Part 22

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Jasons Pov

Seit geschlagenen zwanzig Minuten stehe ich an der Straßenecke neben Scarletts Haus und warte darauf, dass sie endlich herauskommt. Erst sagt Cole, dass er sich verspätet und jetzt lässt sie sich ewig Zeit. Was soll der Mist? Ich habe keine Lust, hier stundenlang zu warten. Da hätte ich auch gleich bei Cole bleiben und nachher mit ihm kommen können. Wenn ich so alleine bin, muss ich an Dad denken. Und die Stehlampe. Ich weiß immer noch nicht, wo ich das Geld herkriegen soll. Im Zweifelsfall muss ich Cole darum bitten, es mir zu leihen.

Ich weiß, dass diese Lampe nicht mein einziges Problem ist. Ich weiß, dass Scarlett eigentlich Recht hat, wenn sie sagt, dass es so nicht weitergeht. Mit Dad. Aber so sehr ich ihn hasse, bringe ich es nicht fertig, ihn zu verraten. Er leidet so sehr. Ich muss an Mum denken. Sie hat auch gelitten. So viel mehr. Noch so viel mehr als ich. Auch sie hat es ertragen ohne ein Wort zu sagen. Nie auch nur ein einziges.

Er ist ein toller Ehemann, nicht war Jason? So hat sie von ihm geredet, wenn sie mit anderen Leuten zusammen war. Ich habe es nie verstanden. Nie. Er hat sie geschlagen. Er hat sie behandelt wie den letzten Dreck. Nie hat sie auch nur ein Widerwort gegeben. Bis zu dem einen Tag. Als er ausgerastet ist. Als er seine Hand gegen mich gehoben hat. Da ist etwas mit ihr passiert. Es hätte nicht passieren dürfen. Nein. Niemals. Jetzt ist sie weg. Für immer. Mum.

Meine Hand tut immer noch höllisch weh. Ich weiß nicht, ob sie wirklich gebrochen ist, aber ich kann nicht zum Arzt, weil der mein blaues Auge sehen und Fragen stellen würde. Und meinen Vater kontaktieren. Ihm sagen, dass ich mich prügele. Nein. Diesen Fehler habe ich einmal gemacht und das reicht mir. Ich bin nicht blöd. Ich lerne aus meinen Fehlern. Oder aus seinen. Wie auch immer.

Ungeduldig blicke ich auf meine Uhr. Halb neun. Wir haben acht abgemacht. Ich spüre ein Kribbeln in der Magengegend und hole tief aus um gegen die Straßenlaterne zu treten, neben der ich stehe. Sie hat nicht das Recht dazu, mich hier so lange warten zu lassen.

Scarletts Pov

Als ich endlich das Klicken des Schosses höre, stürze ich aus meinem Zimmer an Josey vorbei ins Bad. Eigentlich war ich vor einer halben Stunde mit Cole und Jason an der Straßenecke verabredet, aber wegen Josey habe ich die ganze Zeit über in meinem Zimmer gehockt. Das kleine Mistkind muss auch ausgerechnet dann duschen gehen, wenn ich los muss. Ich mache mich so schnell es geht fertig, aber trotzdem ist es schon zwanzig vor neun, als ich endlich leise die Haustür hinter mir schließe und mich in Richtung Straßenecke bewege. Mum hat sich schon in ihr Schlafzimmer zurückgezogen und Josey telefoniert in ihrem Zimmer mit irgendeiner Freundin. Freundin. Ich habe mich seit Freitag nicht mehr bei Lissy gemeldet. Aber es ist so viel passiert. Ich nehme mir vor, ihr morgen zu schreiben. Morgen auf jeden Fall.

Ich bin echt froh, dass Cole heute Abend mitkommt und ich nicht alleine mit Jason sein werde. So sehr ich es möchte, kann ich einfach nicht vergessen, in was für einem Zustand ich ihn heute morgen angetroffen habe. Die Farbe seiner Augen geht mir nicht aus dem Kopf. Dunkelbraun. Fast schwarz. Einerseits wie ein in die Ecke gedrängtes Reh, andererseits wie ein Löwe, der auf die nächste Fütterung wartet.

Als ich um die Ecke biege, trifft mich der Schock wie ein Schlag. Da ist kein Cole. Nur.. Nur Jason. Nur..

„Wo hast du so lange gesteckt?“ Sein Ton ist aggressiv und erinnert mich an heute morgen, als er mich angebrüllt hat.

