Kapitel 16 - Julis Sicht

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Ich war zufrieden, dass ich Emma gefragt hatte, ob sie mir in Geschichte helfen würde, denn ich brauchte die Hilfe wirklich und so konnte ich auch noch einmal mehr Zeit mit ihr verbringen. Umso glücklicher war ich, als sie auf meine Nachricht antwortete, dass sie direkt zu mir kommen würde. Schnell verschwand ich ins Wohnzimmer, um nachzusehen ob alles ordentlich war, danach zurück in den Flur vor den Spiegel, wo ich zum gefühlt hundertsten Mal meine Haare richtete. Ausnahmsweise trug ich nicht meine Mütze und fühlte mich unsicher dabei und fragte mich, ob ihr meine Haare so überhaupt gefielen. Das Klingeln der Haustür riss mich aus meinen Gedanken und mein Puls schnellte in die Höhe. So gefasst wie möglich öffnete ich dir Tür, nur um direkt ein Grinsen auf mein Gesicht zu bekommen. Im strömenden Regen stand sie da, unter ihrem gepunkteten Schirm und mit einer Tasse in der Hand. Schnell bat ich sie herein und umarmte sie. Natürlich hatte ich wieder einmal Angst, sie könnte meinen übermäßig starken Herzschlag spüren, auch wenn das total unwahrscheinlich war.

Nachdem ich sie ins Wohnzimmer geführt hatte und ihr etwas zu trinken angeboten hatte, was sie aufgrund ihres noch vollen Tees abgelehnt hatte, machte ich mir einen Kaffee und ging mit meinem Geschichtsbuch zurück ins Wohnzimmer. Emma hatte es sich derweil auf der Couch gemütlich gemacht und nachdem ich mich neben ihr niedergelassen hatte, schlug ich auch vor zu beginnen, da es keinen Zweck hatte, es heraus zu zögern. Ich musste das alles in meinen Kopf vor nächster Woche bekommen, ansonsten würde ich bei der Arbeit ziemlich dumm da stehen. Nachdem ich ihr erklärt hatte, wo meine Probleme lagen, wobei sie immer wieder verständnisvoll genickt hatte, begann sie zu erklären. Auch wenn ich wusste, dass es dumm war, konnte ich erstmal nicht aufhören sie anzustarren. Während ihrer ganzen anfänglichen Erklärung schaute ich sie durchgängig an. Sie entwarf ein Schaubild zu einer ihrer Erläuterungen und war ganz vertieft in ihrer Arbeit; ganz unbewusst schob sie dann eine ihrer blonden Strähnen hinter ihr Ohr und mein Blick blieb auf dieser Geste hängen. In Gedanken streckte ich meine Hand aus, um ihr die Haare hinters Ohr zu streichen. Just in diesem Moment bekam ich einen Ellbogen in die Seite, um meine Aufmerksamkeit auf die Erörterung ihres Schaubildes zu holen. Glücklicherweise tat sie das, denn danach begann ich Schritt für Schritt durch das Thema durchzusteigen, was gefühlt Stunden und einen Haufen Notizen einnahm. Dennoch war ich heil froh, als Emma vorschlug eine Pause zu machen, denn ich merkte, wie ich einen neuen Kaffee brauchte, teils weil das Lernen so müde machte, aber auch weil das ungemütliche Wetter draußen mich innerlich erschaudern ließ und ich etwas Warmes trinken wollte. Langsam stand ich auf und wanderte zu unserer Glasfront zum Garten hin. „Wenigstens verpassen wir draußen nichts, während wir hier drinnen hocken. Willst du einen neuen Tee? Oder auch einen Kaffee?", brachte ich hervor, während ich durch die Terrassentür nach draußen sah, und war froh, dass ich Emma einen Tee bringen konnte. Schnell drehte ich mich um und ich schien sie in einem Gedankengang gestört zu haben, denn ihr Körper schnellte ruckartig nach oben. Während ich in die Küche ging um uns beiden etwas zu trinken zu machen, dachte ich darüber nach, was ihr durch den Kopf gegangen sein könnte, denn ich hatte die Befürchtung, dass es ihr wieder schlecht ging und sie nicht darüber redete. Auch wenn ich Emma noch nicht so lange kannte, sie bedeutete mir einfach so viel und der Gedanke, ihr könnte es wieder schlechter gehen, machte mich unglücklich. Ich wünschte ich könnte sie glücklich machen, das war es was ich wollte. Meine Gedanken schweiften darauf ab, wie es wäre, wenn ich jetzt raus gehen könnte und sie in meinen Arm nehmen könnte, fragen was los ist und um ihr dann durch ihr wunderschönes Haar zu fahren oder um Küsse auf ihrem Gesicht zu verteilen. Bevor ich noch weiter denken konnte, bemerkte ich, dass sowohl die Kaffeemaschine und der Wasserkocher fertig waren und ich ging mit den frisch gebrühten Getränken zurück ins Wohnzimmer. Als ich mich wieder setzte, wollte Emma wissen, ob ich noch Hilfe bräuchte, doch ich glaubte alles zu wissen, was ich wissen musste. Wobei der Gedanke, wieder mit ihr zu lernen verlockend war, empfand ich es nicht als nötig. Doch ich musste sie einfach fragen, wie sie es schaffte sich das alles zu merken und zu verstehen, was sie zum Lachen brachte. „Es interessiert mich einfach. Hat es mich schon immer und sobald man etwas von sich aus wirklich wissen will, ist es viel einfacher zu verstehen", gab sie nur zurück und man konnte wieder dieses Strahlen in ihren Augen sehen, dass sie immer bekam, wenn sie über etwas sprach, dass sie liebte. Ihre Liebe für die Schule war zwar für mich nicht nachvollziehbar, doch sie beeindruckte mich mit ihrer Intelligenz, ohne damit anzugeben. Nachdem ich einen großen Schluck meines schwarzen Kaffees genommen hatte, wollte Emma wissen, wo mein Bruder war.

Ich erklärte es ihr, denn Joschka nutze es gerade aus, dass unsere Mutter nicht da war um sich vor den langweiligen Dingen zu drücken. Wann würde er endlich verstehen, dass man das Geräusch unserer Garage im ganzen Haus hören konnte und dass man so optimal vorbereitet war auf ihr Ankommen? Natürlich würde ich ihm das nicht verraten und genauso so gab ich das auch an Emma weiter. Ich liebte es, wenn ich sie zum Lachen bringen konnte, wenn sie so herzhaft aus voller Seele lachte. Kein Mensch könnte schöner aussehen, als sie in diesen Momenten. Wenn sie nur wüsste was ich dachte, ging mir durch den Kopf und ich versuchte meine Verlegenheit hinter meiner Kaffeetasse zu verstecken.

Das Wetter draußen war immer noch schrecklich, doch wir hatten Spaß, während wir über alles redeten. Ich fühlte mich ihr so nah, weshalb ich ihr auch von all den Orten erzählte, die ich bisher so erkundet hatte. Normalerweise sprach ich nicht viel darüber, denn das war immer mein Ding gewesen und meins allein. Früher war ich noch mehr ein Einzelgänger gewesen, ständig allein unterwegs. Das hatte mir aber auch ziemlichen Ärger eingebracht und das war auch der Punkt, an dem Maxi und ich die besten Freunde wurden. In dieser Zeit hatte ich wirklich tolle Sachen gesehen und erlebt. Aber jetzt kam dieses Gefühl, dass alles noch viel schöner wäre, wenn sie dabei wäre. Deshalb schlug ich ihr vor, ihr meine Lieblingsorte zu zeigen.

Irgendwann wurde sie zu müde und ging nach Hause. Auch ich machte mich bereit zu schlafen gehen, aber egal wie sehr ich schlafen wollte, es funktionierte nicht. Mein Kopf malte sich die Zukunft in den schönsten Farben aus für uns beide und ich konnte meine Fantasie nur schwer kontrollieren. Und irgendwann kam der Gedanke wieder, dieser eine, der mein Herz erschüttern ließ: Was ist, wenn sie dich nicht liebt? Nie lieben wird? Häng dich nicht an diese Fantasien, denn du weißt nicht, was sie fühlt. Ab da kreisten meine Gedanken in die entgegengesetzte Richtung, zu all den Möglichkeiten, was mit uns passieren würde, wenn wir beide nicht das Gleiche fühlten. Immer wieder versuchte ich mich von dieser Abwärtsspirale zu entfernen, doch erfolglos. Irgendwann war ich anscheinend trotzdem eingeschlafen.

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