Kapitel 44

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„Das ist nicht euer verdammter Ernst", fauchte eine uns beiden nur zu gut bekannte Stimme, nur ein paar Schritte entfernt von uns. Manchmal glaubte ich, dass Universum hatte seinen Spaß daran, mich in die Scheiße zu reiten. Wie viele verdammten Zufälle mussten passieren, dass Juli und Fabi gleichzeitig die Idee hatten, nach mir hier zu sehen? Woher wussten die beiden überhaupt, dass ich hier war? Natürlich fragte ich mich auch, was Juli wohl glaubte, was hier gerade passiert war, auch wenn ich es mir ziemlich gut denken konnte. Das hier war eine dieser gnadenlos klischeehaften und super unangenehmen „Es ist nicht das, wonach es aussieht"-Szenen, wobei mein Gesicht ziemlich deutlich verheult und aufgequollen war und Fabi fast seine gesamte Armlänge an Abstand zu mir hatte. Doch ich kannte Juli und immerhin war unser letzter Streit wegen seiner Eifersucht wieder ausgebrochen. Ich erwartete das Donnerwetter, nur um Juli dann verklickern zu können, dass Fabi nicht mich mich geküsst hatte oder ähnliches, sondern sogar für ihn die Kohlen aus dem Feuer holen wollte. Mit festen Schritten stampfte er auf uns zu, wobei Fabi und ich nun einiges mehr an Abstand zwischen uns gelegt hatten.
Und dann passierte es. Manchmal, da spielt das Leben sich in Zeitlupe ab. Dies war einer dieser Momente. Aber egal, wie langsam die Erde sich zu drehen, wie verzögert jede Bewegung scheint, man kann nicht aufhalten, was passiert, auch wenn man im Rückblick das Gefühl hat, es wären Ewigkeiten zwischen den Sekunden vergangen. Juli hob seine Faust und bevor ich realisierte, was passierte, hatte er Fabi einen satten Schlag seitlich auf die Nase verpasst. Dieser ging sofort zu Boden und hielt sich schmerzverzerrt das getroffene Körperteil. Als er seine Hand wegzog sah man das dunkelrote Blut auf seinen Fingern, wie es sich zähfließend den Weg über die Handfläche bahnte. Mir bleib die Luft weg, im Gegensatz zu Juli, der neben mir schnaufte wie verrückt. Doch anders, als ich erwartet hatte, sprang Fabi auf wie eine Wildkatze und riss Juli zu Boden. Der knallte mit voller Wucht auf den Asphalt und obwohl Juli sich schon hart den Kopf angeschlagen haben musste, ließ Fabi dennoch mehrfach in schneller Bewegung seine Faust auf Julis Gesicht niedersaußen. „Oh Gott", brüllte ich, „hört auf! Seid ihr wahnsinnig!" Geistesgegenwärtig zerrte ich an Fabi, der noch immer auf Julis Oberkörper saß. Doch egal wie viel Kraft ich aufwendete, er bewegte sich erst, als Juli ihn mit voller Wucht einen Kinnhaken verpasste und Fabi deshalb nach hinten stürzte. Da ich aber noch mit meinem vollen Körpergewicht an ihm gehangen hatte, riss es auch mich zu Boden. Ich stolperte nach hinten, den verfluchten Hang hinunter und schürfte mir beim Versuch mich abzufangen die Handflächen auf. „Verdammte scheiße", murmelte ich und betrachtete meine geschundenen Hände. Fabi saß noch immer schwer atmend auf dem Boden, während Juli über ihm stand. Seine Lippe war aufplatzt, sein T-Shirt in der oberen Hälfte bedeckt von Blutstropfen. Ob seines oder Fabis, war schwer zu sagen. Doch der sah natürlich genau so aus. „Was glaubst du, was du die ganze Zeit machst? He? Du dummer Bastard glaubst, du könntest mir meine Freundin ausspannen. Kaum haben wir Streit, willst du dich an sie ranmachen!", keifte Juli. Glücklicherweise schien er immerhin nicht mehr zuschlagen zu wollen. Das ich mit blutigen Händen am Ende des Hügels saß, schien er noch nicht bemerkt zu haben. Fabi brüllte nur zurück: „Ich glaub du hast sie nicht mehr alle! Verdammt, du Wixer hast mir die verdammte Nase gebrochen! Wegen so einer Scheiße!" Erst jetzt schaute sich Juli nach mir um. Als er mich entdeckte wurde sein Gesichtsausdruck besorgt und er ging mit schnellen Schritten zu mir. „Emma, was ist passiert?", fragte er, denn auch ich hatte Blutflecken an mir, wie ich jetzt bemerkte. Juli streckte seine Hände nach mir aus, doch ich schlug sie weg, egal wie sehr das mit kaputten Handflächen schmerzte. In einer ausweichenden Bewegung krabbelte ich rückwärts nach hinten, um mich außerhalb seiner Reichweite aufzuraffen. Auch Fabi war mittlerweile aufgestanden und fasste sich immer wieder mit schmerzverzerrtem Blick an die Nase. „Emma, rede mit mir. Ich..", versuchte Juli mit mir Kontakt aufzunehmen. Sein Blick war verzweifelt, sein Haar stand in alle Richtungen. „Nein", fiel ich ihm bestimmend ins Wort. Doch ich wusste nicht, was ich sagen wollte. Mein Kopf war leer, da war nur Rauschen. Rauschen und ein Pfeifen, als würde mein Kopf gleich explodieren. Als wäre ich nur noch im Überlebensmodus, drehte ich mich um und rannte. Ich rannte, während Juli hinter mir immer wieder meinen Namen schrie. Vielleicht rannte er mir auch ein Stück hinterher, doch das weiß ich nicht. Ich hörte nur das Rauschen in meinen Ohren und das Hallen meiner Schritte auf dem Asphalt und irgendwann, Gott sei Dank, auch nicht mehr Julis Schreie. Erst als ich das Gefühl hatte, meine Beine würden anfangen zu brennen und meine Lunge mir beinah zum Hals heraus fiel, blieb ich stehen. Irgendwo im Nirgendwo, kein bekanntes Haus mehr in Sicht. Ich versuchte wieder zu Atem zu kommen und nicht hysterisch loszuweinen. Obwohl mir wirklich nach einem Heulkrampf zumute war, wollte ich diesen nicht mitten auf der Straße in irgendeinem fremden Wohngebiet ausleben. Besorgt schaute ich mich um, ob mich irgendjemand beobachtete. Ich konnte es wirklich nicht gebrauchen, dass mich hier irgendjemand schnaufen völlig hysterisch und dann noch mit einem vollgebluteten T-Shirt aufgabelte. Glücklicherweise könnte ich niemanden sehen und noch glücklicher für mich war, dass ich am Stadtrand war und sich die Straßen in Feldwege und Wiesen verlor. Also trottete ich weiter, weg von den Häusern, weg von Grünwald, weg vom Teufelstopf. Tränen begannen sich ihren Weg wieder über mein Gesicht zu bahnen. Ich fühlte mich widerlich, so verschwitzt und verheult, während in meinem Hirn langsam dämmerte, was abgegangen war. Juli hatte tatsächlich Fabi aus Eifersucht eine auf's Maul gegeben. Und während in mir eine ganz leise Stimme flüsterte, dass ich doch froh sein konnte, dass sich Juli so um mich sorgte, war mir klar, dass das Bullshit war. Er und Fabi waren seit ihrer Kindheit befreundet und es war total bescheuert, dass er einem seiner Kumpels wegen einer frischen Beziehung eine drauf gab. Es erinnerte mich mal wieder an Julis nicht vorhandene Fähigkeit, mit einer Welle an Emotionen umzugehen. Doch anstatt, dass wie so häufig sein Fluchtinstinkt zu wirken begonnen hatte, war es wohl diesmal sein Kampfinstinkt gewesen.

Ich öffnete die Karten App meines Handys, um wieder nach Hause zu finden. Irgendwie musste ich mich beruhigen, verstehen, was passiert war und vor allem musste ich eins: Das Ganze wieder gerade biegen.

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