25.

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Jimmy kam schon mit dem fertigen Kaffee ins Wohnzimmer zurück und Carlisle hatte sich immer noch nicht dazu geäußert warum er abgehauen war. „Junge jetzt reicht es aber langsam! Sag' uns endlich wo du warst und warum du nicht heim gekommen bist!", rief sein Vater aufgebracht. Liz, die auf meinem Schoß saß, zuckte zusammen. Beruhigend strich ich ihr über den Rücken. „Ich hab mich geprügelt.", meinte der Junge kleinlaut. „Du hast was?!", jetzt war sein Vater noch aufgebrachter als zuvor. „Ich hab mich geprügelt, okay?! Ich wollte nicht auch noch von dir fertig gemacht werden also bin ich abgehauen!", schrie Carlisle ihn an. Mr. Smith sah seinen Sohn mit großen Augen entgeistert an. „Und du gehst lieber in einen eiskalten Sturm und erfrierst anstatt dich wie ein Mann deinen Problemen zu stellen?" Innerlich klatschte ich meine Hand gegen meine Stirn. Männer... so typisch. „Ich bin nunmal kein Mann! Ich bin noch ein Kind, das sagst du doch selbst oft genug! Ihr wärt doch froh gewesen wärt ihr mich losgeworden!" Carlisle war von seinem Hocker aufgesprungen und hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Wie kannst du so etwas sagen?", flüsterte seine Mutter. In ihren Augen hatten sich Tränen gebildet. Voller Entsetzen und Trauer sah sie ihren Sohn an. „Du bist nicht unser einziger Sohn und auch nicht der Älteste, ja. Und du bist auch nicht immer einfach. Aber das heißt doch nicht, dass wir dich nicht lieben. Du bist trotzdem unser Sohn." Jetzt liefen ihr schon die ersten Tränen über die Wange. Vater und Sohn schienen ihre Wut für einen kurzen Moment vergessen zu haben. Tröstend legte Mr. Smith seiner Frau einen Arm um die Schulter. „Sie hat recht. Du bist nicht einfach und dafür hast du halt manchmal eine Tracht Prügel verdient. Dennoch bist du unser Sohn und selbstverständlich haben wir uns Sorgen gemacht. Du hättest tot sein können.", presste er zwischen den Zähnen hervor. Er versuchte ruhig zu bleiben, was ihm nicht ganz so gelang. Carlisle schien es jedoch überzeugt zu haben. Er hatte sich langsam wieder hingesetzt und schaute schuldbewusst zu Boden. Es dauerte eine Weile bis er antwortete. „Es tut mir leid." Ich betete in Gedanken an Gott: Lass den Vater jetzt bloß nichts Dummes sagen! Es schien zu funktionieren, denn dieser stand bloß auf und nahm seinen Sohn in den Arm. „Schon gut. Jeder macht Fehler. Ich hoffe du wirst daraus lernen." Dann setzte er sich wieder. Mrs. Smith hatte zur Beruhigung an ihrem Kaffee genippt. „Und jetzt zu Ihnen.", setzte Mr. Smith an und wandte sich an Jimmy. „Wie können wir Ihnen nur danken? Sie haben unseren Jungen gerettet und ich kenne nicht einmal ihren Namen." „Jimmy, Jimmy Darling.", gab mein Freund etwas kleinlaut von sich. Er hatte sich die ganze Zeit ruhig verhalten und die Hände unterm Tisch versteckt. „Wieso waren Sie überhaupt dort im Wald? Soweit ich weiß gehört die Hütte dem alten Brown.", fragte nun Mrs. Smith und sah Jimmy neugierig aus ihren noch leicht geröteten Augen an. „Nun... ich ähm... Ich hab den Sturm bei meiner Familie verbracht, aber... aber ich hab mir Sorgen um Charlie gemacht und da bin ich... raus... gegangen um...naja, um nach ihr und Lizzy zu sehen. Ich bin ihrem Sohn bloß zufällig über den Weg gelaufen..." „Und ich hab uns dann zu der Hütte geführt.", sprang Carlisle ein. Mr. Smith nickte zwar, aber schien nicht ganz so überzeugt. Allerdings war es ja tatsächlich die Wahrheit. Warum hatte Jimmy so sehr gestottert? Besorgt sah ich ihn an. Nervös blickte er zu Boden, vermied den Augenkontakt mit dem Ehepaar. „Sie kommen mir so bekannt vor.", meinte auf einmal Mrs. Smith. „Ja, Sie sind doch der Hummerjunge! Jack ich fass' es nicht, er ist der Hummerjunge von der Freakshow! Tut mir furchtbar leid, ich hab dich gar nicht erkannt.", rief sie aufgeregt. Bei Mr. Smith schien es jetzt ebenfalls zu dämmern. „Ja, Tatsache. Sie sind es. Ich fass' es nicht. Ich hab' immer gedacht Freaks hätten nicht viel für normale Menschen übrig, weil ihr doch so schlecht von uns behandelt werdet. Und doch hast du meinen Sohn gerettet.", er schien ganz verblüfft darüber. Auch Jimmy und ich waren nicht minder überrascht. Mr. Smith stand auf, ging auf Jimmy zu und schüttelte ihm die Hand. „Das hätte ich wirklich nicht erwartet. Vielen, vielen Dank." Doch Jimmy entzog sich seinem Griff. „Was soll das heißen? Dass wir Monster sind, die Kinder einfach so erfrieren lassen nur weil sie nicht abartig und anders sind wie wir?!" Wieder klatschte meine geistige Hand gegen meine geistige Stirn. Er reagierte immer so wenn ihn jemand auf die Sache mit seinen Händen oder der Freakshow ansprach. Er verstand alles falsch, überinterpretierte jeden Satz und wurde direkt wütend. Jack Smith, der eben noch sehr dankbar gewesen war sah Jimmy nun abschätzend an. „Ich hab es doch nur gut gemeint! Sie haben meinen Sohn gerettet, dafür bin ich Ihnen dankbar. Es gibt sehr viele Menschen die das für jemanden wie Sie nicht getan hätte, deshalb bin ich so erstaunt, dass Sie ihm trotzdem geholfen haben. Sind Sie denn schon so oft beleidigt worden, dass sie kein Kompliment mehr annehmen können?" Es hatte Jimmy die Sprache verschlagen. In den letzten Monaten hatte er so viel durchmachen müssen. Jedesmal wenn wir durch die Stadt gingen wurden wir komisch angesehen und einige hatten uns gehässige Kommentare zugeworfen. Selbst im Diner warf uns Kathy Blicke zu, die verrieten, dass sie uns eigentlich nicht hier haben wollte. Bei der Arbeit war es auch nicht einfacher geworden. Viele Kunden hatten sich über meine Anwesenheit beschwert, doch mein Chef konnte sie meistens beruhigen. Ich machte mir schon länger Gedanken darüber wann er mich denn feuern würde. Ich war eine gute Arbeiterinn, ja, aber wenn die Kunden wegen mir ausblieben würde er mich nicht mehr lange da behalten wollen. Und schon wieder war ich in Gedanken versunken und bekam gar nicht mit, wie Jimmy sich bei dem Herrn entschuldigte. Erst als Mrs. Smith an meiner Schulter rüttelte kam ich in die Realität zurück. „Verzeihung, was hatten Sie gesagt?", leicht beschämt sah ich sie an. Sie lächelte nur und erklärte: „Ich wollte mich nur verabschieden." „Oh, na dann auf Wiedersehen.", erwiderte ich leicht perplex, stand auf und geleitete die drei zur Tür. Kurz bevor sie draußen waren fiel mir noch etwas ein. „Einen Moment noch. Mr. Smith, kennen Sie den Herrn dem die Hütte im Wald gehört?", fragte ich. „Ja, er ist unser Nachbar. Warum fragen Sie?" „Nun, Jimmy musste die Tür aufbrechen, sie ist beschädigt. Könnten Sie ihm vielleicht ausrichten, dass ich ihm gerne umsonst eine neue machen werde? Er soll sich nur bitte bei mir melden.", erklärte ich. Mr. Smith nickte, „Ja selbstverständlich, das mach ich.", er und seine Frau lächelten mich noch einmal kurz an und verschwanden dann mit ihrem Sohn durch die Tür. Erleichtert schloss ich sie und lehnte meinen Rücken daran. Was für eine verrückte Woche. In vier Tagen war schon Weihnachten und ich hatte noch gar kein Geschenk für Liz und Abby. Wir hatten Weihnachten immer alle zusammen gefeiert, allerdings waren jetzt nur noch Liz und ich übrig. Der Gedanke stimmte mich traurig. Mutter und Großmutter hatten dann immer das leckerste Essen gezaubert. Aus dem Ertrag unserer eigenen Felder,  weshalb es noch besser schmeckte und die Arbeit sich gelohnt hatte. Ich habe Großvater und Vater immer geholfen den Baum aufzustellen und dann hab ich ihn mit Großmutter geschmückt. Die letzten Jahre haben Liz und ich das alles erledigt und Großvater musste nur noch den Baum besorgen. Doch auch das hatten wir letztendlich immer zusammen gemacht. Lächelnd dachte ich an letztes Jahr, zwei Tage vor Weihnachten.
"Großvater schau mal! Der hier ist schön!", rief Liz aufgeregt und deutete auf und ab hüpfend auf einen fünf Meter großen Tannenbaum. Großvater und ich lachten. "Der ist ein bisschen zu groß meine Liebe.", erwiderte er und Liz sah traurig drein. Wir gingen noch eine ganze Weile, bis wir einen Baum gefunden hatten der schön aussah und in unser Wohnzimmer passte. "Also dann Charlie, fang an.", meinte Großvater und hielt die unteren Äste hoch, sodass ich den Baum absägen konnte. "Baum fällt!!", kreischte Liz und lachte. Lächelnd schwang ich die Säge um meine Schulter und nahm den Stamm des Baumes. Liz und Großvater trugen die Spitze. Bis zum Haus dauerte es eine Weile und als wir ankamen schickten wir Lizzy in die Küche um heißen Kakao zu machen. Den hatte ich von Abby zum Nikolaus bekommen, das sie der Meinung war, dass wir auch mal etwas weihnachtliches trinken sollten. Während Großvater und ich den Baum aufstellten verteilte Liz den heißen Kakao gleichmäßig auf drei Tassen auf. Großvater half ihr sie auf den Wohnzimmertisch zu stellen, doch wegen seiner zittrigen Hände nahm er lieber nur eine. In der Zeit holte ich die Kisten mit dem selbstgebastelten Schmuck aus glänzender Metallfolie. Liz und ich hatten die schon vor Jahren gemacht, als Großvater und ich die guten, alten Weihnachtskugeln verpfenden mussten um über den Winter zu kommen. Nur vier Kugeln waren noch übrig. Eine ganz alte, die meine Großeltern zu ihrer Hochzeit bekommen hatten. Später hatten sie dann meinen Eltern zu ihrer Hochzeit auch eine geschenkt. Sie war wunderschön und jedesmal wenn ich sie ansah schloss ich meine Augen und erinnerte mich an unser letztes gemeinsames Weihnachten. Und an Liz erstes Weihnachten, als sie ihre Kugel bekommen hatte. Auch ich hab eine. Darauf stehen unsere Namen und sie sind mit wunderschönen weihnachtlichen Mustern handbemalt. Diese Kugeln konnten wir auf keinen Fall verkaufen. Sie waren für uns zu wertvoll. Liebevoll betrachtete ich die perlweiße Hochzeitskugeln meiner Eltern und mir kamen schon die Tränen. Doch dann erinnerte ich mich, dass es genau jetzt viel wichtigeres zu tun gab und ich mich um meine Schwester und meinen Großvater kümmern musste. Gemeinsam saßen wir auf der Couch und betrachteten unser Werk. Es war vielleicht nicht der schönste Weihnachtsbaum, aber es war unser Weihnachtsbaum.
"Ist alles in Ordnung?" Ich öffnete die Augen und lächelte Jimmy an, der langsam auf mich zu kam. Ich nickte. Als er vor mir stand hob er seine Hand und wischte mir eine Träne von der Wange. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich geweint hab. Sanft legte er seine Hand an meine Wange und ich lehnte meinen Kopf etwas dagegen und schloss die Augen. Es tat so gut ihn hier zu haben. Dann war ich wieder glücklich. Jetzt hoch ich auch meine Hand und legte sie auf seine. Ich nahm sie von meinem Gesicht und verschränkte unsere Finger so gut es ging miteinander. Dabei sahen wir uns die ganze Zeit einfach nur in die Augen. Auf einmal fühlte ich mich bereit es zu sagen. Ja, ich war mir sicher. "Ich glaube ich liebe dich Jimmy Darling."

Tadaaa!
Da ist es. Etwas sehr verspätet, dafür aber auch etwas länger als sonst ^^ Ich hoffe es gefällt euch. Danke für die Kommentare im letzten Part, hat mich wirklich gefreut Feedback zu bekommen. Dürft ihr gerne öfter machen, auch wenn ihr nur Rechtschreibfehler oder Logikfehler ansprecht :'D
Und endlich, endlich hab ich diese scheiß Klausuren hinter mir. Meine Mathelehrerin hat es einfach immernoch nicht geschafft sie zu korrigieren und ist damit mal wieder die Letzte. Eigentlich wäre es mir ja egal, aber ich glaube die Klausur ist ganz gut verlaufen und es ist ja schließlich das Vorabi! Es macht mich fast wahnsinnig es immernoch nicht zu wissen.
Wie auch immer :D danke für's Lesen und ich hoffe ich sehe euch im nächsten Part wieder,
eure MA4rt4.

PS.: Achso und nehmt das mit der Tracht Prügel nicht zu ernst. In den 50ern war das halt leider noch häufiger so und ich dachte es wäre vielleicht passend deswegen.

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