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Ich musste ein paar Dinge erledigen. Ich gab ihm einen Kuss auf die Hand und stand dann auf. Ich trat vor das Zelt, wo Ethel immer noch stand und wartete. Ich sah sie eindringlich an. „Ethel, ich habe ein paar Dinge zu erledigen. Ich komme wieder so bald ich kann.", ohne eine Antwort abzuwarten ging ich los. Ich schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr so schnell es ging nach Hause. Zuerst hielt ich bei unseren Nachbarn und fragte ob ich ihr Telefon benutzen könne. Wie immer durfte ich und so rief ich Abby an. Als nächstes war Gavin dran. Ich kramte den Zettel mit seiner Nummer aus meiner Hosentasche und rief an. Es war etwas schwieriger ihn zu überzeugen, aber letztendlich gab er nach. „Vielen Dank Gavin, wirklich, vielen Dank.", sagte ich und bedankte mich damit zum gefühlt tausendsten Mal. „Ist ja gut, jetzt mach dich auf den Weg. Und denk dran, das ist eine absolute Ausnahme.", mahnte er mich nochmals. „Ja ich weiß, vielen Dank.", damit legte ich auf. Danach fuhr ich schnell zu unserem Haus und rannte nach oben. „Lizzy, pack deine Schulsachen ein, du bleibst für ein paar Tage bei Abby.", befahl ich und begann schon eine Tasche mit Klamotten zu packen. „Wieso denn? Ist was passiert?", fragte sie verwirrt und sah mich an. „Jimmy ist krank und er braucht Hilfe. Ich bleibe ein paar Tage bei ihm und jetzt pack deine Tasche." „Habt ihr euch wieder vertragen?", fragte sie weiter doch ich antwortete nicht. Stattdessen schmiss ich ihr die Tasche mit der Kleidung vor die Füße und lief in mein Zimmer um ebenfalls ein paar Wechselklamotten einzupacken. Danach noch schnell ins Badezimmer und anschließend in die Küche, alles mitnehmen, das in den Tagen verderben könnte. Gerade zog Lizzy ihre Jacke an als Abby auf den Hof fuhr. Es ging alles ganz schnell und schon war Liz unterwegs zu Abby und ich zur Freakshow. Dort angekommen bat ich Ethel um den Schlüssel für Jimmys Wohnwagen. Ich verstaute schnell die Lebensmittel und holte dann ein frisches Shirt für Jimmy heraus. Ich überlegte kurz und nahm dann sicherheitshalber auch noch eine Hose und Unterwäsche mit. Ich brachte alles zu dem Zelt in dem er lag. Rachel war noch dabei ihn zu waschen. „Ah, sehr gut, du hast neue Kleidung für ihn." Ich nickte nur und legte sie auf einem Stuhl in der Ecke ab. Rachel reichte mir den Lappen und ging um neues Wasser zu holen. Ich sah ihn an. Es tat mir weh ihn so zu sehen. Es war alles meine Schuld. Meinetwegen hat er getrunken und weil ich zu spät war lag er jetzt hier bewusstlos. Eigentlich müsste er in ein Krankenhaus, aber das nächste war zu weit weg und es war nicht sicher, ob sie jemanden wie Jimmy überhaupt aufnehmen würden. Mir lief eine Träne über die Wange. Schnell wischte ich sie weg. Ich musste mich jetzt zusammenreißen, er brauchte mich. Ich wusch seine blutigen Fingerknöchel und desinfizierte die Wunde mit dem was von dem Wodka noch übrig war. Eigentlich hätte es brennen müssen, aber er zuckte nicht einmal mit den Fingern. Meine jedoch wurden langsam zittrig. Was wenn er nicht mehr aufwachen würde? Was wenn es zu viel war? Rachel kam mit einem Eimer und einer Schüssel frischem Wasser zurück. Als wir fertig mit waschen waren zog ich ihm sein altes Shirt aus und das frische an. „Ich lass euch beide dann mal alleine.", meinte Rachel leicht peinlich berührt, als es an seine Hose ging und verließ schnell das Zelt. Bei dieser Bemerkung zuckten meine Mundwinkel kurz nach oben. Ich zog ihn so schnell es ging um, er regte sich kein einziges Mal. Ich stellte den Eimer direkt an seinen Kopf neben das Bett und deckte ihn zu. Ich kniete noch eine Weile neben ihm bis ich mich entschloss mich auf den Stuhl zu setzen. Ich betrachtete ihn die ganze Zeit, bis jemand das Zelt betrat. Ich drehte mich um und hinter mir stand Ethel mit zwei Tellern Suppe und jeweils einer Scheibe Brot. „Falls er aufwacht.", erklärte sie und stellte eine auf dem kleinen Tisch in der Ecke ab. Den anderen gab sie mir und ich nahm ihn dankbar an. Sie gesellte sich zu mir und während ich langsam aß sahen wir ihn jetzt beide an. „Er hat nie getrunken, weißt du? Wenn wir mal gefeiert haben ja, aber nie so. Ich war immer so stolz auf ihn deswegen.", ergriff sie plötzlich das Wort, „Und dann hat er vor einem Monat damit angefangen. Es war nie viel, aber jeden Abend hat er ein Glas getrunken." Erschrocken sah ich sie an. Seit einem Monat? Wieso war mir das nie aufgefallen? Er war fast jeden Abend bei mir gewesen und ich habe nie bemerkt, dass er getrunken hatte. Warum hat er das getan? Ich hatte innegehalten und Ethel deutete meinen Blick richtig, denn sie antwortete darauf: „Es hat ihn so fertig gemacht, weil er nicht weiß wie er sich entscheiden soll." Das war nicht wirklich hilfreich, aber sie sprach bereits weiter. „Er denkt ich wüsste es nicht, aber er hat angefangen nervös zu wirken nachdem Elsa uns mitgeteilt hat wann es weitergehen würde. Ich habe oft gesehen, wie er unruhig vor dem Wohnwagen auf und ab gelaufen ist." Er wusste bereits wann die Freakshow weiterziehen würde? Warum hatte er nichts gesagt? War ich zu beschäftigt mit meiner Arbeit gewesen, dass er nicht die Zeit dazu gefunden hatte? Oder hätte ich ihn darauf ansprechen sollen? Ich hatte ja bemerkt, dass er etwas angespannter wirkte als sonst, aber ich hatte es darauf geschoben, dass er mit der allgemeinen Situation nicht zufrieden war, weil wir uns nur noch so wenig sehen konnten. „Es ist nicht deine Schuld, Charlotte.", riss Ethel mich aus meinen Gedanken. Doch das war es. „Er trägt die Dinge oft so lange mit sich herum bis es zu spät ist, das hat er leider von mir.", traurig sah sie mich an. „Wieso habt ihr beiden euch überhaupt gestritten?" Ich sah von ihr wieder zu ihm. Meine Stimme klang rau als ich sprach. „Mitschüler von Lizzy haben sie gehänselt und geärgert weil Jimmy und ich zusammen... zusammen sind und er hat sich tierisch darüber aufgeregt. Er wollte unüberlegt handeln und so kam es zum Streit. Am nächsten Morgen stand er betrunken vor der Tür und da ist das Ganze eskaliert.", erklärte ich. Ethel nickte verstehend. „Er war schon immer so wenn es um Ungerechtigkeit geht. Dann denkt er nicht nach und leider hat er sein Temperament von seinem Vater.", sie seufzte schwer. Wir schwiegen eine Weile. Mir lag eine Frage auf der Zunge. Schließlich nahm ich meinen Mut zusammen und sprach das Thema an, das ich mit Jimmy noch nie behandelt hatte. „Ethel...", sie sah mich an, „ ...kenntJimmy seinen Vater überhaupt?" Sie sah zu Boden und schüttelte den Kopf. „Es ist auch besser so.", fügte sie noch hinzu. Das hatte nur weitere Fragen verursacht, aber ich fand es war zu privat. Jedoch antwortete Ethel auf meine Fragen, ohne dass ich sie stellen musste. „Ich habe ihm nie viel von seinem Vater erzählt. Nur, dass er mich schlecht behandelt hat und ich es nicht mehr mit ihm ausgehalten habe. Er sollte nicht so werden wie sein Vater, ich wollte nicht, dass er auf ihn abfärbt." Sie schniefte einmal kurz, dann stand sie auf. „Ich gehe jetzt ins Bett. Wenn du etwas brauchst weißt du ja wo ich bin." Ich nickte bloß und schon war sie aus dem Zelt verschwunden. Ich aß meine Suppe zu Ende und stellte den Teller auf Seite. Ich kontrollierte