ZWEIUNDFÜNFZIG: Die Gequälte

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( Und immer noch blockiert.)

CASSIA:

,,Bitte Molly!", flehe ich sie an, ehe mich die nächste Welle an Schmerzen überkommt. Die Zähne aneinander gepresst versuche ich keinen Laut von mir zu geben, während mein Körper sich anfühlt als würde jede einzelne Zelle in Flammen stehen.

Molly verzieht ihr Gesicht nur zu etwas, das wohl ein trauriges Lächeln sein soll und ignoriert meine Bitte aufs Neue. Mit einer Hand tupft sie meine Stirn mit einem Nassen Tuch ab, die andere hält meine fest umklammert.

Ich weiß nicht wie lange das hier schon geht, es fühlt sich an wie Jahre, aber vermutlich ist es nicht einmal eine Stunde. Wieso kann ich nicht nur eine Nacht mal durchschlafen? Als die Anfälle immer mehr wurden und ich schließlich ausnahmslos jede Nacht davon gequält wurde ist Molly auch in dieses Zimmer gezogen. Sie schläft in Freds Bett, um sofort da zu sein wenn es wieder los geht. Es ist inzwischen schon zur Routine geworden, was nicht bedeutet, dass ich mich auch nur ansatzweiße an diese Schmerzen gewöhne. im Gegenteil es wird mit jedem Mal schlimmer. Zumindest fühlt es sich so an.

,,Bald ist es vorbei", flüstert Freds Mum leise und streichelt mit ihrem Daumen über meinen Handrücken. Natürlich ist es nicht so. Es ist nie so und wir beide wissen es. Und sobald es dann tatsächlich überwunden ist, kann ich mich kaum erholen, ehe der nächst Anfall schon kommt. ,,Bitte Molly!", bringe ich erneut hervor. Ich winde mich in meinem Bett, verzweifelt versucht irgendwie der Folter zu entgehen. Es ist ein Wunder, dass ich Mollys Hand noch nicht gebrochen habe so fest wie ich sie drücke. Ich will sie nicht verletzen, aber es scheint mir unmöglich auch nur einen Muskel zu entspannen. Molly sagt nichts. Sie tupft nur wieder mit ihrem Tuch auf meiner Stirn herum.

,,Bitte! Ich kann nicht mehr!", jedes Wort kostet mich unglaublich viel Kraft und ist kaum zu verstehen, da ich weder meine Lippen noch meine Zunge unter Kontrolle habe. Eine Weitere Welle strömt über meinen Körper und ich übergebe mich über den Bettrand als würde mein Gehirn denken die Schmerzen können so meinen Körper verlassen. Natürlich tun sie das nicht aber ich habe wenigstens für einen Moment meinen Kiefer unter Kontrolle. ,,Ich kann nicht mehr. Bitte töte mich, Molly! Bitte!", meine Stimme ist nicht mehr als ein Wimmern. Vermutlich hätte sie den Satz nicht einmal verstanden, würde ich sie nicht jede Nacht aufs neue darum bitten.

Unter größter Anstrengung hebe ich den Kopf und sehe ihr in die Augen. Sie weint, sagt aber kein Wort und versucht mich weiterhin aufmunternd anzulächeln. Sie wischt mir Erbrochenes aus dem Gesicht und fängt an irgendein Kinderschlaflied zu Summen. Ich schließe die Augen als das Feuer in meiner Brust wieder zu stark wird und versuche an was schönes zu denken. Aber allein der Versuch mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren wird von einem weiterem Stechen in meinem Kopf bestraft. Erneut muss ich würgen, aber da ich nichts mehr in mir habe, dass ich auskotzen könnte verbreitet sich nur der ekelhafte Geschmack von Magensäure und Blut auf meiner Zunge aus.

Vielleicht ist das das letzte Mal. Vielleicht sterbe ich jetzt sowieso. Vielleicht beendet es mein Körper alleine.

Mollys Gesang wird von einem ihrer unterdrückten Schluchtzer kurz aus dem Takt gebracht und ich selbst gebe unkotrolliert Laute von mir, die dem Winseln eines Hundewelpen wohl am ähnlichsten sind. Es ist erbärmlich. Ich bin erbärmlich. Jeden Hauch an Würde und Stolz habe ich schon ausgekotzt. Wie ein Baby liege ich in meiner eigenen Kotze und muss mich von einer Mutter, die nicht einmal meine ist, versorgen lassen. So wollte ich nicht sterben. Aber genau jetzt will ich nichts anderes mehr. Ich will diese Demütigung nicht mehr länger ertragen. Ich kann sie nicht länger ertragen. Ich bin am Ende meiner Kräfte. Ich gebe auf.

,,Bitte Molly! Mach dass es aufhört!", flehe ich wieder, als für einen Moment wieder meine Zunge verwenden kann. Bereits im Nächsten zwingt mich ein Krampf in meiner Wirbelsäule mich dazu meinen Rücken zu verbiegen bis ich eher einem Fisch als einen Menschen gleiche und mich mit meiner freien Hand hilfesuchend ins Leintuch kralle um mich irgendwo festzuhalten.

Molly singt. Ihre brüchige Stimme taucht die ganze Szene auf groteske weiße in eine Ruhige Stimmung. ,,Ich kann nicht mehr!", wimmere ich verzweifelt und presse meine Augenlieger fest zusammen. Plötzlich fällt jede Spannung von meinen Muskeln und der Schmerz lässt langsam nach. Die Augen immernoch geschlossen fange ich an haltlos zu weinen. Ich finde nicht dir Kraft irgendetwas an meiner Position zu ändern und bleibe desswegen genauso verränkt wie ich jetzt daliege und genieße  einfach das Gefühl der heißen Tränen auf meinen Wangen. Ich weiß, sobald ich es schaffe zu weinen habe ich es überwunden.

Auch Molly hat anscheinend gemerkt, dass es vorbai ist, denn sie lässt meine Hand los und ich spüre wie die Matraze sich hebt und sie aufsteht. Ihre Schritte verraten mir dass sie den Raum verlassen hat. Ich schaffe es immernochnicht meine Augen zu öffnen und weine stattdessen einfach weiter. Ein paar Augenblicke später spüre ich wie sich die Matraze neben mir wieder senkt, aber diesesmal auf der anderen Seite. 

Es ist nicht Molly. Ich kenne den Geruch. Es ist Fred. ,,Hey", flüstert er leise, als währe nichts und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Augenblicklich kommen mir mehr Tränen. Ich will nicht dass er mich so sieht. ,,Schh", flüstert er, und wischt sie weg. Ohne zu beachten, dass ich wohl nach Schweiß und Kotze stinke, und vermutlich aussehe wie das Elend in Person legt er sich wortlos neben mich und zieht mich in seine Arme.

Ich schluchze auf, zum einen, weil der Krampf in meiner Wirbelsäule noch nicht vollkommen verschunden ist, hauptsächlich aber weil ich nicht fassen kann, dass ich einen so unglaublich tollen Menschen verdient habe. Wir verharren einige Momente in dieser Position. Ich genieße seine Anwesenheit, die mir nach dieser Tortur so gut tut.

,,Fred?", flüstere ich irgendwann, als ich mich wieder halbwegs beruhigt habe. ,,Ja?", antwortet er leise. Es bleibt einen Moment Still in dem ich die richtigen Worte suche. ,,Wenn du mich liebst, dann töte mich."

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