Kapitel 55

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***Zehn Tage später*** (wir schreiben den 12. Dezember 2018)

Die Normalität pendelt sich langsam wieder in unseren Alltag ein. Trotz all den Strapazen im letzten Monat geht es uns relativ gut. Roman hat sich wieder vom grössten Schock erholt und auch die Mannschaft des BVB steht gesund und munter auf dem Platz.

Bis auf Milli. Der liegt noch immer im Koma. Mittlerweile ist das künstliche Koma ausgeleitet worden und sein Körper hat sich selber in ein Koma versetzt. Das ist ein schlechter Zustand, da er kaum kontrollierbar ist und man ihn nicht ausleiten kann. Unter Umständen ist er jetzt mehrere Jahre im Koma, vielleicht auch nur mehrere Wochen. Bereits eine Woche nach der Gehirnblutung konnten sie alles abschliessen und ihm den Beatmungsschlauch aus dem Hals ziehen. Jedoch mussten sie ihn wieder anschliessen, da sich seine Atmung verschlechtert hat.

Jetzt ist es eine Frage der Zeit bis er wieder aufwacht. Ich besuche ihn täglich auf der Intensiv, oftmals kommt Roman mich bei Feierabend abholen und wir laufen gemeinsam zu Milli. Das Team kommt auch sehr häufig vorbei, er ist also praktisch nie alleine. Auch Jay sitzt täglich am Bett, was mich jedes Mal zum Grinsen bringt. Ich dachte erst, dass sie Erik hübsch findet. Aber jetzt, wie sie sich um Milli kümmert bin ich mir sicher, dass sie was für ihn empfindet. Und ich bin mir auch sicher, dass Milli alles mitbekommt. Dass er uns hören kann, wenn auch nicht alles. Aber er kämpft, er wird das schaffen.

Jedes Mal wenn ich ihn wieder besuche werde ich mir des Neuen bewusst, dass er keine guten Prognosen hat, durchzukommen. Und wenn er es überstehen wird, ist die Chance leider gross, dass er nicht mehr Fussball spielen kann. Wir nehmen schon langsam Abschied von unserem Freund, es fällt keinem leicht. Die vielen Momente, die wir gemeinsam erlebt haben, vor allem wie wir uns kennengelernt haben. Wie er immer für alle da war, immer das Gute in jedem Menschen gesehen hat. Und jetzt müssen wir die Hoffnung beinahe aufgeben. Jeden Abend gehe ich traurig aber gleichzeitig auch glücklich nach Hause. Ich weiss dass sich sein Zustand nicht verschlechtert hat, allerdings ist er auch nie besser.

In letzter Zeit ist das Verhältnis von Roman und mir deutlich weniger eng geworden. Durch die Zeit, die ich im Spital verbringe und seine Spiele an den Wochenenden, zu denen er ja auch oft ziemlich weit fahren oder gar fliegen muss, sehen wir uns sehr selten und wenn wir uns sehen, dann meistens kurz abends, wenn es andere Dinge zu erledigen gibt oder wir kurze Zeit später ins Bett gehen.

Der Tag verläuft normal, die Tagschicht ist nicht sehr anstrengend da wir sehr wenige Patienten haben. Jay hilft heute bei uns oben aus, unten auf der Intensiv sind sie überbesetzt. Das Team hält sich gerade im Aufenthaltsraum auf, als das Telefon läutet. Jay läuft hin und meldet sich. „Ja, die ist hier. Ich werde es weiterleiten, danke.", meint sie und strahlt. Als sie auf mich zukommt laufen ihr die Tränen über die Wangen runter. „Sarah, Milli ist aufgewacht. Wir sollen runter zur Intensiv gehen.", meint sie und umarmt mich.

Die anderen aus dem Team verstehen Bahnhof, sie haben nicht alle mitbekommen, dass wir so eng mit dem Fussballer befreundet sind. Aber Melissa, die Stationsleitung, schickt uns nach unten. Sie weiss genau Bescheid, was die letzten Wochen hier vor sich gegangen ist. Schnell laufen wir zum Lift und drücken den Knopf. Alle machen Platz, als wir aus dem Aufzug stürzen. Unten greift Jay meine Hand und wir laufen so schnell es geht zum Personal der Intensiv.

Die Verantwortliche der Intensivstation fasst mich an den Schultern. „Also, es ist so..." Und dann erklärt sie uns den aktuellen Zustand von Milli. Er sei wieder aufgewacht, noch sehr schwach und seine Reaktion ist verzögert. Jedoch sind seine Werte sehr gut, er hatte wohl grosses Glück im Unglück. Glücklich falle ich Jay in die Arme, dann dürfen wir rein. Zwar ist er an ein Gerät mehr angeschlossen, jedoch sieht er nicht mehr so ganz leblos aus.

Als ich ans Bett stehe und seine Hand nehme öffnet er langsam die Augen. „Hey.", flüstere ich leise und streiche ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Willkommen zurück Milli." Ich trete etwas zur Seite und lasse Jay auch neben mich stehen. Er guckt sie mit grossen Augen an und ich führe seine Hand mit ihrer zusammen. Eine Weile schaut Jay ihn mit Tränen in den Augen an. Er räuspert sich. „Danke, dass ihr zwei immer da wart. Ich habe euch gespürt.", meint er mit krächzender Stimme. Ich nicke. „Das ist doch selbstverständlich, wir lassen dich nicht im Stich.", füge ich an. Jay streichelt ihm liebevoll über den Handrücken und Milli schaut ihr tief in die Augen.

Da ich das Gefühl habe dass sich hier was entwickeln könnte verlasse ich den Raum und rufe Roman an. Natürlich befindet der sich im Training und nimmt nicht ab, worauf ich Peter anrufe. Dieser geht sofort ran, da er sein Handy aufgrund seines Schützlings im Krankenhaus nicht mehr ausgeschaltet hat. „Ja, hier Peter?" „Hi, hier ist Sarah." „Sarah. Ist was mit Maximilian?", fragt er aufgebracht. „Ja, er ist aufgewacht. Ich bin bei ihm, aber vielleicht kommt noch jemand vom Team vorbei?", frage ich höflich. „Ich werde sofort Roman schicken. Spricht er mit euch? Kann er euch verstehen?", fragt der Dortmunder Trainer besorgt.

Ich werfe einen Kontrollblick auf Milli, welcher die Augen schon wieder geschlossen hat. Jay streichelt ihm ununterbrochen über die Stirn. „Ja, aber er ist noch sehr erschöpft. Soll ich ihm etwas ausrichten wenn es ihm etwas besser geht?" „Gerne, sag ihm liebe Grüsse vom Team und vom Trainerstab, er soll sich die Zeit nehmen die er braucht, wir halten den Ball für ihn flach." Ich grinse, was Peter natürlich nicht sehen kann. „Aber natürlich werde ich ihm diese freudige Botschaft überbringen. Kommst du später auch noch ins Krankenhaus oder wartest du bis er etwas fitter ist?" „Ich glaube ich komme in einigen Tagen mal vorbei.", meint der Holländer noch und verabschiedet sich dann nach lautem Gezeter und einem Lachanfall. Piszczu hat ihm beinahe einen Ball gegen den Kopf geschossen, dem er kurzerhand ausweichen musste. Ich grinse wieder, schüttle den Kopf und hänge auf.

Als ich wieder ins Zimmer komme ist Jay weg. Ich setze mich auf die Bettkante zu Milli. „Ich soll dich grüssen, vom Trainerstab und vom Team, sie halten den Ball für dich flach. Roman kommt gleich vorbei. Soll ich deine Familie anrufen? Sie wollen sicher wissen wie es dir geht.", meine ich leise. Milli öffnet kurz die Augen, nickt und schliesst sie wieder.

Ich zücke erneut mein Handy und los geht die fröhliche Telefonrunde. Seine Mutter beschliesst, gleich morgen mit der ganzen Familie anzureisen und in drei Tagen wieder nach Hause zu fahren. Während ich mit den verschiedenen Leuten spreche machen die Ärzte verschiedene Tests mit Milli, um zu sehen ob er jemals wieder so leben kann wie früher. Denn eine Hirnblutung kann erheblichen Schaden anrichten. Manche Leute können kaum noch Sport treiben, sie müssen beinahe alles neu lernen. Ich hoffe bloss, dass Milli nicht so stark beeinträchtigt ist. Ich war schon sehr erleichtert, als er uns erkannt hat.

Als Roman auftaucht ist auch er erleichtert. Seufzend nimmt er mich in den Arm und vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren, die er wie immer zuvor aus Gewohnheit hinters Ohr geschoben hat.


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Happy sunday!


Danke für 4k Reads! Ihr seid verrückt!!

Jetzt hab ich noch ne Überraschung für euch. Nach der Fortsetzung gibt's eine weitere Fortsetzung mit einer anderen Besetzung in der Hauptrolle. Für diese muss man aber die beiden vorderen Storys nicht gelesen haben. Es geht um die 19jährige Olivia aus Schottland, jede Menge Action und Fussball! Keine Angst, die bisherigen Charaktere kommen fast alle auch vor, einfach nicht mehr so zentral. Jetzt kommen aber zuerst noch etwa 10 Kapitel von dieser Story und anschliessend die Fortsetzung mit etwa 35 Kapitel (in der geht's immer noch um Roman und Sarah).

Wann wollt ihr das nächste Kapitel? Ich lass euch mal selbst entscheiden.

Ciao!

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt