Kapitel 6

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Am nächsten Morgen roch ich das gute Frühstück, das mein Dad gemacht hatte schon in meinem Zimmer. Ich stand schnell auf und frühstückte. Er machte immer noch das beste Frühstück auf der Welt! Als ich wieder nach oben in mein Zimmer ging, sah ich, dass ich eine Nachricht bekommen hatte. Und schon wieder vibrierte mein Handy. Darlene hatte mir geschrieben, sie fragte, ob ich heute schon was vor hätte. Sie wollte sich mit mir und noch ein paar anderen im Eiscafé treffen. Bei dem heißen Wetter war das eine gute Idee, deshalb machte ich mich fertig und ging nach unten. Meine Mutter streckte ihren Kopf aus der Küchentür. „Dich trifft man auch nicht mehr zu Hause an", sagte sie. „Freu dich doch lieber darüber, andere finden nach einem Umzug gar keinen Anschluss." „Und du findest wieder zu viel!" Ich lachte nur und schnappte mir mein Fahrrad. Und gerade als ich aus unserer Einfahrt fuhr, fuhr Juli an mir vorbei. Er blieb stehen und drehte sich zu mir um. „Hey, wie gehts dir heute?", fragte er mit einem besorgten Lächeln. „Gut", sagte ich, „siehst ja, bin wieder auf den Beinen. Willst du auch ins Eiscafé?" Er nickte. Also machten wir uns gemeinsam auf den Weg.

Im Eiscafé saßen schon Darlene und Maxi zusammen. Ich strahlte über das ganze Gesicht als ich das sah. Juli schaute mich nur verwundert von der Seite an, blickte zu Darlene und Maxi und grinste plötzlich auch. Wusste er das auch?  Wir setzten uns zu ihnen. Maxi wirkte irgendwie nervös, auch wenn er es gut kaschierte, ich hatte für so etwas ein gutes Auge. Natürlich fragte ich mich worüber die beiden geredet hatten, und warum Darlene nur mich und Juli noch einlud. „Hey", begrüßte Darlene uns direkt. Sie strahlte breit und stand extra auf um uns beide mit einer Umarmung zu begrüßen. Passend zu seiner ruhigen Art reichte Maxi nur Juli die Hand und nickte mir zu. Nachdem ich gegenüber von Darlene, neben Juli, Platz genommen hatte, war ich kurz davor Darlene darauf anzusprechen, wo der ganze Rest der wilden Kerle war. Jedoch dachte ich dann an die peinliche Situation die das auslösen würde und verkniff mir diese Frage. Ich wollte keinen der beiden in Verlegenheit bringen, da ich eine echte Chance witterte die beiden einander näher zu bringen. So wie die beiden aber direkt wieder anfingen sich zu unterhalten, wurde mir klar, dass sie meine Hilfe wahrscheinlich gar nicht brauchten. Nachdem wir alle etwas bestellt hatten, fragte Darlene noch einmal danach wie es mir heute ginge und ob ich öfter solche Probleme gehabt hätte. „Heute ist alles wieder gut", sagte ich mit einem bewussten Seitenblick zu Juli, „und ich hatte schon öfter Probleme mit meinem Kreislauf, wenn ich nicht genug getrunken habe." Maxi, der gestern nicht da gewesen war, erkundigte sich, was passiert war und Darlene und ich erzählten es ihm. Während unser Gespräch so weiter lief, über Fußball, Die Wilden Kerle und so weiter, sagte Juli die ganze Zeit gar nichts. Es war, als hätten Maxi und Juli die sozialen Fähigkeiten getauscht, wobei ich das in Maxis Fall Darlenes Anwesenheit zuschrieb. Irgendwie war es Schade, dass Juli so schweigsam war, ich hätte ihm gerne angemerkt, dass wirklich wieder alles gut zwischen uns wäre und wir unser beide Fehlverhalten vergessen hätten.  Doch nichts verriet seine wahren Gedanken während unserer Zeit im Eiscafé, er gab nur belanglose Kommentare von sich und lachte an den richtigen Stellen. Während Darlene und Maxi also sichtlich ihre Zeit miteinander genossen, fühlte ich mich ein wenig fehl am Platz. Das wurde auch nicht besser, als Fabi, nachdem ich seine beiden SMS nicht beantwortet hatte, mich anrief. Mein Handy begann stark zu vibrieren und ich entschuldigte mich um aufzustehen. Ich wusste, dass Juli gesehen hatte, wer mich anrief und mir war sein genervter Seitenblick nicht entgangen. Als ich mich ein wenig von unserem Tisch wegbewegt hatte, nahm ich seinen Anruf entgegen. „Hey", presste ich hervor und versuchte so fröhlich wie möglich zu klingen. „Hey Emma", entgegnete Fabi, „sorry, ich wollte dich nicht terrorisieren." „Alles gut, was gibt es?" „Naja", begann er zögerlich, „Ich wollte dich nur fragen, was du gerade so machst. Ich meine, mir ist klar, dass du nach dem gestrigen Tag wahrscheinlich erstmal etwas Ruhe haben willst, aber ich dachte, wir könnten auch zusammen etwas Entspanntes unternehmen." Ich hatte das Gefühl, sein unwiderstehliches Lächeln auch durch das Telefon spüren zu können und irgendwie gefiel mir die Vorstellung, mit Fabi abzuhängen und wieder seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen, anstatt hier das fünfte Rad am Wagen zu sein. Aber es wäre unfair gegenüber Darlene gewesen, sie nach ihrer Einladung hier sitzen zu lassen, außerdem hatte ich noch nicht gezahlt. Auch der Gedanke, dass Juli wahrscheinlich noch angepisster dann wäre, ging mir durch den Kopf, aber dann dachte ich auch wieder, dass er weder ein Recht darauf hatte, sauer auf Fabi oder mich zu sein und wenn es ihm nicht passte, dann sollte er ordentlich darüber mit mir reden. „Es tut mir Leid Fabi, aber ich bin bereits unterwegs mit Darlene", erklärt ich. Bewusst ließ ich die Jungs weg, damit er nicht glaubte, wir veranstalteten hier ein Doppeldate. Das würde mir jede Menge Ärger einhandeln, vor allem auch mit Leon. „Oh schade", sagte er, „aber ich schätze, wir sehen und morgen auf dem Weg zur Schule. Mach es gut." Und nachdem ich Tschüß gesagt hatte, fügte er noch ein „und pass auf dich auf!" hinzu, dann legte er auf. Ich kehrte zu unserem Tisch zurück und sofort war Darlene mir einen ihrer neugierigen, durchbohrenden Blicke zu. Doch ich wollte mich darauf nicht einlassen, also versuchte ich, dass Gespräch, was vor meinem Zurückkommen gelaufen war, wieder zu beleben. Maxi, als einziger anscheinend ahnungslos von der aufgekommenen Spannung am Tisch, ging, Gott sei Dank, darauf ein und sprach weiter. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis wir bezahlten und alle aufstanden. Wir bewegten uns zu unseren Fahrrädern und Darlene verkündete: „Schön, dass ihr alle noch gekommen seid, ich fand es echt einen schönen Nachmittag." Juli und ich nickten nur und lächelten, während Maxi, als wäre er heute ausgewechselt worden, ganz selbstbewusst fragte, ob er Darlene noch bis nach Hause begleiten solle. Ich merkte natürlich die Röte, die nun auf ihren von Sommersprossen gesprenkelten Wangen erschien, doch sie nickte und strahlte. Natürlich freute ich mich für die beiden und grinste, als sie, nachdem sie sich verabschiedet hatten, gemeinsam davon fuhren. Auch Juli schmunzelte ein wenig und senkte seinen Blick, als die beiden aus unserem Blickfeld verschwunden waren. „Du weißt es oder? Was Maxi fühlt?", fragte ich in die zwischen uns entstandene Stille, während wir auf unsere Fahrräder stiegen. „Klar", sagte Juli, „schon seit Ewigkeiten. Aber so mutig wie heute war er noch nie. Ich glaube die beiden checken endlich, das da zwischen ihnen was ist." Bei diesem letzten Satz hatten wir Blickkontakt. Doch Juli schaute schnell wieder nach vorne. Da ich endlich ein Thema gefunden hatte, was erstmal sicheres Terrain zu seien schien, versuchte ich daran festzuhalten. „Also steht Maxi schon lange auf sie? Warum hat er nicht schon früher etwas gemacht?" „Du kennst ihn und seine verschwiegen Art ja. Außerdem war lange Zeit gar nicht klar, dass zwischen Darlene und Rocce, nichts lief. Naja, zumindest für Maxi nicht. Und was sie will, wusste er ja auch nicht. Aber was auch immer du zu ihm gesagt hast, hat ihm wahrscheinlich Mut gemacht." „Wieso ich?", stieß ich ehrlich erstaunt aus. „Weil erst seit du hier bist, er sich so verhält. Aber hey, ich finde es ja gut. Ich gönne es Maxi.", murmelte er dann noch. Wir waren fast in unserer Straße angekommen und ich war froh, dass wir uns nicht komplett angeschwiegen hatten. Dennoch überlegte ich jetzt, wie ich die Situation zwischen Juli und mir entspannen konnte. Doch mir fiel nichts ein. „Ist bei dir alles In Ordnung?", fragte ich mit Besorgtheit in der Stimme, „Du warst heute sehr schweigsam. Fast so, wie Maxi es sonst immer ist." Ich hatte die Hoffnung, er würde meinen Blick erwidern, als ich ihn jetzt ansah, doch das tat er nicht. Er zog nur seine Augenbrauen kurz zusammen und nuschelte ein „Jaja, alles gut." Da ich vor meinem Hoftor angekommen war, hielt ich an und verabschiedete mich von Juli, der sich nur umdrehte und mir ein „Bis morgen!" zu rief.

Ich schreckte hoch, weil ich einen Alptraum hatte. Ein Blick auf meinen Wecker zeigte mir, dass ich noch ein paar Stunden schlafen konnte. Dennoch stieg ich aus dem Bett und lief zu meinem Balkon. Schon seit ich ein Kind war, fand ich es sehr beruhigend mir den Nachthimmel anzusehen. Während ich da so draußen in der Nachtluft stand und mich an meine Jacke klammerte, die ich mir noch übergezogen hatte, sah ich, dass in Julis Baumhaus Licht brannte. Ganz oben im Turm war ein schwacher Lichtschein zu sehen, doch dann verschwand er. Langsam tauchte auf dem neu angebauten Balkon, der meinem direkt gegenüber lag, eine Gestalt auf. So standen wir beide uns, nur noch vom Mondlicht beleuchtet, auf unseren beiden Grundstücken gegenüber. Ich wusste nicht, ob ich etwas sagen sollte und wollte mich auch schon wieder abwenden, als ich ein leises „Emma?" hörte. „Ja?", rief ich so leise wie möglich zurück. „Du bist noch wach?", fragte Juli, so verriet es mir seine Stimme, in die Dunkelheit. „Wieder", antwortete ich, „Hatte einen Alptraum und naja...". Sobald ich es gesagt hatte, kam ich mir ziemlich blöd vor. Um schnell über meine Antwort hinweg zu kommen entgegnete ich: „Aber wieso bist du um diese Uhrzeit wach?". „Keine Ahnung. Hab irgendwie bisschen die Zeit verpasst. Willst du", er zögerte, „Willst du vielleicht rüber kommen?". Ich nickte, bis mir auffiel, dass er das wahrscheinlich gar nicht sah. „Ja, gerne", schob ich noch schnell ein. So leise wie möglich ging ich nach drinnen, schloss meine Balkontür und machte mich auf den Weg zu ihm rüber und kletterte die Leiter zu Camelot hinauf. Lächelnd erwartete mich Juli in der Halle. „Hey", flüsterte ich, ein wenig verlegen, vielleicht weil ich nicht so ganz wusste wie ich mich Juli gegenüber verhalten sollte, vielleicht auch, weil ich in schlabberigen Schlafklamotten vor ihm stand. „Hey", flüsterte auch er. Er trug immer noch die gleiche Kleidung die er auch tagsüber anhatte nur ohne seine Mütze. Ein wenig unbeholfen bohrte ich mit meiner Fußspitze in den Boden und ließ die Frage los die mich beschäftigte seit ich mich auf den Weg zu ihm gemacht hatte: „Was hast du denn eigentlich hier noch gemacht?". „Komm mit", sagte er nur und kletterte weiter nach oben ins Baumhaus. Wollte er mich etwa mit in den Turm nehmen? Genau das schien sein Plan zu sein und dann sah ich die ganzen Zeichnungen und Werkzeuge. „Ich habe weiter geplant was ich noch alles so an Camelot umbauen will und, naja, wie gesagt die Zeit vergessen." Ich war ziemlich erstaunt und schaute mir die Zeichnungen an. Stolz erklärte Juli mir die einzelnen Pläne und ich merkte, dass in diesem Baumhaus wirklich all seine Leidenschaft steckte. Beeindruckt nickte ich. „Wow, ich bin mal gespannt wie das werden soll, wenn du mal ein eigenes Haus baust." „Ich auch", erwiderte er lachend, „aber irgendwie freue ich mich drauf. Mein eigenes Haus, nach meiner Vorstellung. Mit meiner eigenen Familie." Es interessierte mich wirklich, welche Zukunftspläne Juli hatte, also sprach ich ihn darauf an. Was er schilderte klang sehr realistisch und erwachsen und mir gefiel diese Zielstrebigkeit die er dabei ausdrückte. Egal was er sagte, in dem Moment zweifelte ich nicht daran, dass er das, was er wollte, erreichen würde. „Und du?", fragte er irgendwann. Irgendwie eine schwierige Frage, obwohl ich durchaus auch Vorstellungen für meine Zukunft hatte. „Das ist ein großes Thema, lass uns lieber wann anders darüber sprechen. Ich bin ziemlich müde und freue mich verdammt auf mein warmes Bett gerade. Du nicht?", verkündete ich. In diesem Moment gähnte er und lachte danach. „Ich schätze, ich sollte wirklich auch ins Bett gehen. Der morgige Schultag wird nicht angenehmer, je länger wir wach bleiben. Na dann, gehen wir mal wieder runter." Wir kletterten wieder die Leitern nach unten in den Garten und ich rieb mir über die Arme, um die Kälte zu vertreiben. „Danke, dass du mir das gezeigt hast", wisperte ich. Lächelnd entgegnete er: „Sehr gerne. War schön, das mal mit jemanden zu teilen." Dann nahm er mich in den Arm und flüsterte: „Und jetzt wünsche ich dir noch ein paar angenehmere Träume." Das brachte mich zum Grinsen und nur sehr langsam löste ich mich von ihm um dann schlussendlich wieder nach drinnen, in mein Zimmer, zu schleichen. Es fühlte sich gut an, sich wieder in mein Bett zu kuscheln und die restliche Nacht schlief ich ruhig, mit angenehmen Träumen.

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