„Tut mir leid. Josey hat das Bad nicht freigemacht.“, lautet meine knappe Antwort. Wo ist Cole? Wo verdammt ist er? Jason achtet nicht auf mich, sondern läuft zügigen Schrittes die Straße entlang. Ich beeile mich ihm zu folgen, obwohl ich eigentlich schon gar keine Lust mehr habe, mit ihm auf die Party zu gehen. Im Übrigen habe ich ja auch nur zugesagt, weil Cole mitkommen wollte. Und jetzt ist er nicht da. Scheiße. Verdammt.

„Warum ist Cole nicht da?“ Jason antwortet nicht. Er läuft zielstrebig weiter die Straße entlang.

„Und warum hast du mir nicht wenigstens geschrieben, dass du später kommst?“ Er ist so gereizt, dass es mir vorkommt, als würde er unter Strom stehen. Wie ein Kind, das ausversehen in die Steckdose gepackt hat.

„Ich hab Cole geschrieben.“ Er bleibt so abrupt stehen und dreht sich um, dass ich nicht reagieren kann und gegen ihn laufe. Es fühlt sich an, als würde ich gegen eine Mauer aus Stein prallen. Ich will einen Schritt nach hinten machen, doch er umfasst meine Handgelenke mit eisernem Griff.

„Cole ist aber nicht hier, wie du siehst. Du hättest mir schreiben sollen.“ Er macht einen Schritt auf mich zu, obwohl das eigentlich gar nicht möglich ist, weil wir schon so dicht beieinander stehen. Ich versuche meine Arme loszureißen, bin aber nicht stark genug. Seine Hände drücken sich in meine Haut und es fühlt sich an, als würden meine Finger absterben.

„Lass mich los, Jason.“, sage ich, doch er scheint mich nicht zu hören. Als ich zu seinem Gesicht hinauf blicke, starren tiefschwarze Augen auf mich hinunter.

„Das nächste Mal“

Ich wende all meine Kraft auf, aber sein Griff ist zu stark.

„Das nächste Mal sagst du mir Bescheid, wenn du dich verspätest.“ Es klingt wie eine Drohung. Nein. Es ist eine Drohung. Wenn du mir nicht Bescheid sagst, passiert was. Dann drücke ich dir nicht nur meine Hände in deine Arme. Nach so einer Drohung hört es sich an. Mein Herz pocht wie verrückt und ich fühle mich hilflos.

Wehrlos.

Allein.

„Lass mich los, Jason.“, flehe ich noch einmal. Sein Griff verstärkt sich nur noch einmal.

„Was macht ihr denn noch hier?“ Coles Stimme ertönt aus einiger Entfernung hinter mir und kommt mir vor wie ein Rettungsring, der mich vor dem Ertrinken bewahrt. Jason wendet seinen Blick von meinem Gesicht ab und schaut hinter mich in die Richtung, aus der Cole anscheinend auf uns zukommt. Ich wage es nicht, mich nach ihm umzusehen. Zu fest sitzen die Handschellen um meine Arme. Doch dann bin ich frei. Ich spüre, wie das Blut beginnt wieder durch meine Adern zu fließen und blicke nach unten auf meine Handgelenke. Die Abdrücke seiner Finger haben sich wie rote Tattoos in meine Haut gepresst.

„Hallo? Habt ihr verlernt zu sprechen oder was?“ Plötzlich spüre ich, wie jemand hinter mich tritt und seine Hand um meine Hüfte legt. Immer noch wie erstarrt drehe ich mich langsam zur Seite, um Cole zu begrüßen.

„Quatsch. Alles klar hier. Stimmts, Scarlett?“, ergreift da Jason das Wort. Jetzt ist dein Moment, Scarlett. Sag Cole, was er mit dir gemacht hat. Zeig ihm die Abdrücke auf deinen Handgelenken. Zeig es ihm.

Mach was.

Irgendwas.

Jetzt.

Ich blicke hoch zu Jason. Seine hellbraunen Augen scheinen plötzlich unendlich weich und liebevoll. Er lächelt sogar.

Ich knicke ein. Knack. Rums. Als würde ich fallen. Immer weiter. Es fühlt sich ein, als würde ich immer schwerer werden. Unendliche Tiefe. Ich lächle. Erst zu Jason. Dann zu Cole. „Klar. Alles gut. Lasst uns gehen.“

He Ain't All BadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt