Ohne Titel Teil34

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Ganz langsam und vorsichtig erhob ich mich. Mein Fuß steckte in einem unförmigen Gips, welcher für meinen angeschlagenen Gleichgewichtssinn nicht gerade eine große Hilfe war. Ebenso störend empfand ich die Verbände um meinen Bauch und den größten Teil meines linken Arms. So wie es aus sah, hatte Michael mich ganz schön zu gerichtet.

An ein paar Körperteilen, die nicht bandagiert waren, leuchteten mir Blutergüsse in sämtlichen rot und lila Tönen entgegen. Zumindest an den Stellen, die ich ohne Spiegel einsehen konnte. Aber ich hatte nicht die Hoffnung, dass meine Rückseite besser aussehen würde. Allein der stechende Schmerz, der mir die Wirbelsäule hinauf kroch, als ich den ersten Fuß aus dem Bett gesetzt hatte, verriet es mir. Ich musste es mir nicht ansehen, um zu wissen, dass es da war.

Langsam hangelte ich mich am Bett entlang, der Tür immer näher kommend. Am Fußende des Bettes, machte ich einen großen Schritt, um mich sofort an dem alten Kleiderschrank fest halten zu können, sobald ich gezwungen war, das Bett los zu lassen. Ich bewegte mich so bedacht und leise, wie es mir möglich war, als ich die Türe auf schob. Gerade so weit, dass ich problemlos hin durch gehen konnte, aber noch geschlossen genug, dass ich mich an ihr fest halten konnte.

Mit jedem Schritt, den ich mich von dem Bett entfernte, wurde ich etwas sicherer auf den Beinen. Die drei Schritte den Flur entlang, in denen ich mich nur an der glatten Wand abstützen konnte, schaffte ich sogar, ohne das mir schwindelig wurde. Trotzdem klammerte ich mich wie eine Ertrinkende an das rettende Geländer. Der Flur passte mir seinen hölzernen Wänden und der ebenfalls hölzernen Decke genau zu dem kleinen Zimmer, in dem ich bis gerade eben gelegen hatte.

Der schwere olivfarbene Teppich unter meinen nackten Füßen war alt und an vielen Stellen abgelaufen, aber dennoch versprühte er das Gefühl von Geborgenheit.

Zögerlich setzte ich den ersten Fuß, den der nicht in einem Gips gefangen war, auf die oberste Stufe der ebenfalls hölzernen Treppe. Vieles hier im Flur und auch schon in "meinem" Zimmer erinnerte mich stark an zuhause. Also an das Haus meiner Mutter. Nicht dass ich New York noch als mein Zuhause sehen würde. Mal ganz davon abgesehen, dass wir für meinen Vater in La Push nicht protzig genug lebten. Hier lag die gleiche ungreifbare Herzlichkeit in der Luft.

Angestrengt schritt ich die Treppe hinunter. Eine Stufe nach der anderen. Es kostete mich doch mehr Kraft, als ich gedacht hatte. Auf etwa der Mitte der Treppe überlegte ich sogar kurz, ob ich nicht doch umkehren sollte, denn ich war schon ziemlich außer Atem.

Doch das aufgekratzte Stimmengewirr, welches von unten zu mir dran, machte mich noch neugieriger, auf das, was unten war.

Da unten schienen sich einige Leute angeregt zu unterhalten, gelacht wurde auch, aber sie redeten alle durcheinander, so dass ich nicht in der Lage war, eine der Stimmen zu zu ordnen. Nur einer Sache war ich mir mehr als sicher: Ich war auch da unten in Sicherheit! Woher dieses leise Gefühl kam, denn viel mehr war es nicht, konnte ich nicht sagen. Aber es ließ mich tapfer den Gips auf die nächste Stufe stellen.

Am Fuß der Treppe, ganz am Rande meines Blickfeldes, tauchte ein heller Dielenboden auf. Ich kannte diesen Boden! Auch wenn ich ihn nur ein mal gesehen hatte, aber wo war das nur gewesen?

Noch eine Stufe runter, auf den Dielen lag ein ebenfalls grüner Teppich, welcher seine besten Tage schon gehabt hatte, was ihm aber echt gut stand. Die Stimmen wurden immer lauter und ich konnte nicht mehr weit von ihnen weg sein.

Stühle wurden über das Holz geschoben, Porzellan und Glas klirrte und das Gelächter setzte wieder ein. Jetzt konnte ich wenigstens eine der Stimmen erkennen. Eine Stimme, die mahnend erhoben war, auch wenn ihr die Autorität fehlte, um bedrohlich zu wirken. Dafür klang einfach viel zu viel Zuneigung in ihr mit.

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