Ohne Titel Teil5

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Als ich am nächsten Morgen wach wurde, dauerte es einen Augenblick, bis ich wieder wusste wo ich war und was Gestern geschehen war. Dann trafen mich die Ereignisse des gestrigen Tages mit voller Wucht und ich ließ mich lächelnd wieder in die Kissen fallen. Ich hatte es geschafft. Ich war ihn los und hatte meine Mutter gefunden. Nach all den Jahren konnte ich endlich von vorne anfangen.
Von unten drang das Klappern von Geschirr zu mir hoch, was wohl bedeutete, dass meine Mutter schon wach war.
Deswegen stand ich auch schon auf und machte mich auf den Weg zu ihr. An der Zimmertüre zögerte ich kurz, sollte ich mich zunächst anziehen? Schnell entschied ich mich dagegen. Immerhin war es meine Mutter die da unten war, da konnte ich auch so runter gehen.
Am Fuß der Treppe heilt ich erneut inne und lauschte, von wo die Geräusche kamen. Ich wand mich nach links, wo ich die Küche vermutete und öffnete die Türe. Wow, es sah hier aus, als hätte man die Küche von Sue geklont. Meine Mutter stand summend am Herd und kämpfte mit einer riesigen Portion Rührei. Ich hoffte inständig, dass sie nicht von mir erwartete, dass ich das alles auf essen sollte. Eigentlich brauchte ich morgens nur Kaffee und trockenen Toast. Der kleine, runde Tisch schien unter der Last, der darauf platzierten Lebensmittel, zu ächzen.
„guten Morgen", sagte ich um auf mich aufmerksam zu machen und blieb im Türrahmen stehen.
„Guten Morgen, Lucy", lächelnd sah meine Mutter mich an, „hast du gut geschlafen?"
„ja hab ich, danke!", noch immer stand ich an Ort und Stelle und wusste nicht wo hin. „Kann ich dir helfen?"
Höflichkeit war immer eine gute Lösung, wenn man sich nicht zu helfen wusste.
„nein danke, ich bin hier schon fast fertig. Wenn du magst, kannst du dir schon einen Kaffee nehmen", sie reichte mir eine Tasse und deutete auf den überfüllten Tisch. Irgendwo zwischen all den Lebensmittel konnte ich eine silberne Thermoskanne aus machen.
„Danke.", sagte ich, als ich die Tasse entgegen nahm und zum Tisch ging. Da ich immer noch nicht wusste, wo hin mit mir, setzte ich mich mit meinem Kaffee an den Tisch. Ich fühlte mich irgendwie völlig fehl am Platz. Stumm, da ich auch nicht wusste, was ich sagen sollte, beobachtete ich meine Mutter. Diese stand summend an der Arbeitsplatte und füllte das Rührei in eine große Schüssel. Nachdem sie noch einen Löffel hinein gesteckt hatte, kam sie damit auf den Tisch zu. Wie durch ein Wunder fand sie tatsächlich noch einen Platz dafür, ohne dass der Tisch ein brach.
„So, dann geh ich die andern beiden mal eben holen", sagte sie, bevor sie mich in der Küche allein ließ.
Beiden? Hatte sie gestern nicht gesagt, dass ich nur einen Bruder habe? Und einen Mann hatte sie auch nicht erwähnt.
Kurze Zeit später kam sie auch schon wider zurück und setzte sich zu meiner Rechten. Fast direkt nach ihnen kamen ein Junge und ein Mädchen in die Küche. Der Junge, der wahrscheinlich mein Bruder war, hatte seinen Blick auf das Mädchen neben ihm gerichtet. Er war fast zwei Meter groß, hatte unglaubliche Muskeln und ein freundliches, offenes Gesicht, in dem ein verträumter Ausdruck lag. Mist! Warum musste ich mit dem verwandt sein! Der hätte mir sonst echt gefährlich werden können, denn alles in allem, sah er mehr als einfach nur gut aus. Das Indianische Mädchen neben ihm lächelte mich schüchtern an. Sie war etwas mehr als eineinhalb Köpfe kleiner als er und eher zierlich. Ihr Gesicht war symmetrisch und hatte etwas an sich, was sofort dafür sorgte, dass ich sie sympathisch fand. Sie nahmen die beiden Plätze uns gegenüber ein und als sie saßen, sah mich mein Bruder zum ersten mal an. Ein freches Grinsen legte sich auf seine Lippen.
„Hey Lu, hast du es auch wieder nach hause geschafft?", fragte er mich neckend und schaffte es so, dass meine Anspannung sofort verschwand. Das war etwas, das ich kannte. Mit dieser Art konnte ich umgehen, immerhin war ich in New York groß geworden. Dankbar lächelte ich ihm zu und auch meine Mutter neben mir schien erleichtert aus zu atmen. Er machte es mir leicht, mich hier ein zu fügen, in dem er das peinliche Vorstellen und Fragen stellen übersprang. Er tat einfach so, als gehöre ich schon dazu.
„Sorry, das ich etwas spät dran bin, aber mein Navi war kaputt", antwortete ich ihm schlagfertig und brach so das Eis am Tisch. Das Mädchen und mein Bruder begannen zu lachen und auch meine Mutter lächelte sehr zufrieden.
„Hey, ich bin Kim, die Freundin von Jerad.", stellte sich nun auch das Mädchen vor. Unbewusst hatte sie mir so dann auch endlich mal den Namen meines Bruders verraten.
„Hi, ich bin Lucinda, aber die meisten nennen mich Lucy", stellte ich mich der Höflichkeit halber einmal vor.
„Aber ich nen dich Lu!", sagte Jerad bestimmend und erntete von Kim einen vernichtenden Blick.
„Jerad!", sagte meine Mutter streng.
„Was denn? Sie ist meine Schwester, da darf ich doch wohl meinen eigenen Spitznamen für sie haben, oder?", wand er sich jetzt an seine Mutter.
„Lass sie doch erst einmal ankommen. Immerhin wusste sie bis gestern nicht einmal, dass sie einen Bruder hat.". Erklärte ihm meine Mutter und begann damit sich ein Brötchen auf zu schneiden.
„Echt nicht?", jetzt sprach er wider mit mir.
„Nein. Aber Dad weiß ja auch nur von mir", ich hatte das Gefühl, mich für diese Wissenslücke rechtfertigen zu müssen.
„Wow, das ist krass", sagte er noch, bevor er über sein Frühstück her fiel. Dankbar dafür, dass ich mich jetzt nicht weiter darüber unterhalten musste, nahm ich mir ein trockenes Brötchen uns biss hinein. Kurz sahen mich alle verwundert an, sagten aber nichts weiter dazu.
Das Frühstück verlief größten Teil schweigend. Nur hin und wieder wurde einer von uns gefragt, ob er mal dieses oder jenes rüber reichen konnte.
Nachdem wir alle satt waren, Jerad hatte es tatsächlich geschafft die Berge an Essen zu verschlingen, begannen Mom, Kim und ich damit, die Küche wieder auf zu räumen. Jerad war unter dessen im Bad verschwunden und als alles aufgeräumt war, war ihm Kim gefolgt.
„Tut mir leid, dass wir heute Morgen nicht alleine waren, aber Kim gehört quasi schon zur Familie, da wollte ich ihr nicht sagen, dass sie nicht kommen darf.", rechtfertigte meine Mutter sich, als wir wieder alleine waren.
„Schon okay, ich glaub ich mag sie", sagte ich nachdenklich, als ich mir den letzten Rest Kaffee aus der Kanne nahm, „kann ich den mit hoch nehmen? Ich wollte gleich auspacken?"
„Klar, aber für so was brauchst du nicht zu fragen. Du bist hier jetzt zuhause, verhalte dich auch einfach so"
„Danke", ich war schon an der Treppe angekommen, als sie mir Folgte.
„Lucy, wenn du was an dem Zimmer ändern willst können wir morgen auch zum Baumarkt fahren.", bot sie mir etwas verlegen an.
„ähm...", Mist, wie verpackte ich das jetzt so, dass es nicht wie eine Abfuhr rüber kam, „also ehrlich gesagt, finde ich das Zimmer super."
Ich sah verlegen auf meine Füße. Hoffentlich dachte sie jetzt nicht, dass ich einfach nur nichts mit ihr unternehmen wollte, denn ich mochte das Zimmer wirklich.
„Oh, okay", sagte sie und verschwand durch eine der Türen. Wahrscheinlich ins Wohnzimmer.
Ich setzte meinen Weg in mein Zimmer fort und rannte dabei fast in Jerad rein, der gerade aus dem Bad kam.
„Vorsicht Gegenverkehr", sagte er lachend, als er mich auf fing.
„Oh", kam es sehr geistreich von mir und ich fühlte wie mir das Blut in die Wangen schoss.
Schnell löste ich mich von ihm und verschwand in meinem Zimmer. Na klasse und ich hatte gedacht, ich würde den morgen überstehen, ohne das es peinlich werden würde.
Ich kramte ein paar Klamotten raus und verschwand im Bad, um mich fertig zu machen. Anschließend ging ich wieder in mein Zimmer und begann mit dem Auspacken. Nach kurzer Zeit klopfte es an der Tür und ohne eine Reaktion von mir ab zu warten stand Jerad in meinem Zimmer. Super! Dann mal auf wiedersehen Privatsphäre und hallo Leben mit einem Bruder!
„Hm?", fragte ich einsilbig, während ich einen Stapel t-Shirts in den Schrank räumte.
„Also..", bildete ich es mir nur ein, oder war er unsicher, „Ich .. ähm ja..."
„Was? Sprechen verlernt?", fragte ich frech grinsend und sah ihn herausfordert an. Anscheinend war er wie ich und kam mit der neckenden Art unter uns besser zurecht. Auf jeden Fall besser, als sich ehrlich so zu verhalten, wie wir uns fühlten. Zwei eigenständige Personen, die sich nie gesehen hatten, aber durch ein nie gepflegtes familiäres Band miteinander verbunden waren. Da fiel es uns einfacher so zu tun, als würden wir uns schon immer kennen.
„Nein, kann ich besser als du. Wir gehen gleich zum Strand!", sagte er schnell.
„Schön für euch.", antwortete ich genau so schnell.
„Ja ist es!", wir standen uns mittlerweile ganz dicht gegenüber und funkelten uns gespielt böse an. Das hielten wir aber nur ein paar Sekunden durch und mussten dann beide fürchterlich lachen.
„Kommst du mit? Dann kannst du die anderen schon kennen lernen?", fragte er mich, als wir uns einigermaßen beruhigt hatten.
„Nein danke, ich räume erst einmal in ruhe aus.", antwortete ich ihm und machte mich wieder an den Berg Klamotten, die ich alle aufs Bett geschmissen hatte.
„Okay, dann bis später."
Wieder ohne eine Reaktion an zu warten rauschte er davon und wenig später hörte ich unten eine Tür zu fallen.
Zu meinem Leidwesen dauerte das ordentliche einräumen dann doch den ganzen Tag und ich war nach dem Abendessen so geschafft, dass ich mich sofort wieder in mein Zimmer verzog. Ich weiß, das war nicht gerade höflich, aber ich brauchte auch hin und wieder einfach mal meine Ruhe. Eine weile hing ich meinen Gedanken nach, bis ich beschloss mich mit einem Buch in den Schaukelstuhl zu setzen. Und wie die Seiten an mir vorbei flogen, so flog auch die Zeit.
Als ich mich endlich auf raffen konnte, das Buch zu schließen und ins Bett zu gehen war es im ganzen Haus schon still. Mit einem Blick auf meinen iPod stellte ich erschrocken fest, dass es schon wider zwei war. Schnell kuschelte ich mich ein und schloss die Augen.

live sucksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt