Kapitel 41

717 27 1
                                    

Den ganzen Tag über hatte es geregnet, erst eine Stunde vor Spielbeginn hatte es endlich aufgehört. Die Luft war warm und feucht, unglaublich drückend, so dass man sich am liebsten verkriechen wollte. Doch wenn Die Wilden Kerle ein Spiel hatten, konnten Darlene, Vivi und ich nur an einem Ort sein, dem Teufelstopf. Die Jungs machten sich warm auf dem Platz, während die Sonne stetig unterging und die Flutlichter nur darauf warteten eingeschaltet zu werden. Ich trug einen von Julis Pullovern, da es doch noch recht frisch werden sollte und gemeinsam mit meinen Freundinnen beobachteten wir die Gegner und versuchten sie einigermaßen zu analysieren. „Bei den Platzverhältnissen wird das heute keine einfach Partie", seufzte Vivi. Es war nicht schwer zu verstehen, was sie meinte, wenn man sah, wie die Spieler über den Platz rutschten. Es war matschig und nass, die Erde aufgeweicht und von dem Rasen würde am Ende des Spiels wahrscheinlich nur noch die Hälfte übrig sein. Der Schiedsrichter betrat den Platz und die Mannschaft machten sich bereit für den Spielstart.
Beim Anpfiff konnte Leon den Ball schnell für sich gewinnen, verlor ihn aber bei einem unsauberen Pass direkt wieder. Marlon agierte gezielt im Mittelfeld und für die ersten Minuten passierte nicht viel. Die beiden Mannschaften hielten sich erstaunlich gut die Waage und die Sturmspitze der Kerle konnte einfach nicht weit genug vordringen. Es waren nur noch wenige Minuten bis zur Halbzeitpause, da wechselte der Gegner einen neuen Stürmer ein. Und der verlor gar keine Zeit. In einem aggressiven Zweikampf mit Fabi holte er sich den Ball und stürmte auf das Tor der Kerle. Markus im Tor nahm eine angespanntere Haltung an und Juli war mit seiner vollen Aufmerksamkeit beim Gegner. Das brachte ihm nur leider gar nichts, denn der Gegner trickste, was dazu führte das Juli auf dem matschigen Boden ausrutschte und so für ein paar Sekunden außer Gefecht gesetzt war. Die Zeit nutzte der gegnerische Stürmer und zog in so einer perfekten Flugkurve den Ball ab, dass Markus keine Chance gehabt hätte, selbst wenn der Boden nicht zu matschig zum richtig abspringen gewesen wäre. Somit fiel das erste Gegentor und es brauchte nicht lange, dann gingen Die Wilden Kerle im Rückstand in die Halbzeitpause. Auch wenn Juli einige Meter entfernt von mir war, konnte ich dir Anspannung in seinem Gesicht sehen. Auch der Rest sah eher unentspannt und genervt aus. Leon redete eindringlich auf seine Teamkameraden ein und wechselte Fabi gegen Vanessa. Natürlich hofften Vivi, Darlene und ich darauf, dass das Team das Spiel werde wenden könne. Doch wir sollten bitter enttäuscht werden. Auch in der zweiten Halbzeit konnten Sturm und Mittelfeld nichts reißen und die Gegner schafften es noch zweimal zu verwandeln. Markus sah so aus, als wurde er am liebsten die Torpfosten aus ihrer Verankerung treten und so wie Juli dreinblickte, hätte der noch geholfen. Nachdem Leon einen weiteren Ball am Tor vorbei haute, konnte sich Darlene nicht halten und brüllte ein: „Das gibt's doch gar nicht!" über den ganzen Platz. Fabi drehte seinen Kopf zu uns. Schwer zu sagen, wer von uns beiden den anderen mitleidiger anblickte. Der Schlusspfiff fühlte sich an diesem Tag mehr wie eine Erlösung an und nachdem die Jungs ihre Gegner abgeklatscht hatten, schlurften die einen mit hängenden Köpfen vom Platz, andere stürmten regelrecht in Richtung der Umkleidekabinen. Maxi schlurfte zu Darlene, die ihm ebenso traurig entgegenlief. Auch ich hatte versucht meinen Freund entgegen zu gehen, doch Juli rauschte eiskalt an mir vorbei in die Umkleide und ich stand da wie ein begossener Pudel im Regen. Im Vorbeigehen tätschelte mir Fabi kurz auf den Rücken und schenkte mir erneut einen mitleidigen Blick. Doch bevor ich etwas sagen konnte war auch er schon weitergegangen. Neben mir tauchte Vivi auf, die zwar kurz mit Deniz gesprochen hatte, doch dieser hatte sich nun auch unter die Dusche verabschiedet. „Was ein Spiel hm?", raunte meine Freundin mit zu, während sie sich bei mir einhakte. Ich erwachte aus meiner Schockstarre. „Absolute Katastrophe", murmelte ich, was Vivi mit einem Nicken bestätigte. Darlene tauchte neben mir auf und beobachtete gemeinsam mit uns das Vereinsheim. Wir alle waren ein bisschen sprachlos, zum einen, da wir nicht erwartet hatten, dass die Kerle verlieren, schon gar nicht gegen einen Gegner, der keiner der Top Vereine war. Zum anderen fühlten die beiden anderen mit mir, wie Juli mich einfach hatte stehen lassen. Klar, eigentlich war das keine große Sache, doch für mich irgendwie schon. Mich einfach ignorieren, nur weil er verloren hatte?

Es dauerte gar nicht mehr lange, da stürmte Juli wieder aus der Umkleide heraus. Sein kleiner Bruder folgte ihm mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck. Ich musste einen kleinen Sprint einlegen, um Juli einzuholen. „Juli, hey, was ist denn los mit dir?", fragte ich ihn, sobald ich ihn erreicht hatte. „Gar nichts!", zischte er und hantierte weiter an seinem Fahrrad herum, um es so in Position zu bringen, dass er losfahren konnte. „Ja, ihr habt das Spiel verloren, aber das ist doch kein Weltuntergang und schon gar nicht deine Schuld", versuchte ich meinen Freund zu beruhigen, der so hart an seinem Fahrrad herumzerrte, dass sogar die Kette heraussprang. Juli drehte sich zu mir und rollte nur mit den Augen. In einer Lautstärke, die gereicht hätte um noch Leute in drei Metern Entfernung zu erreichen, entgegnete Juli kalt: „Kannst du mir einfach gerade mal nicht auf die Nerven gehen?!" Erschrocken zuckte ich zurück. Selbst Joschka, der ein paar Schritte von mir entfernt stand, sah schockiert aus. Sprachlos starrte ich Juli an, welcher schweratmig schnaufte und nach kurzem herumbasteln an der Kette auf sein Rad stieg. Ohne auch noch ein Wort an mich zu verlieren war er davon gefahren. Kurz drehte ich mich um und sah, dass zumindest die der Wilden Kerle, die noch da waren, zu uns herüber starrten. Als sie bemerkten, dass ich zu ihnen schaute, drehten sich die meisten weg. Nur bei Darlene konnte ich sehen, dass sie meinem Blick standhielt. Ihr Gesicht enthielt eine Mischung aus Schock und Mitleid. Mir wurde das Ganze zu viel und ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde und mein Körper am liebsten ein paar Tränen hervor gebracht hätte. Doch ich wollte garantiert nicht da stehen wie eine Idiotin und heulen. „Lass uns fahren", murmelte Joschka, der mich auch mit ein wenig Mitleid betrachtete. Auf der Fahrt schwiegen wir, was gut war, denn ich hatte nichts zu sagen.
Als ich die Haustür aufschloss, lugte meine Mutter aus der Küchentür. Doch bevor sie etwas sagen konnte, war ich schon zu meinem Zimmer rauf gerannt. Hier konnte ich es nicht mehr vermeiden, dass mir einige Tränen über die Wangen liegen. Ich fühlte mich wütend, enttäuscht, bloßgestellt. Julis Pullover streifte ich mir hastig über den Kopf und schmiss ihn in eine Ecke. Weder konnte ich gerade den Anblick, noch den Geruch ertragen.
Nach einer heißen Dusche legte ich mich ins Bett, wo ich mich unter meiner Decke zusammenrollte. Ich kam mir wie eine Idiotin vor, zum einen, weil Juli mich so angemacht hatte und zum anderen, weil ich jetzt hier lag und schmollte. Doch ich fühlte mich nun mal elend und da half nichts, außer ein bisschen in Selbstmitleid baden. Nachdem ich einige Minuten nur ins Dunkle gestarrt hatte, kramte ich mein Handy vom Nachttisch. Joshuas Nummer musste ich nicht lange suchen, er war noch immer unter meinen Favoriten gespeichert. Es klingelte und klingelte und klingelte, so lange, bis sich schlussendlich die automatische Mailboxansage am anderen Ende der Leitung meldete. Natürlich, das musste ja so kommen. Mit noch ein bisschen mehr Frustration rollte ich mich zur Seite. Was war das für ein Tag.

Neu in GrünwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt