Two

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"Bleibst du?" fragte Jake sofort als ich wieder den Raum betrat. Wir waren bei Vi zu Hause und ich hatte gerade mit dem Handy meine Mutter angerufen ob ich die nächste Bahn nehmen könnte, weil ich noch etwas zu besprechen hatte. „Ja, ich darf noch bleiben bis die nächste Bahn fährt." antwortete ich bevor ich mich neben ihn an den Küchentisch setzte. „Noch ein guter Grund von zu Hause wegzulaufen. Keiner macht dir Vorschriften, du kannst schlafen wann du willst, essen wann du willst und außerdem musst du nirgendwo hin gehen wo du nicht hinwillst." sprach Jake während er sich ein Glas Wasser eingoss. „Aber dafür habe ich ein richtiges Bett, muss keine Angst haben zu verhungern und die Gefahr, dass ich entführt werde ist sehr gering im Gegensatz zu deiner." „Das Risiko gehe ich gerne ein!" konterte er wieder und damit war dieses Gespräch beendet.

„Ich muss jetzt langsam los!" teilte ich Jake und Vi nach einem Blick auf die Wohnzimmeruhr mit. „Ich komm mit und begleite dich, es ist dunkel, du solltest nicht alleine draußen rumlaufen und ich muss sowieso zurück zu den anderen." sagte Jake und stand auf. Es war irgendwie komisch, wenn er das sagte. Er begab sich doch ständig in solche Situationen? „Bis morgen Vi!" sagte er und ging zusammen mit mir zur Tür. „Bis morgen ihr beiden! Schlaft gut!" rief Vi noch bevor wir die Tür hinter uns schlossen. Ich zog während wir die Treppen runter gingen meine Jacke an und folgte Jake nach draußen in die Dunkelheit. Hier, in dem Stadtteil in dem Vi wohnte waren die Straßen nur spärlich beleuchtet und ich fand es wirklich unheimlich. Zum Glück war Jake bei mir und redete ein bisschen mit mir über belangloses Zeug.

„Warum bist du eigentlich von zu Hause weggelaufen?" fragte ich ihn irgendwann. Es interessierte mich wirklich, denn auf mich wirkte Jake nicht wie ein gewöhnliches Straßenkind, sondern wie in ganz normaler Junge, der voller Lebensfreude war und sein seine Leben genoss. Als Jake antwortet war seine Stimme nicht so fröhlich wie sonst immer „Ich hab es da einfach nicht mehr da ausgehalten.". „Was war denn so schlimm?". Er atmete geräuschvoll aus und dachte ein paar Sekunden nach bevor er antwortete. „Alles. Mein Vater war am schlimmsten. Er hat uns oft angeschrien." eine kurze, wenig hilfreiche Antwort, deshalb hakte ich noch einmal nach. „Warum hat er denn geschrien?". Jake schaute nervös in der Gegend herum und rieb sich das rechte Handgelenk. Dieses war tätowiert, was mir vorher nicht aufgefallen war. Es war eine Wunde, die an manchen Stellen mit Büroklammern zusammengehalten wurde. Es sah wirklich gut aus. Mir gefielen Tattoos an Männern.

„Ich rede wirklich nicht gerne darüber, weißt du?" er legte den Kopf schief und sah zu mir herunter woraufhin ich meinen mitleiderregendsten Gesichtsausdruck aufsetzte. „Schau nicht so!" er schaute in die andere Richtung, aber ich ging mit seinem Blick, sodass er mich ansehen musste. „Was möchtest du denn wissen?" fragte er resignierend. „Was dein Vater gesagt hat und warum du weggerannt bist, und warum du so glücklich bist obwohl du nichts hast!" antwortete ich. „Das könnte ewig dauern!" lachte er. „Ich habe Zeit"

Ich nahm die beiden Becher mit Kaffee entgegen und gab einen davon Jake, der auf einer Parkbank saß und sich halb unter meiner Jacke verkrochen hatte. Vielleicht hatte er keine Jacke, vielleicht hatte er sie auch einfach irgendwo liegen gelassen. Auf jeden Fall hatte er nach einiger Zeit so sehr gezittert, dass ich es nicht mehr mit ansehen konnte und ihm einfach die meine gegeben hatte. Wir hatten uns einen stillen Ort nahe dem Fluss gesucht um uns zu unterhalten. Hier, in diesem Teil das Parks, hatte ich als kleiner Junge oft mit meinem Vater Fußball gespielt. Mir kam das alles ein bisschen befremdlich vor, immerhin kannte ich Jake erst seit einem halben Tag, aber irgendwie wirkte er auf mich vertraut. Schon alleine wie er mit mir sprach, so als würden wir uns schon Jahre kennen. „Also, du wolltest doch wissen warum ich weggelaufen bin?" fragte er und ich nickte. „Dann fange ich mal ganz von vorne an."

„Ich glaube alles hat angefangen als ich sechs war. Zu dieser Zeit wurde bei mir ein überdurchschnittlich hoher IQ festgestellt. Das ich nicht so war wie andere Kinder in meinem Alter ist meinen Eltern schon vorher aufgefallen, aber sie haben gedacht ich hätte einfach andere Interessen. Zwar hätte man das vorhersehen können, weil mein Vater auch einen höheren IQ hat, aber der IQ muss ja nicht vererbt werden. Auf jeden Fall haben meine Eltern seitdem eine besondere Form der Schulischen Bildung bevorzugt. Ich wurde auf eine Hochbegabtenschule gesteckt. 

Dort habe ich auch mit vierzehn meinen Abschluss gemacht und sollte auf ein College gehen. Aber darauf hatte ich keine Lust. Ich wollte nicht länger von meinen Eltern bevormundet werden, vor allem, weil sie mich nie als ihr Kind betrachtet haben. Wie soll man das nur sagen... sie haben nicht auf meine Bedürfnisse geachtet. Ich war als Kind, und bin es jetzt immer noch, sehr interessiert an Literatur, habe viel gelesen. Dann noch Musik, ich habe es geliebt Klavierstücke zu hören und habe auch versucht es mir selbst beizubringen, was nicht sonderlich gut geklappt hat. Und das zeichnen, meine, neben dem lesen, größte Leidenschaft. Ich möchte mich ja nicht selbst loben, aber ich war mehr als nur gut und meine Zeichnungen wurden oft von meinen Lehrern gelobt, auch wenn sie sie dann zusammengeknüllt und weggeworfen haben. 

Ich konnte auch schnell Sprachen lernen, aber das war so langweilig das ich es lieber gleich bleiben ließ. Also blieb ich bei den anderen Dingen. Aber meine Arbeit wurde nicht geschätzt. Weder für meine Eltern noch für meine Lehrer war es wichtig was ich mochte. Ich sollte Mathe und Physik lernen und eines Tages an irgendeinem Institut an Wurmlöchern forschen oder ähnliches. Das einzige Problem bei ihrem Plan war einfach das es mich Null interessiert hat und ich mir auch keine einzige Mathematische Formel gut merken kann. Mit Glück würde ich vielleicht die Binomischen Formeln irgendwie zusammengekratzt bekommen." er lachte und trank einen Schluck seines Kaffees bevor er weitermachte.

(1016 Wörter) 

Jakes Definition von FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt