Kapitel 1

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Alles begann als ich in den Fasanengarten 7 einzog. Eigentlich wollte ich nie hierher, aber ich musste mitziehen. Weg von Selters , meiner Schule und meinen Freunden nach Grünwald . Es kam mir vor wie die neunundneunzigste Hölle. Und jetzt war ich hier. Nein ich konnte und wollte mich hier nicht einleben. Auch wenn mein neues Zimmer größer war als mein altes. Insgesamt war das Haus größer als unser altes Zuhause. Aber das Entscheidende war, dass ich hier niemanden kannte und daheim in Selters all meine Freunde waren.

Wir waren heute mit dem Umzugswagen hier angekommen und der erste Eindruck des Hauses war nicht sehr überzeugend. Außerdem fehlte in der Straße das Haus Nummer 5. Normaler Weise müsste ich neben der Nummer 5 wohnen, aber ich wohnte direkt neben der Nummer 3, gegenüber der Nummer 4. Unsere Hofeinfahrt wurde von einem Eisentor bewacht, das ein wenig quietschte wenn man es öffnete. Die Gärten hier waren übermäßig groß und mit Zäunen umringt, manche schön manche weniger schön. Unsere Nachbarn hatten ein riesiges Baumhaus im Garten, drei Stockwerke hoch während unser Garten ziemlich verwildert aussah und der Zaun auch schon bessere Tage erlebt hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen hier zu leben. Mein Zimmer war bisher ziemlich spärlich eingerichtet; eine Matratze, ein Nachtisch mit Wecker, ein Schreibtisch am Fenster und ein großer Kleiderschrank. Hier sollte ich die erste Nacht verbringen? Das hier kam mir eher vor wie irgendeine Notunterkunft, es hatte nichts von einem Zuhause. Trotzdem, ich sollte früh schlafen gehen, denn morgen war auch der erste Schultag an der neuen Schule, dem Grünwald Gymnasium.

Als ich morgens erwachte, strahlte die Sonne fröhlich in mein Zimmer, ganz widersprüchlich meiner Laune. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass es halb sieben war. Ich sprang auf, denn ich hatte verschlafen! Eine halbe Stunde! Da kam meine Mutter in mein Zimmer. „Na? Schon wach? Ich wollte dich grade wecken." „Mama! Ich hab verschlafen! Eine halbe Stunde!" Ich rannte zum Kleiderschrank, riss ihn auf, betrachtete das spartanische Angebot an Klamotten und wählte eine Jeans und einen Kapuzenpullover. Nicht grade sehr elegant aber perfekt für einen verschissenen Morgen wie diesen. Meine Mutter schüttelte den Kopf. „Die Schule fängt hier um acht an. Du hast genug Zeit." Verwirrt schaute ich zum Wecker zu meiner Mutter zurück und dann in den Spiegel. Zum Glück, ich hatte genug Zeit um mich anständig fertig zu machen und pünktlich zur Schule zukommen. Zu spät kommen am ersten Tag würde nicht sehr gut ankommen. In Ruhe frühstückte ich, putzte meine Zähne und schminkte ich mich. Hier konnte ich zu Fuß gehen, zu meiner alten Schule bin ich mit dem Bus gefahren. Gerade als ich aus der Haustür kam, fuhren an mir zwei Jungen mit ihren Fahrrädern vorbei. Der Blonde dreht sich noch zu mir um und fuhr beinahe in dem anderen ins Rad. ‚,Kreuzkümmel, Fabi! Pass doch auf! Bist du bescheuert?", brüllte der Junge mit der karierten Mütze. Der blonde Junge schüttelte nur den Kopf und sagte irgendwas, was ich nicht mehr verstehen konnte. Auch ich schüttelte jetzt verwirrt den Kopf und ging den, von meiner Mutter beschriebenen, Weg zur Schule. Es war ein angenehm milder Morgen, nicht zu warm und nicht zu kalt. Aber auch das perfekte Wetter hob meine Laune nicht. Ich war neu hier, kannte niemanden und ich hatte die große Befürchtung, dass ich mich hier wirklich niemals einleben würde.

Endlich an der Schule angekommen, betrachtete ich sie genau. Sie war schöner als meine alte Schule und sah nicht aus wie ein Knast, nein, sie sah freundlich einladend ein, das musste ich zugeben. Trotzdem hätte ich diese 'Einladung' nur zu gerne abgelehnt. Neben dem Lehrerparkplatz stand ein Fahrradunterstand mit Wellblechdach, unter dem sich viele Fahrräder angesammelt hatten. Fast alle davon waren schwarz und aufgemotzt. Eines davon erkannte ich wieder, es gehörte dem Jungen mit der karierten Mütze, er hatte ein unverkennbares Beiwagenfahrrad. Ich schaute auf die monstermäßige Uhr, die über dem Schuleingang hing. Fünf Minuten vor acht, ich trat in das Schulhaus ein. Ich hatte keine Ahnung, in welches Klassenzimmer ich musste, zu dem das Schulgebäude beeindrucken groß war. Deshalb suchte ich das Sekretariat auf und meldete mich als neue Schülerin an. Ein weiterer Pluspunkt dieser Schule war die freundliche Sekretärin, die man nicht mit den Sekretärinnen an meiner alten Schule vergleichen konnte. Die Dame wies mich zum Büro der Direktorin, Frau Kling, welche mich dann zu meiner Klasse bringen sollte, also meldete ich mich bei ihr. Sie war eine junge Dame mit kupferfarbenen Haaren und Sommersprossen. Sie sah eher aus wie eine nette Verkäuferin aber nicht wie eine ernste Direktorin, auch wenn sie ein schwarzes Kostüm trug. Und genau wie eine nette Verkäuferin lächelte sie mich auch an. Es war ein Hallo-und-Herzlich-Willkommen-Lächeln, genau so eins wie man es in dieser Situation erwartete. Aber ihr Lächeln steckte mich an, das erste Lächeln seit dem ich in Grünwald war. „Ah, ich habe dich schon erwartet. Emma stimmt's?" Ich nickte zustimmend. „Nun gut, wollen wir dich doch zu deiner neuen Klasse bringen. Schon aufgeregt?'" Ich nickte wieder nur, ich war nicht in der Stimmung zu reden, ich wollte nur den heutigen Schultag überstehen. Wenn's ging stumm. Ich wusste, dass ich mir den Weg zu meinem neuen Klassenraum einprägen sollte, doch dazu war ich viel zu abgelenkt von den Bildern an den Wänden und dem Gerede der Direktorin. Die plapperte fröhlich: ‚, Ich versteh total wenn du aufgeregt bist, ich meine neu an einer Schule zu sein. Das ist nicht so einfach, ich versteh das. Wenn du Probleme haben solltest, dann geh zu deinem Klassenlehrer, zur Vertrauenslehrerin oder direkt zu mir, Ja?" Wir waren vor Raum 214 angekommen, auch wenn ich mir gewünscht hatte, der Weg zu meiner neuen Klasse würde nie enden. Nun musste ich mich wohl oder übel den neugierigen Blicken all dieser fremden Leute stellen. Nach einem kurzen Klopfen und ohne auf eine Antwort zu warten, stieß Frau Kling die Tür zur Klasse auf, nickte in Richtung des Lehrers und fing mit fester Stimme an zu sprechen: „Hallo, das ist eure neue Mitschülerin Emma und ich hoffe das ihr sie gut aufnehmt.''

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