Kapitel 36 - Julis Sicht

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Diese zarten Laute, die Emma von sich gab, lösten jedes Mal ein Herzrasen in mir aus. Jedes Mal spürte ich dieses Gefühl, als würde sich ein Elektrizität in meinem ganzen Körper ausbreiten. Und dann noch, wie sie sich bewegte, ihr perfekter Körper so nah an meinem, ihre zarten Hände über meine Brust, meinen Hals, mein Gesicht. Vorsichtig ließ ich meine Hände von ihr Taille an ihren Beinen hinab gleiten, die sie auf beiden Seiten neben meiner Hüfte platziert hatte, während sie auf meinem Schoß saß. Das Thema Mathe schob ich weit in meinen Hinterkopf und sowieso hätte ich mich nicht konzentrieren können. Emma brachte meinen Kopf immer wieder durcheinander, brachte mein Blut zum kochen und mein Herz zum rasen. Mein Körper reagierte ziemlich eindeutig auf die Art, wie sie sich im Einklang mit mir bewegte. Ich konnte es kaum fassen, was ich hier tat. Zwar hatte ich es Emma nie gesagt, aber sie war mein erster richtiger Kuss gewesen. Ich schämte mich irgendwie dafür, umso unglaublicher war es gewesen, ihn mit einem Menschen zu teilen, der mich so in seinen Bann zog. Mein Shirt hatte sich bei meinem Versuch, mich aufrechter hinzusetzen, ein wenig nach oben geschoben. Emmas Hand lag nun auf dem kleinen Stück Haut, dass dadurch frei gelegt wurde. Es war unmöglich, das nicht zu bemerken, weil ich das Gefühl hatte, meine Haut würde an dieser Stelle in Flammen stehen. Diese ganzen Gefühle waren neu für mich, aber das spornte nur meinen Wunsch an, sie alle mit Emma zu erkunden. Die Enttäuschung, dass sie unseren Kuss auflöste, war dementsprechend riesig. „Du weißt, dass ich die Klassenarbeit auf keinen Fall verhauen will", murmelte Emma. Ich konnte ein Augenrollen nicht zurückhalten. Manchmal war meine Freundin eine echte Streberin. „Ja, ich weiß Baby, aber du wirst sie nicht verhauen. Dafür bist du viel zu clever", versuchte ich sie zu beruhigen und tatsächlich verzog sich ihr Mund zu einem sanften Lächeln. Innerlich betete ich, dass sie sich dadurch umstimmen ließ, das Lernen zu vergessen und mich wieder zu küssen. Aber nichts da. Sie schwang sich von meinem Schoß und wendete sich ihrem Rucksack zu. Ich seufzte. Neben ihrem Buch breitete sie noch ihr Heft und ihre Stifte auf meinem Bett aus und warf mir dann einen flehenden Blick zu. Ein weiteres Seufzen entfuhr mir und ich beugte mich mit ihr gemeinsam über die Aufgaben. Die Nachhilfe erwies sich als schwierig, denn Emma und Mathe waren wie Feuer und Wasser. Dennoch arbeiteten wir ausdauernd, wofür ich sie bewunderte. Ich hätte schon längst hingeschmissen. Erst, als wir erfolgreich einen Probetest durchgerechnet hatten, gab sie sich zufrieden. Egal, wie viel Nerven mich das ganze gekostet hatte, ihr triumphierendes riesiges Grinsen war es alle mal wert. „Ich hab es!", rief sie entzückt und ich nickte bestätigend. „Oh, danke Juli", quietsche sie und drückte mir einen kräftigen Kuss auf die Lippen. Na, anscheinend konnte ich mich gut als Nachhilfelehrer revanchieren. Emma packte ihre Sachen wieder ein, während ich mich wieder in meine Kissen fallen ließ und meine Augen schloss. Kurz darauf spürte ich, wie sich Emma an mich kuschelte. Oh ja, genau darauf hatte ich gewartet. Endlich wieder dazu zurückkehren, was Emma für das Mathelernen unterbrochen hatte. Während ich noch meine Augen geschlossen hielt, fühlte Ich zarte Küsse an meinem Hals und Emmas Hand auf meiner Brust. Ich begann die Küsse zu erwidern und wollte gerade Emma wieder näher zu mir ziehen, da klopfte es energisch an meiner Zimmertür. Einige Sekunden später hatte mein kleiner Bruder auch schon die Tür aufgerissen und wollte zum Sprechen ansetzen. Das war jetzt das zweite Mal, dass er einfach in mein Zimmer stürmte, obwohl er wusste, dass Emma hier war. Klar, ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass wir hier Gott weiß was taten, aber war es verdammt nochmal zu viel verlangt, ein bisschen Privatsphäre zu bekommen? „Kannst du nicht warten, bis man dich hereinbittet, kreuzkackendes Kümmelhuhn?", brüllte ich entnervt. Emma neben mir war das mal wieder ziemlich unangenehm, weshalb sie so unauffällig wie möglich versuchte, Abstand zwischen uns zu bringen. Ziemlich unbeeindruckt zuckte Joschka nur mit einer Augenbraue nach oben. „Jaja, wie auch immer. Hast du nicht auf dein Handy geschaut?", fragte er monoton. Am liebsten hätte ich vor Wut etwas nach Joschka geschmissen, aber irgendwie hatte mich seine Frage auch aus dem Konzept gebracht. „Nein, seit ich hier zuhause bin nicht, warum?", bohrte ich mit einem genervten Unterton nach. „Leon hat das Training auf heute verschoben, weil es morgen schütten soll wie aus Eimern, heißt wir müssen bald los", erklärte Joschka. Ich rollte die Augen und stöhnte auf. Natürlich. „Ja alles klar", murmelte ich nur und warf Emma einen Blick zu. Sieh sah ein wenig enttäuscht aus und auch, wenn es mir im Inneren genauso ging, war Training immer noch wichtig. Sie bemerkte wohl, dass ich innerlich mit mir kämpfte ob ich gehen sollte oder nicht, weshalb sie mir an den Arm fasste. „Ist kein Problem", flüsterte sie und schenkte mir ein sanftes Lächeln. Dankbar streichelte ich über ihre Hand.
In Windeseile packte ich meine Tasche zusammen und radelte mit meinem Bruder zum Teufelstopf.

Es dauerte ein wenig, bis wir alle zusammen waren. Leon erklärte erst, weshalb er das Training verschoben hatte und was er heute vor hatte. Er wirkte ernst, was verständlich war, denn am Wochenende würden wir auf den härtesten Gegner der Saison treffen. Dementsprechend gab es nicht viel Gequatsche, sondern Leon kam schnell zum Punkt. Er erklärte knapp die Trainingseinheit und schon legten wir los. Als Partner wollte ich eigentlich mit Maxi spielen, doch irgendwie landete ich bei Fabi. Na großartig. So sehr ich auch versuchte, ihn immer noch genau so zu mögen wie immer, es gelang mir nicht. Ich sah die Blicke, die er Emma zuwarf, wenn er glaubte, keiner würde ihn beobachten. Doch ich beobachtete ihn, denn ich glaubte nicht daran, dass er kein Interesse an ihr hatte. Da warf ich einen Seitenblick zu Deniz. Irgendwie verstand ich ihn und seine Eifersucht, wie Emma schon festgestellt hatte. Mir war schon bewusst, dass es unsere Beziehung belastete, aber die Angst Emma zu verlieren war größer.
Während des Trainings versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, was mir durch den Kopf ging, aber ich war auch froh, als es vorbei war.

„Hey Juli", rief Fabi mir zu, als ich gerade zu meinem Fahrrad gehen wollte. Oh nein, hatte er doch was gemerkt? „Wenn es morgen so regnet wie gemeldet, dann würde meine Mutter uns zur Schule fahren, wollte ich dir nur sagen", erklärte Fabi. Ein beruhigtes Seufzen verließ mich und ich antworte: „Ja, alles klar, danke." Auch mein Bruder nickte Fabi zu und wir verabschiedeten uns. Nochmal Glück gehabt, dachte ich mir und verfluchte mich doch innerlich.

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