Kapitel 39 - Feuerorchidee

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Kapitel 39 - Feuerorchidee

Langsam schreite ich um das Haus herum und besehe mir die Umgebung. Es ist wirklich angenehm hier, auch wenn ich das niemals zugeben würde.
Der Wind trägt den Geruch von Bäumen, die sich langsam aber sicher bereit dazu machen den Herbst willkommen zu heißen, zu mir und auch ein wahrlich angenehmer Duft, von frisch aufgebrühtem Tee, aus dem Haus findet seinen Weg in meine Nase. Ein leises Plopp verrät mir, dass ich nun nicht mehr alleine auf der Wiese bin, was ich jedoch spätestens bemerkt hätte, als Potter seinen Mund aufmacht.
„Tut mir leid, Severus", höre ich seine Stimme hinter mir, ehe ich mich langsam umdrehe. Peinlich berührt fährt er sich durch sein schwarzes Haar, das mich so sehr an seinen missratenen Vater erinnert. Schnell schüttle ich diesen Gedanken ab, straffe meinen Rücken und mustere ihn genau.
„Wir waren verabredet, Potter", brumme ich und lasse meinen Blick über seine Erscheinung gleiten. Er trägt blaue Jeans und ein Hemd, welches völlig falsch sitzt. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab und ein leichter Dreitagebart ziert sein Gesicht. Unwillkürlich muss ich an das weinende Kleinkind denken, das hinter mir in seinem Gitterbett sitzt, während ich seine Mutter betrauere.
Erneut schüttle ich den Kopf, um diese Gedanken aus meinem Hirn zu vertreiben. Heute scheint kein guter Tag für mich zu sein, denn meine Gedanken spielen mir irrsinnige Streiche.
„Wo sind die anderen Auroren?", frage ich deshalb schnell, um sowohl ihn, als auch mich abzulenken.
„Ähm", antwortet er ziemlich intelligent und sieht mich an, „wir treffen uns vor Ort."
„Na dann. Worauf wartest du noch, Potter?", schnaube ich, während ich einen Schritt auf ihn zu gehe. „Ich... ähm.. Ich wollte eigentlich nur nochmal schnell ins Haus gehen, um meine Frau zu begrüßen", stottert er ziemlich durcheinander und gestikuliert wild mit seinen Händen, immer wieder zum Haus und auf sich zeigend.
„Wenn deine Herzensdame es nicht mal ein paar Stunden ohne dich aushält, bitte. Du hast zwei Minuten. Ich habe nämlich, im Gegensatz zu dir, auch noch anderes zu tun, als den halben Tag hier herumzustehen", zische ich, während ich eine Augenbraue nach oben ziehe. Den Sarkasmus konnte ich mir nicht verkneifen.
„Ja, Sir", sagt er gespielt formal und salutiert vor mir. Er nimmt mich aufs Korn. Meine Miene verfinstert sich merklich und meine Kiefer beginnen zu mahlen, doch er hat sich bereits lachend umgedreht und ist ins Haus marschiert. Mein Blick folgt ihm, bis er die Türschwelle betreten hat.
Ich kann im Küchenfenster erkennen, wie eine strahlende Miss Weasley auf ihn zugesprungen kommt und stürmisch umarmt. Es versetzt mir einen Stich zu sehen, wie glücklich die beiden sind und mein Gefühl wird nicht besser, als ich sehe, wie Potter sich vornüberbeugt, um den Bauch seiner Frau zu streicheln.
Schnell wende ich mich ab, damit ich meinen wirren Gedanken nicht noch mehr Futter gebe, um mich heute zu quälen.
Sei nicht so hart zu dir, Severus", höre ich Hermines sanfte Stimme, welche mich schlagartig beruhigt.
„Bist du dann soweit?", reißt mich Potter aus dem wundervollen Gefühl, dem ich mich für einen kurzen Moment hingegeben habe, und streckt mir lächelnd seinen Arm entgegen, den ich kritisch beäuge.
„Du weißt nicht, wo es hingehen soll", sagt er, während er mir zuzwinkert. Mein Gesicht verzieht sich zu einer angewiderten Grimasse, als ich seine Geste sehe, doch ich ergreife seinen Arm und spüre sofort den Sog, der mich erneut in einen engen Schlauch zieht. Hastig kneife ich meine Augen zusammen.

Als ich meine Augen wieder öffne, finde ich mich mitten in einem Wald wieder. Vereinzelt bricht Licht durch die hohen Wipfel der Bäume und erhellt spärlich den, mit bereits unzähligen Blättern bedeckten, Waldboden.
Ich schaue mich um. Hier und dort erkenne ich einige Kräuter, die ziemlich wertvoll sind. Ich werde, bevor wir abreisen, einige davon sammeln und meinen Vorräten zufügen.
„So. Da wären wir. In..."
„Schottland", unterbreche ich Potter, der mich sogleich ansieht, als hätte er einen Irrwicht vor sich stehen. Vielsagend deute ich auf eine Feuerorchidee, die unter einer alten Eiche trohnt. Die Verwirrung steht ihm ins Gesicht geschrieben, was mich dazu bringt laut zu schnauben.
„Potter, hast du in all den Jahren wirklich nichts in meinem Unterricht gelernt?!", frage ich ungehalten, während ich meine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger massiere.
„Ich denke, ich habe das alles einfach wieder vergessen, Professor", versucht er mich lachend zu beschwichtigen, als er sich durch seine Haare fährt.
„Deinen Noten nach zu urteilen, hast du dir so etwas nie behalten", zische ich, ehe ich auf das Gewächs zugehe, mich bücke und einen kleinen Büschel abreiße. Schnellen Schrittes laufe ich zu Potter zurück, strecke meinen Arm aus und halte ihm die Pflanze vor sein dümmlich dreinblickendes Gesicht.
„Was ist das, Potter?", frage ich angespannt und um Fassung ringend. Wie vom Blitz gerührt steht er da und blickt immer wieder von meiner Hand zu meinem Gesicht.
„Wird das jetzt eine Unterrichtsstunde?", fragt er verunsichert und beschaut sich das grün-rote Etwas in meiner Hand genauer an, ehe er mir wieder fragend ins Gesicht blickt.
„Was. Ist. Das. Potter?", frage ich erneut mit etwas Nachdruck.
„Ich... Ich weiß es nicht, Sir", antwortet er stotternd. Eine kranke Genugtuung macht sich in mir breit, als ich bemerke, wie schnell ich es schaffe ihn in das alte Schüler-Lehrer-Verhältnis zurückzudrücken.
„Das, Potter, ist eine Feuerorchidee", schnarre ich, „sie wächst nur in Schottland." Sein verklärter Blick verrät mir, dass sein Hirn nach wie vor arbeitet, bis er schließlich die Augen weit aufreißt und ein breites Lächeln sich auf seinem Gesicht verankert. Man konnte förmlich sehen, wie er begriff. Es fehlte nur noch, dass eine Glühbirne über seinem Kopf zu leuchten angefangen hätte.
„Ah! Eine Feuerorchidee. Du hast Recht, Severus!", ruft er freudig aus und wirft seine Arme in die Luft. Mit Argusaugen beobachte ich jede seiner Bewegungen und erkenne sofort, als sein rechter Arm gefährlich in meine Nähe kommt. Er ist kurz davor ihn um mich zu legen. Mein Blick verfinsert sich schlagartig und Potter friert – gerade rechtzeitig – in seiner Bewegung ein, ehe er seinen Arm sinken lässt und sich räuspert.
„So... Da wären wir. In Schottland. In einem Wald. Du fragt dich sicherlich, was wir hier zu suchen haben", versucht er peinlich berührt die Situation zu überspielen.
„Ich stelle mir in deiner Gesellschaft keine Fragen mehr, Potter. Egal wie absurd auch alles erscheinen mag", schnaube ich und drehe mich, während ich das Büschel Feuerorchideen in den Innentaschen meiner Robe verschwinden lasse, in eine Richtung, aus der ich Geräusche wahrnehme.
„Das... Ist natürlich auch praktisch", murmelt er und stellt sich neben mich, ehe er erneut zu sprechen beginnt, „Wir treffen uns hier mit meinen Kollegen. Es gibt da etwas, das solltest du dir ansehen."
Gerade, als Potter endet, treten zwei Gestalten vor uns aus dem Gebüsch. Wild gestikulierend bahnen sie sich ihren Weg aus dem dichten Gestrüpp. Der vorderste Mann, bullig und offensichtlich gut in Form, schiebt lässig einen Ast beiseite, der es ihm nicht ermöglicht angenehm mit geradem Rücken voranzukommen, lässt ihn los und besagter Ast schleudert mit Wucht in das Gesicht des hinteren Mannes. Ein Zischen erfüllt die sonst ruhige Luft, als er mit schmerzhaft verzogener Miene den roten Striemen auf seinem Antlitz abtastet.
„Severus, es ist mir eine Freude dir Matt Williams vorzustellen", posaunt Potter mit vor Stolz geschwellter Brust, während seine Hand auf den bulligen Mann mit kurzem, schwarzen Haar zeigt. Höflich streckt er mir die Hand entgegen, die ich mit gestrafftem Rücken ergreife. Sein Händedruck ist fest, das schätze ich sehr.
„Und das ist Riley Daniels", unterbricht Potter die Begrüßung zwischen Williams und mir und zeigt auf den eher klein wirkenden Mann mit roten Striemen im Gesicht. Diese beißen sich unfassbar mit seinen lila Haaren, sodass mir ein leichter Schauer über den Rücken läuft. Auch Daniels' Hand ergreife ich, auch wenn er leidlich und niedergeschlagen wirkt.
„So, dann können wir ja endlich!", flötet Potter, während er aufscheuchend in die Hände klatscht.

Nach zehn Minuten Fußmarsch durch beinahe den halben schottischen Wald und unzählligen Pausen, weil Daniels sich erneut verletzt hat, führt Potter uns endlich auf eine Lichtung.
Als wir durch das letzte Dickicht brechen und jeder das freie Feld betritt, beginnt mein linker Unterarm entsetzlich zu brennen. Schlagartig greife ich mit meiner rechten Hand nach ihm und kralle mich in dem dichten Stoff meiner Robe fest.
Heiße Lava scheint sich ihren Weg durch meine Adern zu suchen und verbrennt jede Barrikade, die ich seit Jahren aufgebaut habe, um meine Distanz zu den Geschehnissen zu wahren. Zu keinem Zeitpunkt in den letzten Jahren war mir mehr bewusst, dass ich ein Todesser war, als in diesem Moment.
Wäre ich nicht nach wie vor auf Perfektion trainiert, würde sich mein Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse verziehen und ich glaube, dass sich sogar einige Tränen in meinen Augenwinkeln sammeln würden.
„Severus? Alles in Ordnung?", fragt Potter verunsichert und besorgt, als er mich anblickt. Seine Augen ruhen auf meinem verkrampften Unterarm und sein Gesichtsausdruck zeigt deutlich, dass er mit der Situation nicht umzugehen weiß.
Doch darauf kann ich mich momentan nicht konzentrieren. Mein Unterarm scheint in Flammen zu stehen und es kostet mich all meine Willenskraft nicht laut loszuschreien.
„Wo ist es?", zische ich deshalb mühsam mit zusammengebissenen Zähnen, meinen Arm weiterhin gewaltsam zusammenpressend.
Er braucht ein paar Sekunden, um sich und seine Gedanken zu beruhigen, ehe er leicht den Kopf schüttelt und mehrmals blinzelt. Mit zittrigem Finger deutet er auf einen Punkt auf der Lichtung nicht weit von uns.
Angestrengt schleppe ich mich zu dem Punkt, auf den Potter zeigte, die Auroren in meinem Rücken, immer darauf bedacht uns zu schützen.
Inzwischen krallen sich meine Nägel derart heftig in meinen Arm, dass ich deutlich spüre, wie meine Haut reißt und warmes Blut aus den Wunden sickert. Es durchnässt meine Robe und meine Finger färben sich leuchtend rot, während sie unablässig zudrücken.
Seit einer gefühlten Ewigkeit habe ich nicht mehr an dieses Tattoo gedacht und auch Hermine hat nie etwas dazu gesagt. Sie hat es als Teil von mir akzeptiert, auch wenn ich es mir am liebsten raus geschnitten hätte, nur um nicht mehr an diese Zeit erinnert zu werden.
Müde tragen mich meine zitternden Beine näher an den ominösen Ort heran. Als ich kraftlos auf meine Knie sacke und mir besehe, was Potter mir zeigen wollte, weiten sich meine Augen und mein brennender Arm wird zu meinem kleinsten Problem.

Komm, unsere Herzen zeigen uns den WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt