Ohne Titel Teil2

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„Komm schon Lucy! Ich will nicht ewig hier stehen!", rief mein Vater mir quer über den überfüllten Parkplatz entgegen. Ich verkniff mir eine Antwort darauf, doch ein genervtes Augenrollen konnte ich nicht unterdrücken. Es war schon fast so etwas wie ein Reflex, wenn mein Vater anfing zu sprechen. Er hätte mir ja auch ruhig mal helfen können, mit dem Gepäck. War ja nicht so, dass es nicht ein wenig schwer und unhandlich war, drei Koffer zum Wagen zu bekommen. Und selbst nach den paar Metern über den Flughafenparkplatz zum Mietwagen, war ich nass bis auf die Knochen.
Nachdem ich alle Gepäckstücke im Wagen verstaut hatte, sah ich seufzend in den Himmel. Ich hasste den Regen und es sah auch nicht danach aus, dass es in naher Zukunft mal aufhören würde.
Eher hatte ich das beklemmende Gefühl, die last der tief grauen Wolken auf meine Schultern zu spüren. Wie ein stummes Versprechen, dass es hier auch nicht besser werden würde, als in New York.
Ich atmete noch einmal tief durch und ließ mich auf den Beifahrersitz gleiten. ohne darauf zu warten, dass ich den Gurt geschlossen hatte, war mein Vater schon los gefahren.
Um sicher zu gehen, dass er mir kein verkrampftes Gespräch auf zwingen würde, nahm ich meinen iPod und drehte ihn voll auf. Schnell verlor ich mich in der Musik und sah aus dem Fenster. Auch wenn ein eintöniger Wald die Straße säumte und wir an nichts an dem vorbei fuhren, so sah ich nicht wirklich etwas davon. Zu weit war ich mit meinen Gedanken weg. Wenn ich eins gelernt hatte, in den letzten zwei Jahren, dann mich von allem um mich herum zu lösen.
Irgendwann lehnte ich den Kopf gegen die Kühle Scheibe des Mietwagens und lies meine langen, braunen Haare ins Gesicht rutschen. Ein Vorhang, der mich vor meinem Vater ab schirmte. Seufzend schloss ich die Augen. Auch wenn ich wach war, beruhigte mich die Dunkelheit und die Musik die mich umgaben ungemein. Denn selbst wenn ich es niemals offen zugeben würde, ich hatte eine scheiß Angst. Angst vor dem was vor mir lag. Doch konnte es schlimmer sein, als das was ich hinter mir ließ?
Unmöglich!
Denn das hier war meine Flucht, aus meiner persönlichen Hölle auf Erden.
Irgendwann musste ich doch eingeschlafen sein, denn ich erwachte, als es bereits dunkel um mich herum war. Der Wagen stand still und mein Vater hatte gerade unsanft den Kofferraum geschlossen. Wie erwartet, hatte der Regen nicht nach gelassen, im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, er war stärker geworden.
Noch etwas benommen sah ich mich um. Wir standen auf einem schwach beleuchteten Parkplatz vor einem kleinen Laden. Wahrscheinlich ein Supermarkt. Hier und da konnte ich ein paar erleuchtete Fenster in der Umgebung aus machen und eine gewundene Straße schien sich durch die Häuser zu schlängeln.
Es machte auf mich irgendwie die Eindruck, als sei hier die Zeit stehen geblieben. Na super, ich befand mich also mitten im Nirgendwo. Es wurde ja immer besser.
Das bestimmte Klopfen meines Vaters, an meinem Fenster, ließ mich erschrocken zusammen fahren und riss mich aus meinen Gedanken.
„Mach schon, steig aus. Wir sind da!", fuhr er mich an, als ich die Türe öffnete. Das ließ ich mir nicht zwei mal sagen und sprang regelrecht aus dem Wagen. Ich wollte so schnell wir möglich von ihm los kommen.
Sobald ich aus dem Wagen war, stieg er ein und fuhr davon. Ohne Abschied, ohne sich noch einmal nach mir um zu sehen, bog der wagen um die Ecke und ich war allein.
Wurde ja immer besser. Und nu? Ich sah mich etwas genauer um. Ich war wirklich allein hier. Der Laden schien schon geschlossen zu haben und auch sonst war niemand zu sehen. Naja, wer ging bei dem Sau Wetter auch schon freiwillig raus?
Schnell zog ich meine Koffer unter das Vordach des Supermarktes, raus aus dem Regen. Musste ja nicht alles noch nasser werden. Auch wenn ich hier trocken stand, so bot es mir doch keinen Schutz vor dem eisigen Wind, der über den Parkplatz fegte. Ebenso war meine noch leicht feuchte, dünne Sommerjacke, die ich trug, nicht gerade hilfreich. Wahrscheinlich holte ich mir hier gerade ne nette kleine Lungenentzündung weg. Doch wo ich hin musste, wusste ich auch nicht.
Langsam ließ ich mich mit dem Rücken an dem Schaufenster hinter gleiten, bis ich zwischen meinen Koffern hockte.
Er hatte gesagt, er würde mich zu ihr bringen. Aber ich saß hier ganz alleine, mitten im Nirgendwo. Also hatte er mich wohl wieder angelogen. Als hätte ich es nicht wissen müssen. Ich wusste ja noch nicht einmal, ob er mich im richtigen Kaff raus geworfen hatte.
Von daher erschien es mir unlogisch von hier weg zu laufen. Zum einen war mir nicht klar, wo ich hätte lang laufen sollen. Zum andern aber, waren die nassen Koffer jetzt so schwer, dass ich sie eh nicht weit bewegen konnte.
Außerdem gab es da in mir noch die ganz leise Hoffnung, dass sie doch noch kommen würde. Vielleicht hatte sie sich auch nur etwas verspätet? Oder ich war einfach zu früh hier?
Also entschied ich mich, auf diese Hoffnung zu bauen und hier zu warten.
Konnte dann ja nicht mehr lange dauern bis sie hier war. Ich nahm meinen iPod wieder zur Hand und schaltete die Musik wieder ein.
Doch mit jeder Minute die Verstrich, wurde mir kälter. Ganz langsam und schleichend legte sich die eisige Kälte um mich, drang durch meine Kleidung an meine Haut. Durch sie hin durch bis in mein Innerstes. Ich konnte nicht einmal zittern, das es zu sehr schmerzte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, der Akku von meinem iPod war mittlerweile leer, spürte ich meine Hände kaum noch. Und auch in den nassen Taschen der Jacke konnte ich sie keine bisschen wärmen.
Meine Zehen wahren mittlerweile wahrscheinlich gar nicht mehr vorhanden, denn die Chucks die ich trug, waren alles andere als für dieses Wetter geeignet.
Gerade als ich mich mit dem Gedanken anfreunden wollte, hier draußen heute Nacht zu erfrieren, hielt ein alter Pickup neben mir und zwei Gestalten kamen auf mich zu.
„Hey, was machst du denn hier draußen?", ein Mädchen, etwa in meinem Alter kam auf mich zu gelaufen. Ihr folgte ein Junge, der vom Gesicht her jünger, vom Körper her aber älter wirkte als sie.
Waren die beiden völlig wahnsinnig? Er trug nur Shorts uns sie nur Shorts und ein leichtes Top.
Ich versuchte ihnen zu antworten, brachte es aber einfach nicht fertig mich zu bewegen.
Als die beiden neben mir standen, zog das Mädchen scharf die Luft ein.
„Scheiße, was ist denn mit dir passiert?", sie sah ihren Begleiter an, „Lad mal die Koffer aus. Wir müssen sie hier raus bringen."
der Junge machte sich Kommentarlos daran, die Koffer auf die Ladefläche zu packen und sie mit einer Plane ab zu decken.
„Komm, ich helf dir auf.", sanft, aber dennoch bestimmt half sie mir in den Wagen. Im Innern war es angenehm warm und im ersten Moment schmerzte die Warme Luft auf meiner unterkühlten Haut.
„Seth, sag Mom, dass ich sie mit zu uns bring und Jake, dass ich heute Abend aus falle.", rief sie die Jungen zu, als sie auf dem Fahrersitz platz nahm.
Der Junge drehte sich um und lief in Richtung Wald davon. War er völlig wahnsinnig geworden, bei dem Wetter einfach so in den Wald zu laufen.
„Wo...", versuchte ich zu fragen, wo sie mich hin brachte, doch ich zitterte wie Espenlaub, was es mir so gut wie unmöglich machte, vernünftig zu sprechen. Sie verstand mich auch so, naja, zumindest eine meiner beiden unausgesprochenen Fragen.
„Ich nehm dich erst einmal mit zu mir. Da draußen holst du dir ja den Tod. Ach, ich bin übrigens Leah."
„Da ... danke..", stammelte ich, „ich ... bin ... Lucy."
die Fahrt dauerte nicht lange und Leah parkte den Wagen vor einem kleinen hölzernen Haus am Waldrand. Noch bevor ich ausgestiegen war, war der andere, Seth glaube ich, schon da und lud meine Koffer ab. Wie hatte er es geschafft noch vor uns hier zu sein.
Leah half mir ein wenig beim Gehen, denn meine Gliedmaßen taten noch immer höllisch weh.
„Oh Gott Leah!", im Türrahmen sah ich eine hübsche Frau, die uns besorgt musterte, „Was ist denn mit ihr passiert? Bring sie erst einmal ins Wohnzimmer."
„Sie saß draußen vorm Supermarkt. Sie sieht jetzt schon wieder gut aus. Noch vor einer viertel Stunde konnte sie sich gar nicht bewegen."
Ich ließ mich von Leah in eine kleines, aber super gemütliches Wohnzimmer führen, wo sie mich sanft auf ein Sofa setzte. Die Frau, vermutlich ihre Mutter, kam mit einem dampfenden Becher Tee zu uns und reichte ihn mir.
„Danke schön.", zittrig nahm ich die Tasse entgegen.
„Leah, holst du mal ein paar trockene Sachen für unseren Gast. Sie muss so schnell wie möglich aus den nassen Sachen raus."
„Das ist dann wohl mein Stichwort um zu verschwinden", kam es von Seth, der am Türrahmen lehnte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er uns ins Wohnzimmer gefolgt war. Als er weg war, kam auch schon Leah mit einem Stapel Kleidung für mich. Schnell zeigte sie mir das Bad und ich schälte mich aus meinen klebenden Klamotten. Es tat gut, endlich wider etwas trockenes an zu haben. Zögerlich ging ich zurück ins Wohnzimmer, wo die beiden Frauen auf mich wartete.
„Jetzt erzähl erst mal, was du da draußen gemacht hast.", sagte Leah, als sie sich neben mich setzte.
„Mein Dad hat mich da zurück gelassen. Eigentlich sollte er mich zu meiner Mutter bringe, aber anscheinend hat er es sich anders überlegt.", gestand ich mit gesenktem Blick. Abwesend begann ich mit meiner Kette zu spielen, wie ich es immer schon getan habe, wenn ich mich unbehaglich fühle.
„Dein Vater hat dich einfach da gelassen?", fragte sie mich ungläubig und ihre Mutter sah mich nur mit großen Augen an. Ich nickte nur. „Und wo ist deine Mom?"
„Irgendwo in LaPush. Aber ich weiß weder, wo das ist, noch wie sie heißt. Ich kenne sie nicht."
Jetzt stand Leahs Mutter auf und verließ das Wohnzimmer.
„Na immerhin bist du schon einmal im richtigen Ort gelandet. Und den Rest kriegen wir auch noch raus.", sagte Leah aufmunternd. Doch schien sie auch zu bemerkten, dass das kein einfaches Thema für mich war, daher schweigen wir eine Weile. Ich merkte, wie ich immer mehr auftaute und das Gefühl in meinen Körper zurück kam.
Als Leahs Mutter wider kam, war sie nicht allein. Ihr folgte eine hübsche Indianerin, die ich so auf Mitte dreißig schätzen würde. Die Fremde blieb im Türrahmen stehen und sah mich einen Moment lang ungläubig an. Dann fiel ihr Blick auf meine Kette und sie schnappte nach Luft.
„Lucy!", sprach sie meinen Namen aus und augenblicklich rannen ihr Tränen übers Gesicht. Geschockt sah ich sie an. Woher wusste sie wer ich war?
Langsam und zögerlich kam sie auf mich zu, setzte sich neben mich und nahm meine Hand.
„Oh Gott Lucy. Ich dachte ich hätte dich für immer verloren, meine Kleine."
In meinem Kopf rauchte es. Meine Kleine? Und dann war da etwas in ihren Augen, dass mich fesselte, dass mir so unglaublich vertraut vor kam.
Sie zog mich in ihre Arme. „Endlich bist du wieder zuhause mein Kind. Jetzt wird alles gut werden."
Mein Kind? War diese Frau meine Mutter? War ich wirklich bei ihr angekommen? Es musste so sein. Alles in mir sagte mir, dass sie es war.
Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich doch davon überzeugt gewesen war, dass er mich niemals zu ihr bringen würde. Doch meinem Kopf war das gerade alles einfach zu viel und er tat das einzig mögliche um sich vor einer Überlastung zu schützen.
Er schaltete ab!
Alles um mich herum wurde schwarz.

live sucksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt