Kapitel 51 - Déjà-vu
*Hermines Sicht *
Ruhig betrachte ich das Schauspiel, das sich mir bietet. Dicke Flocken fallen vom Himmel und verschmelzen mit der weitreichenden, weißen Decke. Jede von ihnen ist einzigartig und dennoch harmonieren sie miteinander.
Ich seufze leise. Wieso kann das bei den Menschen nicht auch so funktionieren?
Ein kalter Luftzug umspielt meinen Körper, sodass ich mir meine Jacke enger um die Schultern ziehe. Severus ist vor zwei Stunden zu Harry appariert. Mein Herz hat seitdem nicht mehr aufgehört wie wild zu pumpen. Da ich nichts mehr zu tun habe, seitdem der Trank fertiggestellt und in das Seelenglas gefüllt ist, habe ich die Gedanken an das, was Severus zustoßen könnte, nicht verdrängen können. Ständig bin ich hin und hergelaufen, bis es mich schließlich hier zum Schlossportal geführt hat. Seitdem stehe ich hier und betrachte den fallenden Schnee. Auf absurde Art und Weise beruhigt es mich.
Die dicke Schneedecke ist noch unberührt. Niemand hat es auch nur gewagt einen Gedanken daran zu verschwenden die Idylle zu zerstören, in dem er einen Fuß darauf setzt.
Ich atme die eiskalte Luft ein und lasse sie genüsslich in meine Lungen strömen. Seit ein paar Minuten schmerzt mein Magen und mir ist schlecht. Ich denke, dass sich meine Angst um Severus nun auch körperlich auf mich auswirkt.
Erschlagen lasse ich den Kopf sinken, drehe mich um und suche den Weg in unsere Gemächer, um dort ungeduldig und fürchterlich panisch auf ihn zu warten.Mit zittrigen Händen schwenke ich das Glas, gefüllt mit bernsteinfarbener Flüssigkeit, hin und her. Ein dumpfes Gefühl in meiner Brust lässt mich seit zwei Minuten nicht mehr los. Es drückt auf mich, als würde ein Riese auf meinem Brustkorb sitzen, sodass ich nur noch keuchend atmen kann.
Ich kann es nicht genau beschreiben, aber ich fühle mich schlecht. Verletzt, unvollständig.
Meine freie Hand presst sich gegen meine Brust, in der Hoffnung darauf, dass ich wieder besser atmen kann, doch es hilft nicht.
Ehe ich mir weiter Gedanken darum machen kann, flammt der Kamin neben mir auf. Erleichterung durchströmt mich. Seufzend atme ich aus.
Als ich endlich Severus' Haare erkenne, die zuerst durch die grünen Flammen zum Vorschein kommen, fällt der Brocken, der sich auf meinem Brustkorb niedergelassen hat, von mir ab und ich kann wieder leichter atmen.
Auch der Rest seines Körper entspringt den Flammen und ich will schon aufstehen, um ihn zu begrüßen, doch etwas stimmt nicht.
Das Glas in meiner Hand fällt klirrend zu Boden, zerspringt in tausend winzige, funkelnde Kristalle. Mein Herz gerät aus seinem Rhythmus, holpert über die Stücke zerbrochenen Glases. Mein Hirn ist leergefegt, doch meine Sinne sind scharf. Alles um mich herum passiert in Zeitlupe.
Während ich einen spitzen Schrei ausstoße, springe ich fürchterlich langsam – es kommt mir vor wie ewige Sekunden – auf und haste zu Severus' Körper, der leblos am Boden liegen bleibt.
Meine Knie schlagen hart auf, als mein gesamtes Gewicht sie auf den Holzboden drückt, doch meine gesamte Konzentration liegt auf Severus.
Sein unter Haaren vergrabenes Gesicht ist schmerzverzerrt, einzelne Strähnen kleben ihm mitten auf der schweißnassen Stirn.
Hilflos knie ich neben ihm, als er seine Augen aufreißt. Blanke Panik steht in ihnen. Mein Atem stockt und ich habe Gefühl zu ersticken. Diesen Ausdruck kenne ich. Ich habe ihn bereits gesehen. Vor vielen Jahren. In seinen Augen. In der Heulenden Hütte.
Seine Lippen öffnen sich und senden einen stummen Schrei aus. Sein Gesicht wirkt wie eine Grimasse aus einem Horrorfilm.
Mit zittrigen Händen greife ich nach meinem Zauberstab, halte in der Bewegung jedoch inne, als ich etwas Klebriges an meinen Fingern spüre. Langsam senke ich meinen Blick auf meine Hand, die mir blutrot entgegen leuchtet. Erst jetzt bemerke ich die Lache, die sich um seinen Körper gebildet hat und langsam, aber sicher in das Holz des Fußbodens sickert.
Getrieben von purer Angst, reiße ich meinen Zauberstab in die Luft.
„Accio Diptam!", schreie ich verzweifelt. Meine Stimme wird von den undurchdringlichen Steinwänden der Kerker verstärkt. Zielsicher fange ich das Fläschchen auf, das mir sogleich entgegen geflogen kommt.
Vorsichtig, darauf bedacht ihn nicht noch mehr zu verletzen, hebe ich seine zerfetzte Roben an, um mir ein Bild seiner Verletzung zu machen. Erschrocken schlage ich mir eine Hand vor den Mund, als ich das Ausmaß erkenne, sodass mein Gesicht mit seinem Blut beschmiert ist.
Sein linker Arm ist angesengt, ganz so, als hätte ihn ein Fluch getroffen. Doch der Rest seiner Körperhälfte ist nicht bloß verletzt. Sie ist förmlich aufgerissen. Ich kann seine Muskeln und Sehnen erkennen, denn die Haut ist an keiner Stelle mehr vollständig. Immer wieder ist sie aufgebrochen, sodass man erkennen kann, was sie sonst so gut darunter schützt, Blut sickert aus den Rissen heraus und die Lache um uns wird immer größer.
Ich zittre so sehr, dass die Pipette klingende Geräusche macht, wenn sie den Rand der Flasche berührt. Eine Welle der Panik spült durch meinen Körper und reißt mich unerbittlich mit. Jeder Tropfen, der sich durch das viele Blut bahnt, ist ein weiterer Tropfen auf dem heißen Stein meiner Seele. Letztendlich kippe ich die Flasche verzweifelt über seinen Körper, dabei zusehend, wie die Flüssigkeit die gröbsten Risse zusammenflickt.
Vorsichtig streiche ich ihm die Haare aus dem Gesicht und hinterlasse rote, verwackelte Streifen auf seiner fahlen Haut. Mein Körper zittert, mein Mund ist trocken und mein Herz hat beinahe aufgehört zu schlagen. Keine einzige Träne hat sich aus meinem Augenwinkel gestohlen, dazu bin ich zu fokussiert.
Sein Körper beruhigt sich und seine Augen fallen langsam zu. Ich reiße meine Augen weit auf, packe seine Schultern und schüttle ihn. Verzweifelt schreie ich immer wieder seinen Namen, doch er rührt sich nicht. Mein Herz zerreißt und ich krümme mich vor Schmerzen.
„Severus, bitte stirb nicht!", schreie ich, bevor ich meinen Zauberstab aus der warmen, roten Lache nehme.
Mein kleiner Otter springt sofort vor mir umher, ehe er durch die Tür davon rauscht. Wie in Trance streichle ich immer wieder sein Gesicht, wippe vor und zurück, hauche ihm federleichte Küsse auf seine blutverschmierte Haut.
„Bitte nicht. Bitte nicht", flüstere ich jedes Mal, wenn ich nach vorn zu ihm wippe. Der metallische Geschmack seines Blutes haftet an meinen Lippen, meine Kleider sind durchtränkt und meine gesamte Haut leuchtet nicht minder rot, als die Seine.
Plötzlich fliegt die Tür hinter mir auf, doch ich habe nicht mal die Energie mich zu erschrecken. Augenblicklich kniet Poppy neben mir und ich vernehme einen gedämpften Schreckensschrei von Minerva hinter mir.
„Hermine! Was ist passiert?", fragt Poppy mit einem nervösen Unterton in der Stimme, doch ihre Hände zittern kein Bisschen, als sie sich an Severus zu schaffen machen. Routiniert tastet sie nach seinem Puls, murmelt einige Zaubersprüche, während ihr Stab über seinen Körper fährt, und versorgt mit beinahe stoischer Ruhe die Wunden, die seine gesamte Körperhälfte zieren.
Mit ausdruckslosem Blick sehe ich ihr dabei zu. Ich fühle mich plötzlich leer. Langsam schüttle ich den Kopf und zucke kaum merklich mit den Schultern, um auf ihre Frage zu antworten.
„Er muss in den Krankenflügel, Minerva", ruft Poppy über ihre Schulter, während sie weiterhin vollkommen konzentriert vor sich hin arbeitet.
„Oh... Ähm... Ja, natürlich", stammelt Minerva und kommt einen Schritt auf uns zu. Gemeinsam mit Poppy lässt sie seinen Körper schweben, ehe die Beiden sich auf den Weg in den Krankenflügel machen.
Gerade, als Minerva über die Türschwelle treten will, hält sie inne und dreht sich zu mir um.
„Hermine? Alles gut?", fragt sie und ich höre deutlich die Besorgnis in ihrer Stimme. Ohne mich zu ihr umzudrehen nicke ich, meinen Blick starr auf die blutrote Pfütze vor mir gerichtet.
Ich bin nicht in der Lage etwas zu fühlen. Mein Herz schlägt noch immer träge in meiner Brust, als ich ein leises Seufzen vernehme und nur Sekunden später höre, dass die Tür geschlossen wird.
Und plötzlich bricht alles über mich herein. Das Adrenalin wird aus meinen Venen verbannt. Haltlos beginne ich zu schluchzen, heiße Tränen bahnen sich den Weg über meine blutverschmierten Wangen, tropfen von meinem Kinn auf den Boden, wo sie sich mit der roten Masse vermischen. Ich weine und weine und schreie all meinen Frust, meine Sorgen, meine Ängste aus mir heraus. Ich schreie, bis ich keine Luft mehr habe. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen, sodass ich beide Hände auf meine vollkommen durchnässte Bluse drücke.
„Miss Granger, mir wird geholfen. Jetzt reißen Sie sich mal zusammen", ertönt seine Stimme sanfter, als gedacht in meinem Kopf.
Langsam rapple ich mich auf und ziehe mich mit Hilfe des Sessels auf meine wackligen Beine. Einige Sekunden stehe einfach da, meine nicht versiegen wollenden Tränen weiterhin aus meinen Augen drückend, bis ich wie ferngesteuert loslaufe.
Ich durchquere unser Schlafzimmer, den Blick leblos nach vorn gerichtet. Als ich vor der dunkelbraunen Holztür stehe, die den Eingang in mein Büro markiert, atme ich hörbar aus. Langsam lege ich meine Hand auf die Klinke, drücke sie herunter und betrete den Raum.
Ohne groß nachzudenken trete ich an meinen Schreibtisch, öffne die oberste Schublade und greife mir die Schachtel, die dort liegt.
Meinen Weg zurück ins Wohnzimmer finde ich ebenso ohne große Emotionen, die mich übermannen. Das Einzige, das zeigt, dass ich etwas empfinde, sind nach wie vor die Tränen, die meine Wangen entlang rinnen.
Als ich vor der großen Lache ankomme, schlägt mir der metallische Geruch entgegen. Ein Grummeln in meiner Magengegend kündigt an, dass ich so schnell wie möglich hier weg muss. Und auch mein Herz macht nun lautstark auf sich aufmerksam. Es schreit mich an, dass ich zu Severus gehen muss. Dass ich bei ihm sein muss. Doch ich werde in naher Zukunft wohl nie wieder solche eine Chance haben. Ich muss es tun.
Erneut lasse ich mich auf meine Knie sinken, öffne die Schachtel und hole das zerbrechliche Glas heraus. Ich ziehe auf der einen Seite den Korken heraus und schöpfe mit der Öffnung etwas Blut vom Boden auf.
Schlagartig reagiert der Trank darauf und verfärbt sich schwarz. Nicht auch nur einen Gedanken verschwendend, nehme ich mir eine Scherbe des Whiskyglases, das ich vorhin hab fallen lassen und schneide mir in den Finger. Dickes, rotes Blut quillt aus der kleinen Wunde hervor, ehe ich auch dieses in das Glas gebe.
Ohne auf das Ergebnis zu warten, stecke ich das Seelenglas zurück in die Schachtel, verschließe sie sorgsam und schiebe sie unter den Sessel, ehe ich aufstehe und so schnell es geht zu Severus in den Krankenflügel renne.
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Komm, unsere Herzen zeigen uns den Weg
FanficHermines Karriere läuft nun doch anders, als bisher geplant. Aber das macht ihr nichts aus, denn immerhin hat sie ihre große Liebe an ihrer Seite. Severus Snape. Endlich können die beiden ein glückliches, gemeinsames Leben führen, oder doch nicht? M...