Kapitel 19

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Nachdem wir den Weg bis in den Fasanengarten zurück gelegt hatten, trennten wir uns mit einer Umarmung, bevor jeder in sein Haus verschwand. Während ich mich fertig für mein Bett machte, ging mir der ganze Tag immer wieder durch den Kopf. Ich hätte nie erwartet ihn so zu sehen, so emotional und aufgewühlt, war er doch sonst solch ein absoluter Ruhepol. Wie es wohl sein musste, jetzt einfach wieder durch die Haustür zu marschieren und so zu tun, als wäre nichts gewesen, schoss mir durch den Kopf. Ich konnte es mir gar nicht vorstellen, so wie ich aber auch nicht verstehen konnte, dass er seine Gefühle, Ängste und Wut so in sich reinfraß und sie nicht irgendwem mitteilte. Das musste ihn doch von Innen auffressen! Doch ich war mir sicher, dass sich Juli nicht so schnell ändern ließ, auch wenn ich davon überzeugt war, es würde ihm gut tun. Natürlich wollte ich über das, was Juli mir anvertraut hatte, Stillschweigen bewahren. Er hatte mich zwar nicht explizit darum gebeten, doch es war nicht mein Recht, so etwas einfach herum zu erzählen. Dennoch wollte ich mal mit Maxi reden, darüber, wie Juli mit seinen Problemen umging. Vielleicht würde er auf ihn eher hören, als auf mich. Einen Versuch war es wert.

Das Einschlafen war noch weit entfernt von mir, das spürte ich, als ich da so eingekuschelt im Bett lag. Zu sehr hatte mich das ganze an diesem Tag mitgenommen, zu sehr tat mir Juli leid. Immer wieder spielte mein Kopf vor meinem inneren Auge ab, wie er mich anschrie und wie er so bitterlich weinte. Ich wälzte mich hin und her und fand doch keine gemütliche Position. Irgendwann stand ich auf, um mein Fenster noch einmal zu öffnen und schaute dabei wieder in seinen Garten. Warum auch immer hatte ich irgendwie erwartet ihn zu sehen, entweder auf Camelot oder auf seiner Terrasse, doch logischerweise war er nicht da. Ich legte mich zurück in mein Bett und versuchte mir auszumalen, was Juli, aber auch seiner Mutter oder seinem Bruder gerade durch den Kopf ging. Irgendwann fielen mir dann doch die Augen zu, zu einem viel zu kurzen Schlaf.

Am nächsten Morgen musste ich mich richtig aus dem Bett quälen und suchte mir auch die gemütlichste Kleidung heraus die ich besaß. Schon während ich das Haus verließ, freute ich mich wieder auf mein Bett. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken trat ich vor die Tür und schaute erst einmal nach oben in den wolkenverhangenen Himmel und war froh, dass ich auf meine Mutter gehört hatte und eine dünne Jacke angezogen hatte, denn es zog ein unangenehmer Wind über uns. An diesem Tag war ich die erste und wartete mit meinem Fahrrad auf die anderen. Ein wenig Angst hatte ich schon davor, Juli jetzt wieder zu sehen. Ich war unsicher, wie ich reagieren sollte, wobei es im Endeffekt total undramatisch war, denn als die anderen da waren, quetsche jeder ein „Guten Morgen“ raus und wir setzten uns in Bewegung. Nur Fabi schien wirklich guter Laune zu sein, auch wenn er müde war.

In der Schule ging zuerst einmal alles seinen gewohnten Gang; ich begrüßte meine Freunde und wir bewegten uns zu unserem Klassenraum zu unserer ersten Stunde. Bevor der Unterricht begann drehte ich mich zu Juli, der neben mir saß und fragte ihn so leise wie möglich wie es ihm ging. Ich wollte nicht, dass jemand anderes mithörte, da ich die Sache gestern zwischen uns belassen wollte. „Ganz okay“, antwortete er, „Besser als gestern auf jeden Fall.“ „Was hast du zu deiner Mutter und Joschka gesagt?“ „Das ich mich vor etwas in der Schule drücken wollte. Fand meine Mutter nicht toll, aber besser als die Wahrheit.“ Noch einmal seufzte er kurz und gerade als ich noch etwas sagen wollte, kam unsere Lehrerin und begann den Unterricht.
Juli und ich blieben still, ich schätze uns war nicht nach Scherzen.

Als die Pause begann, wollte Maxi von mir wissen, ob ich etwas Neues von Juli wüsste. „Hast du schon mit ihm gesprochen?“, bohrte ich nach und er schüttelte den Kopf. „Rede erstmal mit ihm“, riet ich ihm nur, bevor ich weiter meinen Weg nach draußen bestritt. Eigentlich war mir überhaupt nicht danach, lieber wollte ich mich gerade verkriechen, aber ich setzte mich dennoch an den Rand des Fußballfeldes der Schule. Nur das Mitspielen lehnte ich dankend ab und quälte mir sogar ein Lächeln auf die Lippen. Nach kurzer Zeit setzte sich Vivi neben mich und erzählte mir etwas von ihrer kleinen Schwester, wie sie sich über sie geärgert hatte, weil sie ihre Klamotten ohne zu Fragen nahm und ich nickte immer wieder aufmerksam. Viel zu entgegnen hatte ich allerdings nicht.

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