nochmals Jimmys Atmung, ich hielt den Löffel vor seine Nase. Er beschlug jedes mal wenn er ausatmete und so setzte ich mich etwas beruhigter wieder auf den Stuhl. Ich zog die Beine an und legte meinen Kopf auf meinen Knien ab. Ich war so müde. Irgendwann driftete ich in einen Traum ab. Ich wurde von einem merkwürdigen, röchelnden Geräusch geweckt. Verwundert sah ich mich um, bis ich realisierte, dass das Geräusch von Jimmy kam. Er lag auf dem Rücken und so blieb sein Erbrochenes in seinem Hals stecken. Er bekam keine Luft! Schnell sprang ich auf und drehte ihn auf die Seite über den Rand des Bettes. Sein Kopf hing quasi in dem Eimer, aber das war egal, solang er sich übergeben konnte. Es funktionierte nicht richtig und ich tat etwas, das ich so ekelhaft fand, dass ich es nie jemandem erzählen würde. Ich steckte ihm zwei meiner Finger in den Hals. Auf einmal kam Leben in ihn. Seine Hand krallte sich am Rand des Bettes fest und er stützte sich auf den Ellbogen des anderen Arms. Schnell wusch ich mir die Kotze von den Fingern um ihn dann festzuhalten. Er übergab sich gleich mehrere Male, obwohl bei den letzten kein Mageninhalt mehr vorhanden war, der noch hätte rauskommen können. Ich stütze ihn, damit er nicht umfiel und strich ihm beruhigend über den Rücken. Irgendwann sackte er wieder in sich zusammen. Ich nahm den Lappen und wischte über seinen Mund. „Jimmy?", fragte ich und rüttelte an seiner Schulter. Tatsächlich brummte er leise als Antwort, was kurz eine Welle von Erleichterung über mich kommen ließ. „Willst du was trinken?" Er brummte erneut, jedoch wusste ich jetzt nicht ob das ein ja oder nein war, deshalb hielt ich ihm einfach mal das Glas Wasser vor den Mund. Er hing immer noch halb über den Bettrand. Überraschender Weise trank er zwei Schlucke, jedoch nur um sie danach direkt wieder in dem Eimer auszuspucken. Danach kam keine Reaktion mehr. Enttäuscht stellte ich das Glas ab und brachte ihn in eine stabile Seitenlage, damit so etwas wie eben nicht noch einmal passierte. Ich hätte mich gerne selbst dafür geohrfeigt. Warum hatte ich daran nicht gedacht? Ich deckte ihn wieder ordentlich zu und als ich sicher war, dass er für den Moment sicher lag schnappte ich mir den Eimer und die Schüssel. Ich spülte den Eimer so schnell es ging aus und lief schnell mit sauberem Eimer und frischem Wasser ins Zelt zurück. Jimmy lag genauso da, wie ich ihn zurückgelassen hatte. Ich hockte mich neben sein Bett und nahm eine seiner Hände. Mir kamen wieder die Tränen. Er war eben beinahe erstickt und fast hätte ich es nicht mitbekommen. Beruhigend, eher für mich selbst, strich ich mit dem Daumen über seinen Handrücken und seine deformierten Finger. Er hatte es gar nicht verdient so zu sein. Er war ein guter Mensch, warum musste er so ein Schicksal haben? Darüber nachdenkend schlief ich irgendwann wieder ein.

Neue Woche, neues Kapitel.
Wie gefällt euch dieser Part? Ich hab wirklich lange daran gesessen und ihn mehrmals überarbeitet. Ich hoffe es hat sich gelohnt.
Regnet es bei euch auch so viel im Moment? Aber irgendwie ist es trotzdem warm und das macht das Wetter so schwül (augenverdreh). Wenn es sich wenigstens für eine Sache entscheiden könnte. Ehrlich gesagt wäre mir der Regen sogar lieber. Ich weiß es sind Sommerferien, aber dann könnte ich nämlich endlich mal wieder vernünftig schlafen ohne mich wie in 'ner Sauna zu fühlen. Die Leute die nicht direkt unterm Dach leben haben echt Glück.
Wir sehen uns nächste Woche und ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen,
eure MA4rt4.

Was ist daran so schlecht?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt