Kapitel 22

1.2K 42 1
                                    

In meinen Träumen verfolgte mich die Szene aus der Schule. Und noch viel schlimmer; sie schaukelte sich immer weiter hoch. Er sagte immer mehr, immer gemeinere Sachen. Mit einem letzten „Ich hasse dich“ ließ er mich stehen und ich konnte mich nicht bewegen. Ich blieb versteinert, während auch alle anderen nacheinander kamen und mich anschrien. Jeder von ihnen hatte etwas Fieses zu sagen und mir blieb nichts, als da zu stehen und die Tränen auf meinem Gesicht laufen zu lassen.

Schweißgebadet wachte ich auf und starrte an die Decke. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es erst 4 Uhr war, doch ich fühlte mich unruhig. Ich stand auf, ging ins Bad und legte mich dann in mein Bett zurück. Meine Versuche wieder einzuschlafen waren vergeblich, ich wälzte mich nur hin und her. Ich beschloss das Schlafen sein zu lassen und drückte ziellos auf meinem Handy herum. Das war nicht, wie ich mir den Samstag vorgestellt hatte. Leicht genervt schaltete ich den Fernseher ein, der in meiner Zimmerecke stand und schaltete so lange herum, bis ich etwas gefunden hatte, was halbwegs okay war. Irgendeine Krimiserie lief so vor sich hin, während ich halb zuschaute.

Mir mussten doch noch die Augen zugefallen sein, denn als ich wieder wach wurde, war die Sonne gerade erst aufgegangen und der Fernseher hatte sich von selbst ausgeschaltet. Wirklich ausgeschlafen fühlte ich mich trotzdem nicht. Etwas blieb ich noch liegen und starrte aus dem Fenster, dann rollte ich mich aus dem Bett um mir einen Tee zu machen. Während der Wasserkocher, so langsam wie immer, das Wasser erhitzte, überlegte ich, was ich mit diesem Tag noch anfangen konnte. Es sollte nicht besonders warm werden, also war Schwimmen raus. Generell war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt etwas unternehmen oder mich nicht einfach in meinem Zimmer verkriechen sollte. Als das Wasser endlich kochte, füllte ich es in meine Lieblingstasse und schlich so leise wie möglich wieder in mein Zimmer, da ich als einzige wach war. Um mich zu beschäftigen, räumte ich auf und als das durch war, legte ich mich zurück auf mein Bett und griff nach dem Buch auf meinem Nachttisch. Während ich las, ging die Sonne weiter auf und die Zeit kroch voran. Kurze Zeit später vibrierte mein Handy konstant neben mir und ich griff danach. Etwas überrascht stellte ich fest, dass es Maxi war, der mich anrief. Kurz entschlossen hob ich ab. „Hallo Maxi“, begann ich und versuchte meine Überraschung im Ton zu zeigen. „Hey“, entgegnete er nur knapp und fuhr direkt fort, „weißt du, wo Juli ist? Er wollte zum Teufelstopf kommen, aber ist nicht hier und er reagiert nicht auf meine Nachrichten und Anrufe.“ „Und warum fragst du mich das?“, fragte ich genervt und merkte in seiner Antwort, dass ich ihn damit kalt erwischt hatte. „Ich weiß nicht, ich dachte mir, du könntest das wissen oder, dass er dir vielleicht was erzählt hat.“ „Hat er nicht“, war alles, was ich zu sagen hatte. Ein paar Sekunden herrschte Stille am anderen Ende, bevor Maxi einfühlsam nachbohrte: „Was ist los? Und fang jetzt nicht an wie Juli und versuch zu lügen.“ Mir entfuhr ein ausgiebiges Seufzen. Ich entschied mich Maxi die Kurzversion des vorherigen Tages zu geben, damit er mich nicht weiter nervte. „Juli hat mich in der Schule angeschnauzt, ich sollte mich aus seinen Angelegenheiten raushalten und dann bin ich abends zu ihm rüber und habe ihn wiederum angemacht, dass er uns nicht wegdrücken solle, nur weil er Schiss vor dem Gefühle zeigen hat und dann bin ich abgezogen.“ „Oh, das wusste ich nicht“, murmelte er kleinlaut und wieder musste ich seufzen. „Alles gut Maxi, woher auch? Aber deshalb weiß ich weder wo er ist, noch will ich es gerade wissen. Diesen Stress will ich mir nicht mehr antun.“ Doch ich bekam keine längere Antwort mehr, nur noch ein: „Weißt du was Emma? Ich bin gleich bei dir.“ Dann war er weg. Verwirrt hielt ich mein Handy von mir weg und starrte auf den Bildschirm, wo kein Gespräch mehr angezeigt wurde. Schnell zog ich mir noch etwas über, dann ging ich vor die Tür, um Maxi abzupassen, bevor er jeden im Haus wachklingelte. Tatsächlich wartete ich nicht lange, bis Maxi in Sportkleidung auf seinem Fahrrad vor mir auftauchte. „Guten Morgen Maxi“, begrüßte ich ihn mit einem Lächeln. Das erwiderte er und stellte sein Rad ab. „Komm lass uns durchgehen, nach draußen in den Garten“, schlug ich vor und lotste ihn dorthin. Ich ließ mich auf einem der Gartenstühle fallen und erschauerte kurz über das Gefühl des kalten Leichtmetalls unter mir, geistesabwesend zog ich meine Jacke enger um mich. „Warum wolltet ihr euch treffen?“, fragte ich Maxi gerade heraus. „Wir wollten ein bisschen extra Training machen, weil die Saison bald wieder los geht. Ein bisschen Techniktraining.“ Als Antwort nickte ich und richtete meinen Blick gerade aus. „Aber viel wichtiger: Was hat Juli genau zu dir gesagt?“ Maxi schaute mich durchdringend an, während er eines seiner Bein auf dem Stuhl an sich ran zog. So ausführlich wie möglich gab ich unser Aufeinandertreffen wieder und auch was auf Camelot passiert war. Ein kurzes Schweigen lag zwischen uns, indem Maxi einen ungläubigen Blick bekam, dann sank sein Gesicht in seine Hände. „Wieso glaubt er nicht, dass ich einfach wissen will, wie es ihm geht?“ „Weil er nicht glaubt, dass sich irgendwer für seine Gefühle interessiert.“ Ich schnaubte genervt. „Wirst du ihn suchen? Oder warten, dass er zurück kommt?“, wollte ich an Maxi gewandt wissen und er zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung“, nuschelte er, bevor er sein Handy herauszog und verkündete, noch einmal zu versuchen Juli zu erreichen. Der Wahlton ertönt mechanisch aus Maxis Handy, das er auf den Lautsprechermodus geschaltet hatte. Gespannt starrten wir beide auf das Display, während ich mir fast sicher war, dass wir gleich an die Mailbox weitergeleitet werden würden. Doch erstaunlicherweise passierte das nicht, es war Julis Stimme die uns antwortete. „Hallo Maxi“, sagte er leise. Etwas überrascht schaute Maxi weiter auf das Display, bevor er sprach. „Juli, wo bist du? Wir wollten uns doch im Teufelstopf treffen oder nicht?“ „Ja, es tut mir leid, ich war unterwegs und habe die Zeit vergessen“, gab Juli kleinlaut zu. „Wo zur Hölle bist du vor halb sieben an einem Samstag unterwegs?“ „Ach, du weißt, mal hier, mal da.“ „Nein, ich weiß nicht. Sicher, dass du nicht wieder wegläufst?“, warf Maxi ihm vor. „Wie kommst du darauf?“, fauchte Juli und klang aggressiver als ich es erwartet hatte. „Weil du mich sonst nie hängen lässt“, war Maxis Antwort und etwas Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. Juli sagte kurz nichts und für einen Moment glaubte ich, er würde einfach auflegen. Doch Juli meldete sich wieder: „Es tut mir leid. Ich hab eine echt beschissene Nacht hinter mir und heute morgen, nachdem ich so verdammt früh wach geworden bin, da wollte ich einfach nur raus. Und dann hab ich wirklich die Zeit vergessen. Maxi, ehrlich, ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer, dass es mir leid tut.“ „Ist schon okay“, erwiderte Maxi mit weicher Stimme und schob hinterher: „Wo bist du jetzt?“ „Finsterwald, kurz vor der Steppe.“ „Soll ich zu dir kommen?“ „Nein nein, ich werde jetzt nach Hause fahren. Wenn du willst, kannst du dahin kommen“, lenkte Juli ein. „Das trifft sich gut“, fing Maxi an, „ich bin nämlich schon im Fasanengarten.“ „Warum denn das?“, fragte Juli überrascht. Maxi warf mir einen Blick zu, bevor er antwortete. „Ich bin bei Emma“, gab er nur knapp zurück. „Was machst du da?“, gab Juli ebenso knapp von sich. „Ich wollte nur von ihr wissen, ob sie vielleicht weiß wo du bist. Sie konnte es mir aber nicht sagen.“ „Woher auch? Wie auch immer, ich bin gleich da.“ In diesem Moment erklang der Freizeichenton und Juli war weg. „Oh man“, stieß Maxi aus und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Fragend schaute ich ihn an. „Warum redet er einfach nicht mit mir? Und warum ist mir das früher nie so aufgefallen?“, sagte Maxi, mit ein wenig Verzweiflung in seiner Stimme. Beschwichtigend versuchte ich auf ihn einzureden: „Maxi, gib ihm Zeit. Man ändert sich nicht über Nacht. Und außerdem, mach dir keine Vorwürfe. Du kannst nicht seine Gedanken lesen.“ Mit einem letzten Nicken stand Maxi auf. „Naja, ich gehe mal nach drüben“, verkündete Maxi und ich stand auf um ihn zu verabschieden. Natürlich war ich neugierig was jetzt passieren würde, aber ich war mir sicher, es noch früh genug zu erfahren.

Neu in GrünwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt