Kapitel 2

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Ich schaltete meinen Laptop an, holte mir unten noch was zu essen und schaute nach was es so neues gab. Gerade als ich meinen Laptop ausgeschaltet hatte, klingelte es an der Tür. Darlene und Vivi waren da um mich abzuholen und zusammen fuhren mit unseren Fahrrädern zu Darlene's Haus. Und eins musste ich zugeben; dieses Haus war riesig. Nein, das war kein Haus, das war eine Villa und zwar eine wunderschöne. Sie wohnte mitten in einem Villenviertel. Als wir das Haus betraten kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus, doch Darlene's Zimmer war die Krönung. Vor allem ihr begehbarer Kleiderschrank. Ich setzte mich auf ihr Sofa und wir fingen an uns über Grünwald zu unterhalten. „Wie findest du es hier?", bohrte Darlene nach. „Bisher ganz gut", antwortete ich, „Grünwald ist größer als Selters" „Und du hast noch nicht mal alles gesehen", entgegnete Vivi. „Ja, stimmt, ihr müsst mir mal alles zeigen", gab ich aufgeregt von mir. Darlene nickte aufgedreht: „Wenn du willst können wir jetzt in die Stadt fahren und dir alles zeigen!" Also stiegen wir wieder auf unsere Zweiräder, um die Stadt zu erkunden.

Grünwald hatte einige große Modeketten und FastFood Läden, aber auch mehrere kleinere Geschäfte, wie Boutiquen und Cafes, und eine Eisdiele, die den kreativen Namen ‚Ice Dieler' trug. Die beiden erklärten mir, dass das Eiscafé Leon und Marlons Vater gehörte. Als wir auf die Eisdiele zu fuhren, winkte uns ein rothaariges Mädchen zu. Ich kannte sie nicht, doch Vivi und Darlene schienen sie zu kennen und sie gingen auf sie zu um sie zu begrüßen und mir vorzustellen. Schnell begann ein Gespräch zwischen ihnen, an dem ich nicht teilnehmen konnte, also schaute ich mich währenddessen im Café um und entdeckte ein paar Jungs aus meiner neuen Klasse an einem Tisch sitzen. Sie unterhielten sich und lachten. Mir fiel auf, dass einer der Jungen jünger zu sein schien, als all die anderen. Plötzlich drehte sich einer von ihnen in meine Richtung. Es war Juli und er lächelte als er mich sah. Ich lächelte zurück und spürte eine leichte Röte in mein Gesicht steigen. Dann drehte ich mich wieder zu den anderen Mädchen. Dennoch hörte ich ihn rufen: „Hey, wollt ihr euch vielleicht zu uns setzten?" Wir alle drei drehten uns gleichzeitig um. Als Darlene gesehen hatte, wer das gerufen hatte, grinste sie mich an und schon saßen wir bei den Jungs. An dem Tisch saßen sechs Jungs. Drei von ihnen kannte ich, nämlich Juli, Maxi und Felix. Doch die anderen drei kannte ich nicht. Der eine hatte blondes Haar und war noch mit seinem Eis beschäftigt, der andere hatte schwarzes Haar, ich glaube er war Türke. Der Jüngste hatte dunkles Haar und ein süßes Lächeln. Er schaute mich aber erst mal verwundert an. Juli erkannte, dass ich noch nicht alle Anwesenden hier kennengelernt hatte und stellte mich prompt vor: „Jungs, das ist Emma. Sie ist neu hier, sie wohnt im Fasanengarten und geht auf unsere Schule. Und Emma das sind Markus, Deniz und Joschka, mein kleiner Bruder''. Ein wenig nervös blickte ich in die Runde und zwang mich zu einem Lächeln. Die Blicke die Deniz Vivi zuwarf, waren nicht zu übersehen. Ich wollte keine unangenehme Stille, deshalb begann ich zu sprechen: „Ehm... Markus auf welche Schule gehst du?" Er schaute mich erst mal verwundert an, so als ob er sich nicht sicher wäre, ob ich mit ihm gesprochen hätte. „Ich geh' auf eine Privatschule'', nuschelte er so dahin. Das beindruckte mich ein wenig, er sah gar nicht so aus als ginge er auf eine Privatschule oder als wäre er ein versnobter Typ. Wahrscheinlich unterlag ich da einem vorurteilbehafteten Bild in meinem Kopf. Ich fühlte mich ein wenig unangenehm und fremd. Es war als könnte Darlene das spüren und sie lächelte mich an. „Wollen wir alle zusammen noch was machen?", fragte sie in die Runde um das Gespräch nicht wieder ersterben zu lassen. Ihr Vorschlag traf auf Zustimmung. Wir, beziehungsweise Sie, beschlossen in den Teufelstopf zu fahren. Teufelstopf? Was sollte das jetzt schon wieder sein? „Teufelstopf?", fragte ich Vivi flüsternd. „Ihr Fußballplatz'', flüsterte sie zurück. Ich war ja gespannt was ich von diesem Platz halten sollte, wenn er solch einen Namen trug.

Nach einiger Fahrtzeit kamen wir an einem großen, umzäunten Fußballplatz an. Man erreichte sein Eingangstor nur über einen kleinen Hügel, der, wenn man ihn erklommen hatte, eine gute Aussicht über das gesamte Feld gab. Ich war ziemlich beeindruckt. Fabi zeigte mir den Fußballplatz mit seinem Kiosk und allem was sonst dazu gehörte. Nach der Tour setzten wir uns an den Rand des Platzes und er begann mir vom dicken Michi und ihrem Match gegen ihn zu erzählen. Die anderen hatten inzwischen damit begonnen, Fußball zu spielen. Ich hörte Fabi zu wie er erzählte und legte mich zurück ins Gras. Über uns war der blaue Himmel. Fabi legte sich auch ins Gras. Wir schauten uns an und ich konnte seinen Atem spüren. Ich lächelte. „Wie findest du es hier?", fragte er. „Schön", antwortete ich, und doch zog ich die Augenbrauen zusammen. „Aber?", fragte er weiter. „Ich will hier nicht bleiben", sagte ich knapp und wendete mich ab. Er schaute mich verwirrt an: „Wieso?" „Weil ich nicht hierher gehöre'', antwortete ich nur und schaute weiter in den blauen Himmel. Es kam mir vor als wäre ich hier nur auf Urlaub, in einer Woche würde ich wieder zurück sein. „Du gehörst hierher, glaub mir'', raunte er. Ich lachte: „Ach ja?". Ich sah von der Seite wie er nickte. „Und es war wahrscheinlich auch noch Schicksal das ich hierher gezogen bin", scherzte ich und wendete mich ihm wieder zu. „Wer weiß?", sagte er lachend und begann, mich verschwörerisch anzulächeln. Er hatte ein unglaublich bezauberndes Lächeln und hatte sich nun auf die Seite gelegt und stütze seinen Kopf auf. Ich schnaubte und schüttelte meinen Kopf, setzte mich auf und schaute aufs Feld. Die Mädels waren den Jungs kein bisschen im Nachteil. Ich musste an meine alte Fußballmannschaft in Selters denken, wir waren gerade erst Meister geworden. „Erzähl mir noch was", wisperte ich, und Fabi begann zu erzählen, wie der dicke Michi Juli erpresst hatte und er sie verraten hatte um seinen kleinen Bruder zu schützen. Und wie Maxi zum zweiten Mal sein Schweigen gebrochen hatte um ihn zu retten. Ich mochte diese Geschichte, sie klang so schön nach Mut und Freundschaft und mir wurde klar, woher ihr Name kam. Ich schaute auf meine Uhr. „Oh nein, ich muss nach Hause", rief ich. Schnell verabschiedete ich mich und fuhr dann mit dem Fahrrad nach Hause. Ich redete noch kurz mit meiner Mutter, aß etwas und ging dann hoch in mein Zimmer. Inzwischen hatte mein Vater schon mein Bett aufgebaut und die Kisten mit meinem Zeug in mein Zimmer gestellt. Nach einer Dusche legte ich mich in mein Bett, schlafen konnte ich noch lange nicht. Viel zu lange musste ich noch an den heutigen Tag denken. Irgendwann schlief ich dann doch zufrieden ein. Mir gefiel es, so lange schlafen zu können. Ich war schon viel besser gelaunt. Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, ging ich nach draußen und schnappte mir mein Fahrrad. Auf der Straße warteten schon Fabi und Juli. Zusammen mit ihnen fuhr ich zur Schule, wo ich erst mal herzlich von meinen Mitschülern begrüßt wurde. Die ersten beiden Unterrichtstunden verliefen ziemlich langweilig, den Stoff hatte ich schon in meiner alten Schule durchgenommen.

In der Pause spielten wir mit den Jungs Fußball. Sie waren alle unglaublich gut. Dann kam ein Junge, der nicht in unserer Klasse war. Er war mindestens zwei Jahre älter, doch alle anderen schienen ihn zu kennen. Ich wurde ihm dann auch prompt vorgestellt. „Emma, das ist Marlon, Leons großer Bruder, das Herz der Mannschaft." Er reichte mir seine Hand und ich schüttelte sie. Marlon sah sehr nett aus, war größer als ich und hatte blonde Haare. Wir spielten noch ein wenig Fußball bis es klingelte. Der Schultag ging vorbei und am Nachmittag wollten wir uns wieder im Teufelstopf treffen.

Als ich am Nachmittag am Teufelstopf ankam waren alle schon da. Ich spielte sofort mit Fußball und alberte mit den anderen rum. Wir hatten unglaublich viel Spaß. Dann begann ich mich aus Spaß ein wenig mit Juli zu prügeln, wobei mir Joschka gerne half. Das artete dann in einer spaßigen Massenprüglerei. Nachdem wir alle uns wieder ein wenig beruhigt hatten waren wir zu erschöpft um weiter zu spielen, deshalb lagen wir noch lange einfach da, im Gras und redeten. In diesen Momenten vermisste ich nichts zu Hause, ich war einfach nur glücklich.

Am nächsten Tag, es war Nachmittag und ich saß vor dem Fernseher. Plötzlich klingelte es an der Tür. Ich öffnete und vor mir stand eine junge Frau mit dunklen Haaren und einem Kuchen in der Hand. Und neben ihr Joschka und ein leicht erröteter Juli. Er schaute zu Boden, während die Frau zu reden begann: „Hallo'', sagte sie fröhlich, „ich wollte sie nur willkommen heißen, da sie ja neu hier eingezogen sind." Möglichst höflich bat ich sie herein und führte sie in die Küche. Sie begann mit meiner Mutter zu plaudern. Auch Juli und Joschka setzten sich in die Küche. „Ihr kennt euch schon oder?", warf Julis Mutter ein, während sie zwischen uns hin und her blickte. Ich nickte stumm. „Ehm, wie wär's wenn wir nach draußen gehen?", fragte ich leise. Juli und Joschka stimmten zu, ich hatte keine Lust in der Küche herumzusitzen. Doch schon an unserer Terrassentür bereute ich es; unser Garten sah immer noch aus wie ein verkümmertes Stück Land. „Also ähm, tut mir leid, unser Garten sieht schrecklich aus", stammelte ich, als wir im Garten standen. Doch Joschka schien meine Meinung nicht zu teilen. „Dein Garten sieht verdammt wild aus! Besser als unser blöder Blumengarten in den man ja nicht treten darf!", rief er, rollte die Augen und schnappte sich den Ball der im Garten lag und begann hochzuhalten. Dafür, dass er noch so jung war, konnte er das verdammt gut. Dann begannen wir uns zu zuspielen. „Wieso habt ihr eigentlich so ein riesiges Baumhaus im Garten?", wollte ich irgendwann wissen. „Das ist nicht irgendein Baumhaus", antwortete Juli, „das ist Camelot, unsere Zentrale." „Darf ich es mir mal ansehen?", fragte ich zögernd. „Aber natürlich", entgegnete Juli lächelnd. Ich mochte ihn jetzt schon sehr. Wir zwängten uns durch ein Loch im Zaun in seinen Garten und kletterten in das Baumhaus. Das erste Stockwerk war ein großer Raum, sie nannten ihn ‚die Halle'. In der Ecke stand ein Holzfass, das war ‚der Ambos', erklärten sie mir. Das verstand ich zwar nicht so ganz, aber das war jetzt egal. Das zweite Stockwerk war kleiner und voll mit Gerümpel. Nur das oberste Stockwerk bekam ich nicht zu sehen, ‚den Turm'. „Da darf nur Juli rein", erklärte mir Joschka flüsternd und verdrehte abermals die Augen. Joschka schien kein Fan von Verboten oder Ordnung zu sein. Wir blieben noch lange in der Halle sitzen und redeten. Ich erzählte von meiner alten Schule und von meinen Freunden in Selters. Und Juli erzählt mir ein wenig von sich. Joschka war nach einiger Zeit gegangen, ihm wurde es zu langweilig. Irgendwann kamen wir beide zum Schweigen und wir schauten uns tief in die Augen. Er hatte wunderschöne eisblaue Augen. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie dunkel es draußen geworden war. Immer noch in Gedanken an unser Gespräch, schaute ich an ihm vorbei. „Ich.. Ich glaub ich muss gehen", stotterte ich und schaute auf den Boden. „Schon?", kam es leise von ihm zurück. Immer noch zu Boden schauend nickte ich. Dann schaute ich ihn wieder an, unsere Blicke trafen sich. Es fühlte sich an wie ein Eisschauer von einer Sekunde auf die andere. Er machte einen Schritt auf mich zu und umarmte mich. Lange hielt er mich fest, ich atmete seinen Geruch ein. Er roch gut, frisch, nach Natur und Abenteuer. Im Grunde wollte ich mich nie wieder bewegen, ich wollte für immer so stehen bleiben und Juli schien es genauso zu gehen, er ließ mich nicht los. Irgendwann, nach einer gefühlten, aber dennoch zu kurzen Ewigkeit, lösten wir ins voneinander. Kurz schaute ich ihm wieder in die Augen bevor ich die Leiter herunter steig. Ich drehte mich nicht nochmal um, ich verschwand einfach in unserem Haus und legte mich direkt in mein Bett. Mein Fenster war noch gekippt, es wurde langsam dunkel und ich den Abendhimmel erblicken.

War das jetzt meine neue Heimat? Gehörte ich jetzt wirklich hierher? Ein Luftzug kam herein, und es war, als ob er Julis Geruch herein wehte. Ich schloss meine Augen, und bald schlief ich ein.

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