Kapitel 31

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Julis Haar war noch leicht feucht, als ich meine Finger hindurch gleiten ließ. Meine andere Hand lag auf seiner Brust, die sich mittlerweile wieder sanft hebte und senkte. Eben, als ich ihn noch einmal wegen seines Auftritts, als er nur das Handtuch um seine Hüften trug, aufgezogen hatte, hatte sein Herz geklopft wie wild. Das Bild seines trainierten Oberkörpers schwebte noch vor meinem inneren Auge. Er war muskulös, doch noch eher schmal in seiner Statur und eine absolute Augenweide. Die sanften blauen Augen, die unter den blonden Haarsträhnen, welche ihm ins Gesicht fielen, heraus lugten, betrachteten mich genau. „Was ist los?", fragte Juli und sein Blick glitt fragend über mein Gesicht. Ich erwachte durch seine Stimme aus meiner Tagträumerei und versuchte ihn mit einem „Ach nichts" davon abzulenken, dass ich die letzten Sekunden nur damit verbracht hatte, sein Aussehen anzuhimmeln. Ich konnte ihm aber ansehen, dass er mir meine Antwort nicht abgekauft hatte. Eher noch wurde sein Ausdruck besorgt und der Griff um meine Hüfte noch etwas fester. „Es ist alles in Ordnung Juli, ich habe nur etwas geträumt", versuchte ich ihn zu beschwichtigen und gab ihm einen schnellen Kuss. Sein Gesicht entspannte sich und sogar ein kleines Lächeln zeichnete sich in seinem Mundwinkel ab. Mir blieb nur zu hoffen, dass er nicht herausfand, wovon ich träumte. Ich merkte, wie nun erneut mein Herz begann, schneller zu schlagen und die Hitze meine Wangen hinauf kroch. Um das vor Juli zu verbergen, kuschelte ich mein Gesicht an seine Brust und nuschelte: „Wie war das Training?" Er begann zu erzählen, was sie gemacht hatten und was Leon gesagt hatte, dabei streichelte er mit seiner Hand auf meinem Rücken auf und ab. Ich war froh, dass Leon so gut reagiert hatte, denn ich hätte es nicht gebrauchen können, wenn er Juli, der sich sowieso schon verrückt gemacht hatte, zur Sau gemacht hätte. Juli schien zufrieden zu sein mit dem Training und noch um einiges zuversichtlicher als am vorherigen Tag.
Wir verbrachten einen gemütlichen Sonntag zusammen mit Tee und Serien schauen.

Kein anderes Geräusch konnte so viel Wut in mir auslösen wie mein Wecker. Dieses verdammte Gedudel zwängte sich in mein Ohr und ließ mich die letzten Fetzen meines schönen Traumes vergessen. Ich versuchte mich verzweifelt zu erinnern, doch da war nichts mehr, außer einem wohligen Gefühl im Bauch. Erst als ich den Rolladen in meinem Zimmer nach oben zog bemerkte ich, dass es regnete wie verrückt. Na großartig. „Mama", brüllte ich die Treppe hinunter und bekam ein ausgedehntes „Ja" zurück. „Kannst du mich heute zur Schule fahren? Es regnet wie verrückt", brüllte ich erneut. „Ja, mach ich", bekam ich zurück und dann schlurfte ich erstmal ins Bad. Während ich etwas frühstückte schrieb ich den Jungs, dass wir sie mit zur Schule nehmen konnten. Ich ging einfach davon aus, dass keiner von ihnen Lust hatte mit dem Fahrrad zu fahren.
Meine Mutter bewegte ihr Auto aus unserem Hof auf die Straße, da erblickte ich gegenüber schon Fabi. Sein blonder Lockenkopf lugte unter der großen Kapuze seiner schwarzen Regenjacke hervor und als er mich in meinem babyblauen Regenmantel entdeckte, grinste er. Ich sprintete zum Auto und lies mich auf den Vordersitz fallen. Einige Sekunden später wurde einer der hinteren Türen geöffnet und Fabi kletterte mit einem „Hallo" auf den Rücksitz. Mit einer Hand streifte er sich die Kapuze vom Kopf, mit der anderen verstaute er seinen Rucksack im Fußraum, bis sein Blick meinen im Rückspiegel traf. Wieder setzte er sein Grinsen auf, doch bevor ich reagieren konnte flog die Tür hinter mir wieder auf und die zwei keifenden Brüder stiegen ein. Es ging wieder einmal darum, dass Joschka getrödelt hatte und Juli nun pitschnass war, kurz gesagt; die Stimmung war bei beiden angespannt. Sie begrüßten uns kurz angebunden und meine Mutter setzte die Fahrt fort. Schweigen legte sich über uns und während ich meine Haare flocht hörte man nur leise die Musik aus dem Autoradio. Sie spielten einen Hit des fast vergangenen Sommers, von dem gerade wirklich nichts mehr zu spüren war, außer die Erinnerungen die an dem Lied hingen. Ein Sommer der nicht hier begonnen hatte, aber hier enden würde. Nachdem ich erfahren hatte, dass unser Umzug endgültig feststand, hatte ich versucht alles aus diesem Sommer heraus zu kitzeln was möglich war. Fast jeden Tag war ich unterwegs gewesen mit meinen Freunden und Joshua und ich hatten versucht jeden Sonnenstrahl einzufangen. Und in meinem Kopf liefen diese Bilder ab, mit dem bittersüßen Gefühl des Vermissens, obwohl man glücklich war.
Meine Mutter stoppte das Auto und obwohl es noch stetig regnete, war es weniger geworden. Mit Bedankungen und Verabschiedungsrufen kletterten wir aus dem Wagen meiner Mutter und verborgen unter Kapuzen sprinteten wir ins Hauptgebäude. Erst als wir im Trockenen standen und uns wieder gerichtet hatten, zog Juli mich für einen schnellen Kuss an sich. „Sorry das ich dich erst jetzt richtig begrüße, aber Joschka hat mir mal wieder den letzten Nerv geraubt", murmelte er, während mein Gesicht noch immer nur Zentimeter von seinem entfernt war. „Schon in Ordnung", entgegnete ich und gab ihm noch einen schnellen Kuss. Als Juli mich aus seiner Umarmung entließ bemerkte ich, dass Joschka und auch Fabi bereits verschwunden waren. Gemeinsam gingen wir zu unserem Klassenraum, wo erst wenige unserer Mitschüler sich aufhielten, geschuldet dem Fakt, dass wir heute früher als gewöhnlich in der Klasse waren. Gemeinsam mit Juli setzte ich mich an meinen gewohnten Platz und packte meine Sachen auf den Tisch. Ein paar andere waren noch in Gespräche vertieft, während andere auf ihre Handys starrten. Auch Juli war mit seinen Schulsachen beschäftigt. Auf einmal weiteten sich seine Augen und verwirrt starrte ich ihn an. „Wir hatten Hausaufgaben oder?", fragte er mit dünner Stimme. Ich musste laut auflachen. Das hatte ihn in solche Panik versetzt? Immer noch grinsend nickte ich. „Oh man, gestern Abend habe ich noch die ganze Zeit gedacht, das ich irgendwas vergessen habe", maulte er. „Aha, daran denkst du also, wenn wir zusammen sind: Hausaufgaben", entrüstete ich mich gespielt, doch Julis Antwort kam blitzschnell: „Ja eben nicht, sonst hätte ich sie ja heute!" Wieder lachte ich kurz und schob dann mein Heft näher zu ihm. „Hier, du hast noch genug Zeit um abzuschreiben", offerierte ich ihm. Dankbar nahm er das Heft an sich und machte sich ans Abschreiben. Seine Hand flog über seinen Collegeblock und hinterließ ein Gekritzel, das nur schwer als Handschrift zu erkennen war. Juli musste eine der schrecklichsten Handschriften der Welt haben, wenn er sich beeilte. „Mit dieser Kritzelschrift könntest du fast Arzt werden", piesackte ich ihn und verwirrt drehte sich sein Kopf zu mir. „Haha", entgegnete er, „aber Arzt will ich sicher nicht werden. Dann müsste ich mich ja anstrengen in der Schule. Nein, ich handwerkle lieber mit anderen Materialien als an Menschen herum." Ja, das konnte ich mir gut vorstellen. Während Juli anscheinend schon Pläne für die Zeit nach der Schule hatte, war ich mir da alles andere als sicher. Meine Gedanken drohten mal wieder abzuschweifen, bis meine beste Freundin sich mit einem genervten Stöhnen auf ihren Stuhl fallen lies. „Guck dir die Scheiße mal an", raunte sie und knallte ihre Tasche auf den Tisch. Tropfen spritzen auf von der Tasche auf die umliegenden Sachen und mit einer hektischen Handbewegung barg Darlene ihre Bücher und Mappen. Ein paar davon hatten etwas Wasser abbekommen und begannen langsam sich zu wellen. Völlig überrascht drehte ich mich zu ihr. „Dir auch einen guten Morgen", entgegnete ich und half ihr, ihre Sachen aus der Tasche auszuräumen. „Da hat es reingeregnet, bei dem Mistwetter"; erklärte sie und ich konnte mir nicht verkneifen anzumerken, dass eine geschlossene Tasche bei Regen besser wäre. Sie warf mir nur einen genervten Blick zu und musste dann doch lachen, als sie das von ihr fabrizierte Chaos betrachtete. „Oh man, ich sollte mir wirklich einen ordentlich Rucksack kaufen oder?", jammerte sie und Juli und ich nickten eifrig. Während wir noch mit der Rettung ihrer Schulsachen beschäftigt waren, füllte sich das Klassenzimmer und auch unser Lehrer betrat den Raum.
Da der Regen nicht aufhörte, verbrachten wir den ganzen Tag drinnen. Auch am Mittag verkrochen wir uns alle zuhause und warteten auf eine Besserung, doch sie kam nicht. Den größten Teil des Tages verbrachte ich also mit meinen Schulsachen und dem Fernseher.

Auch der Dienstag war nicht besser. Der Regen hielt den ganzen Tag mal mehr, mal weniger stark an und als ich durch das Küchenfenster Juli und Joschka zum Teufelstopf fahren sah, hatte ich glatt Mitleid mit ihnen. Doch ich konnte Joschka fast schon hören, wie er mir vorwurfsvoll entgegen würde, dass er kein Schönwetter-Fußballer sei. Wer diese Saison Meister werden wollte, musste anscheinend auch leiden können.

Erst der nächste Tag brachte Besserung. Es war zwar nicht wirklich warm, aber immerhin nicht mehr verregnet und nur etwas windig. Aber bei den Jungs gab es sowieso nur ein Thema: Das bevorstehende Spiel. Natürlich hatte ich mit meinen Mädels ausgemacht, dass wir uns zum zuschauen treffen würden. Dementsprechend fieberten zumindest die Mitglieder und Unterstützer der Wilden Kerle dem Ende der Schulstunden eifrig entgegen. Doch es zog sich und zog sich. Ich versuchte mich im Unterricht zu konzentrieren, doch Julis nervöses hin und her Rutschen auf seinem Stuhl machte mich fast wahnsinnig. In der letzten Pause griff ich nach seiner Hand, bevor er die nach draußen auf den Schulhof trat. „Was ist los?", fragte ich einfühlsam und drückte seine warme raue Hand. Sein Blick wanderte über mein Gesicht und dann zu Boden. Er machte einen Schritt auf mich zu und mit leiser Stimme antwortete er: „Das Spiel heute Abend macht mich nervös. Ich will eine gute Leistung abliefern und der Druck ist diese Saison ist einfach ziemlich hoch. Wir werden als Favoriten gehandelt und dem will ich gerecht werden. Aber was wenn ich es nicht schaffe?" Ich wollte ihn so gerne beruhigen, also nahm ich in den Arm und versuchte ihm aufbauende Worte ins Ohr zu flüstern. Seine Körper entspannt sich minimal in meinem Griff. Nach einigen Sekunden ließ ich ihn los und gemeinsam gingen wir nach draußen, doch wir spazierten nur zu zweit über den Hof, denn ich wollte nicht, dass er noch mehr über das anstehenden Spiel diskutieren musste.

Ich stieß die Haustür auf und rief nach drinnen, dass ich zuhause war. Meine Mutter meldete sich aus der Küche und ich setzte mich zu ihr. Wir unterhielten uns und ich erzählte ihr davon, was ich heute Abend vor hatte. Als ich ihr erklärte, wie aufgeregt Juli war, schüttelte sie seufzend den Kopf. „Der Junge macht sich viel zu verrückt", verkündete sie, „er wird das schon schaffen. Er ist ein cleverer Junge, der was auf dem Kasten hat. Das wird schon." Sie schenkte mir ein zuversichtliches Lächeln und ich versuchte es zurück zu geben, auch wenn ich mich immer noch um meinen Freund sorgte. Nach dem Essen verkroch ich mich für die Hausaufgaben auf mein Zimmer und machte mich dann fertig für das Spiel. Ich wollte mich mit Darlene und Vivi kurz vor dem Teufelstopf treffen und machte mich dementsprechend früh auf den Weg. Die Spannung baute sich langsam in mir auf, doch ich war auch zuversichtlich. Ich glaubte an diese Mannschaft.

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