Familie Kim

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Es waren sicher schon ein paar Minuten vergangen, als mit quietschenden Reifen ein Linienbus vor uns hielt.
Ich blickte auf, um zu sehen, unter welcher Nummer er fuhr und musste feststellen, dass es einer der Busse war, mit denen ich im Winter nach Hause kam, wenn es fürs Fahrradfahren zu eisig war.
Ich blickte zu Jongup, der immer noch neben mir kauerte.
„Wollen wir nicht einfach mit dem Bus fahren? Das ist vielleicht angenehmer als zu laufen..."
Einen Moment lang sah mich der Angesprochene an, dann meinte er unschlüssig:
„Was dir lieber ist."
„Dann fahren wir Bus, okay?"
Er nickte und ich erhob mich, um ihm ebenfalls hoch zu helfen.
Schnell deutete ich dem Busfahrer, dass er noch kurz warten solle, und drehte mich wieder zu Jongup um, der sich scheinbar einen gequälten Gesichtsausdruck unterdrücken musste.
Noch immer hatte er die linke Hand an seine Seite gelegt.
Entschlossen kam ich auf ihn zu und legte mir kurzerhand seinen rechten Arm um meine Schulter, um ihn zu stützen.
Kurz wirkte er unsicher und ich merkte, wie überrascht er war, als er sich schließlich doch in den Bus und auf einen Platz helfen ließ.
Schweigend saßen wir nebeneinander, während der Bus langsam anfuhr.
Beide sahen wir aus dem Fenster und ich schweifte mit meinen Gedanken jede Sekunde mehr ab...
Deshalb erschrak ich auch umso mehr, als er schließlich leise fragte:
„Warum machst du das eigentlich?"
Verwirrung machte sich in meinem Kopf breit.
„Was meinst du?"
Er zögerte.
„Warum hilfst du mir?"
Überrascht blickte ich ihn an.
„Das ist doch selbstverständlich. Immerhin sind wir Klassenkameraden und ich bin in dich reingelaufen."
Er schwieg und sah wieder aus dem Fenster.
Kurz verweilte mein verwunderter Blick noch auf ihm, dann schweiften meine Gedanken wieder ab.
Was war ihm nur passiert?

Jongup:
Als wir ein paar Minuten später ausstiegen, hatte ich das Gefühl, mich kaum noch auf den Beinen halten zu können.
Schmerz pulsierte durch meine Adern wie Gift und vernebelte meine Sinne.
Ich konnte nicht mehr...
Ich wollte mich nur noch irgendwo hinlegen und warten, dass alles besser wurde...
Doch ich musste stark bleiben.
Ich musste mal wieder so tun, als wäre alles halb so schlimm...
...wie schon immer in meinem Leben.
Ich durfte meinen restlichen Stolz nicht auch noch verlieren...
"Schau, hier wohn ich." drang plötzlich Himchans Stimme zu mir durch und ich hob meinen Blick vom Boden.
Wir standen vor einem Einfamilienhaus mit einer Rasenfläche und einem kleinen Weg vor der Haustüre.
Auch ein winziges, rostiges Gartentor gab es.
Irgendwie gefiel es mir sofort.
Es war nicht so protzig und angeberisch, nicht so modern und unpersönlich...und vor allem nicht so perfekt.
Es war sicher schön mit einer lieben Familie so zu leben...
Ich blinzelte und schüttelte die Gedanken ab.
Ich hatte als Kind nun nicht mal alles haben können...
Himchan bugsierte mich durch das Gartentor und klingelte an der Haustür.
Schon bevor wir die Person sehen konnten, fing jene an, zu plappern.
"Chanie, bist du schon wieder zurück vom Einkaufen? Dann warst du aber schne..."
Die Frau vor uns brach ab und sah an Himchan vorbei zu mir.
"Wer ist das? Und was ist mit den Sachen, die du besorgen solltest?"
Mein Klassenkamerad blickte kurz zwischen der Frau und mir hin und her.
Ich sah, dass er unschlüssig war...unschlüssig, wie er alles erklären sollte.
Wäre ich doch bloß nicht mit ihm gekommen - dann hätte er diese Probleme jetzt nicht...
Unwillkürlich kamen mir die Worte von Yongguk und meinen Eltern in den Kopf.
Die Worte, in denen sie wieder und wieder gemeint hatten, dass ich immer nur überall alles verkomplizierte...dass da wo ich war, nur alles eskalierte...
Ich senkte meinen Kopf.
Warum hatte ich nicht mitgedacht?
Ich hätte einfach an der Straße liegen bleiben sollen...dann hätte ich niemandem mehr Probleme gemacht...
"Das ist Moon Jongup, du weißt schon, der Neue in der Klasse. Ich hab ihn, glaube ich, schon mal erwähnt."
Die Miene der Frau hellte sich auf und sie kam einen Schritt auf mich zu, um mir die Hand schütteln zu können.
"Hallo, ich bin Himchans Mutter. Freut mich, dich kennenzulernen."
Ich verbeugte mich leicht und lächelte.
So gerne ich auch noch etwas erwidert hätte, irgendwie brachte ich kein Wort heraus.
Ein Klos hatte sich in meinem Hals gebildet und er wollte einfach nicht verschwinden...
Ich beobachtete, wie sich die Frau wieder an ihren Sohn wandte.
"Und wieso warst du nicht einkaufen? Du weißt doch, dass du heute mit Essenmachen dran bist."
Himchan warf mir kurz einen Blick zu, dann meinte er:
"Also...es ist so. Ich habe Jongup vorher getroffen, als er eine Treppe hinabgestürzt ist...ich dachte, es wäre wichtiger, dass ich ihn zu dir bringe."
Die Mutter sah ihren Sohn einen Moment lang prüfend an, dann lächelte sie warm.
"Wenn das so ist...dann kommt mal rein. Wirst du mit uns essen, Jongup? Ich denke, wir haben noch Ramen da..."
Von dem raschen Wechsel ihrer Gefühlslage überfordert, wusste ich erstmal nicht, was ich antworten sollte.
Freundlich sah sie mich an, als ich meinte:
"Ehrlichgesagt habe ich noch keine Pläne für heute Abend..."
Himchans Mutter nickte verständnisvoll und ich spürte den Arm meines Klassenkameraden auf meinem Rücken, als er mir in das Haus folgte.
Dort angekommen wandte sich die Frau wieder direkt an mich.
"Und du bist die Treppe hinuntergefallen?" Aus irgendeinem Grund strahlte sie mich an...und ich nickte.
"Ehrlichgesagt hatte ich, als ich dein geschundenes Gesicht gesehen hab, schon gefürchtet, mein Sohn hätte jemanden angeschleppt, der sich geprügelt hat."
Sie lachte und ich zwang mir ein bitteres lächeln auf meine Lippen.
Wenn sie nur wüsste...
Geprügelt hatte ich mich zwar nicht, aber verprügelt worden, war ich schon...

B.A.P - Protecting You (HimUp)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt