.
Ich kann nur hoffen, dass sie nicht allzu sauer ist, wobei mir schon klar ist, dass das, was ich abziehe nicht in Ordnung ist. Ich habe sie alleine auf einer Party gelassen, auf der sie nur wegen mir war. Ich an ihrer Stelle wäre mehr als stinkwütend.
„Können wir jetzt rein gehen?“, fragt Jason und wirft mir einen ungeduldigen Blick zu.
„Klar.“, antworte ich und stecke mein Handy zurück in die Hosentasche.
Im Inneren des Gebäudes steht die Luft vor Qualm, der garantiert nicht nur von Zigaretten stammt. Die Musik ist laut und niemand hier scheint auch nur im entferntesten Sinne etwas mit unserer Schule zu tun zu haben oder nüchtern zu sein. Jason greift nach meinem Arm und zieht mich zu einer Bar hinüber, die ziemlich provisorisch aussieht.
„Zwei Shots.“, ruft er dem zwielichtig aussehenden Typen auf der anderen Seite der Theke zu und bevor ich widersprechen kann, hält er mir seinen Zeigefinger an den Mund.
„Ich lade dich ein. Keine Widerrede.“, sagt er und reicht mir eins der beiden kleinen Gläser mit klarer Flüssigkeit, die der Typ ihm rübergeschoben hat. Ich schlucke alle meine Bedenken herunter und greife danach. Als Jason die nächste Runde bestellt, habe ich schon keine Bedenken mehr. Egal. Scheiß Kaff. Scheiß auf alles. Lasst mich meinen Spaß haben.
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He Ain't All Bad
Fanfiction„Wer ist der da drüben?“, frage ich und deute quer durch den Gang auf einen tättowierten Jungen, der mir schon seit einigen Minuten aufgefallen ist. Ich merke, wie sich ein verträumter Ausdruck auf Lissys Gesicht breit macht. "Das ist Jason. Jason...