Kapitel 6

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Der nächste Morgen bricht an. Vorsichtig öffne ich meine Augen und sehe Nuri, der über mir beugt und an meinem Handgelenk den Puls fühlt. „Alles okay?" Ich nicke vorsichtig. „Habt ihr einen Plan?" Nuri schüttelt den Kopf. „Wir wollen heute einfach weiterlaufen. Draussen schüttet es wie aus Kübeln, ich war noch nicht draussen damit keine Kälte reinkommt. Wir ziehen uns jetzt wettertauglich an, essen ein Stück Brot und gehen dann los."

Milli neben mir schläft noch seelenruhig. Vorsichtig lege ich ihm eine Hand auf seine Schulter, worauf er zusammenzuckt. „Sorry, wollte dich nicht erschrecken. „Kein Problem. Geht's dir etwas besser als in der Nacht?" „Ja, tut mir leid dass ich solche Umstände mache. Ich reisse mich ab jetzt zusammen. Mir geht's besser."

Milli schüttelt den Kopf. „Nein, sag bloss wenn was ist. Es bringt uns auch nicht weiter wenn es dir immer schlechter geht und wir gleichzeitig in die Zivilisation laufen müssen." Nuri streift mir meinen dicken Pulli von Milli ab und zieht mir einen dünneren über mein Top. Dann stülpt er wieder den dicken Pullover drüber und montiert mir anschliessend noch meine Regenjacke. „Zum Glück ist die nicht mit dem Zelt abgestürzt." Anschliessend öffnet er vorsichtig die Zeltöffnung.

Draussen giesst es ununterbrochen. Im strömenden Regen bauen die Jungs die Zelte ab, während Julian mit mir unter dem Regenschirm steht und zuguckt. „Ich helfe euch.", will ich schon die Initiative ergreifen als Nuri mich zurückstösst. „Kommt nicht in Frage, du stellst dich wieder brav ins Trockene. Wenn du jetzt auch noch krank wirst riskierst du dein Leben Sarah!" Gehorsam stelle ich mich neben Julian, der mich sofort in den Arm nimmt. „Bleib besser hier, du wirst noch krank sonst."

Fünf Minuten später geht die Wanderung los. Vorab marschiert Felix mit strammen Schritten, dahinter geht Hendrik mit dem Dreimannszelt bepackt. Hinter Hendrik läuft Julian und dahinter Milli und auch Nuri, der immer wieder einen Blick zu mir zurückwirft. Hinter mir macht Roman das Schlusslicht. Etwa zwei Stunden laufen wir ohne Pause durch den strömenden Regen. Das heisst, ich humple eher und bemühe mich, nicht bei jedem zweiten Stein zu stolpern. „Freunde, wir sollten Talabwärts laufen. Dort sind eher Menschen als hier im Berg."

Hendrik stoppt. „Julian, weisst du wie verdammt gefährlich das hier ist? Rechts ist eine weite Ebene und links geht's senkrecht runter. Das überleben wir nicht wenn wir hier runtergehen." Nuri legt Ju die Hand auf die Schulter. „Hendrik hat Recht, wir sollten wirklich nicht runter. Oben bleiben ist das Beste für alle Beteiligten."

Als Felix wieder losläuft und sein Tempo beschleunigt habe ich Mühe mitzuhalten. Doch ich lasse mir nichts anmerken, weder mein Knie, das schmerzt, noch mein Schwindel, der immer wieder Besitz von mir ergreift. Alle paar Minuten dreht sich Nuri um und schaut, ob mit mir noch alles in Ordnung ist.


Als wir nach etwa vier Stunden noch immer keine Pause machen bin ich völlig am Ende. Nicht nur, dass mein Knie schrecklich wehtut, ich habe auch seit zwei Tagen nichts richtiges gegessen oder getrunken. Zitternd setze ich mich auf einen Stein am Wegrand. Der Rest der Truppe, der vor mir geht, bemerkt mich nicht. Nur Roman schmeisst sein Gepäck neben mir ins Gras und schreit nach Nuri. Sofort halten alle an. Mir laufen Tränen der Verzweiflung über die Wangen. Sie sind heiss und brennen auf meiner kalten Wange.

„Roman, ich kann nicht mehr!", schluchze ich verzweifelt. „Geht ohne mich weiter. Ihr hättet die Gruppe doch längst eingeholt. Ihr könnt mich ja dann abholen wenn ihr sie gefunden habt. Aber ich kann nicht mehr weiterlaufen." Meine Hände zittern wie Espenlaub und Roman kniet sich vor mich hin. Er nimmt meine eiskalten und schon tauben Hände und knetet sie in seinen, bis sie warm werden. Nuri sitzt neben mir auf dem Stein und hält mich einfach nur in seinen Armen. Es dauert keine Minute, bis Julian mit dem Regenschirm neben mir steht und uns ins Trockene stellt.

Felix bespricht mit Hendrik das weitere Vorgehen und Milli steht bloss geschockt daneben und starrt mich apathisch an. Ich glaube so langsam ist er auch ziemlich am Ende. Auf einmal fällt er er einfach um und stürzt auf den Boden, ganz nah an der Kante zum Abgrund. Schreiend springe ich auf und renne zu ihm. Er hängt halbwegs über dem steilen Hang und auf der Stelle zehre ich ihn mit aller Kraft vom Rand weg. „Milli, verdammt nochmal. Was machst du?" Die Tränen bahnen sich erneut ihre Wege nach unten zu meinem Kinn, wo sie auf Maximilians Jacke zusammen mit den anderen Regentropfen aufprallen.

Ich bekomme wie im Traum mit, dass sich Nuri zu ihm hinkniet. Hendrik nimmt mich in den Arm und führt mich etwas weg von den anderen, weg von Milli. Aber ich habe eine riesengrosse Angst um meinen liebgewonnenen Freund. Was ist mit ihm? „Hendrik, was hat er?", frage ich den blonden Torhüter verzweifelt. „Ich weiss es nicht. Aber es wird ihm bald wieder besser gehen. Komm, wir bauen gemeinsam die Zelte auf." Ein bisschen Ablenkung kann mir nicht schaden, jedoch werfe ich immer wieder einen Blick über meine Schulter. Noch immer knien Nuri und Julian auf dem Boden und helfen Milli.

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Bringen wir mal etwas Drama in die Sache.  Sorry dass ich beim letzten Teil die Zahlen vertauscht habe, ich hoffe es hat euch nicht allzu sehr verwirrt. Das war der letzte Teil für heute. Nächste Woche habe ich Ferien, wir werden auch in die Berge fahren. Allerdings nicht die russischen Berge sondern unsere schönen Schweizer Alpen! Bis dann!

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt