Kapitel 2

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Als ich die Augen wieder aufmache sehe ich über meinem Kopf nur orange. Erst denke ich mir, dass die Sonne untergeht, doch bei genauerem Hinhören, höre ich Regen prasseln. Reflexartig strecke ich die Hand aus, um die Stärke des Gewitters zu spüren, doch als ich meinen Kopf etwas wende, sehe ich, dass ich gemeinsam mit Roman und Ju in einem Zelt liege.

Sanft zwicke ich Ju in den Oberarm. „Hmm?", grummelt er leise und räkelt sich unter dem Schlafsack. Als er mich sieht reisst er sofort die Augen auf und weckt Roman. „Geht's etwas besser?", fragt dieser schliesslich, als sie sich beide vom ersten Schrecken erholt haben. Ich hebe meinen Arm und fasse mir an den Kopf. „Naja. Ein bisschen. Aber nicht viel."

Roman setzt sich auf und beugt sich über mein Gesicht. „Wie viele Finger zeige ich?", fragt er und fuchtelt vor meiner Nase rum. „Drei Roman, und lass jetzt das rumwedeln, mit meinem Kopf ist alles gut." Roman schüttelt den Kopf. „Man weiss ja nie. So und jetzt, kannst du dich aufsetzen? Ganz langsam." Vorsichtig richte ich mich auf. Meine Hände pochen und mein Kopf schmerzt, aber es geht einigermassen.

Mit ernster Miene greift Ju meine Hand und fühlt den Puls. „Ich versteh nicht viel davon, aber ich denke der Puls ist gut. Er ist jedenfalls regelmässig und stark. Tut dir was weh?" Ich nicke. „Meine Hände, mein Kopf und mein Knie. Aber das geht klar. Und bei euch?" „Alles gut. Kannst du deine Finger bewegen?" Vorsichtig bewege ich meine bandagierten Fingerspitzen. „Geht. Aber jetzt beantwortet ihr mir zwei Fragen. Erstens, wo sind wir? Und zweitens wieviel Uhr haben wir?" Ju zuckt mit den Schultern. „Zur ersten Frage habe ich leider keine Antwort. Zur zweiten, wir haben gleich zwei Uhr in der Nacht." „Was?", frage ich ungläubig. „Wie lange war ich weg?" Roman verzieht gequält das Gesicht. „Ganze zwei Stunden. Du hast uns echt Angst eingejagt. Ich dachte schon du wachst nie wieder auf." Ich grinse schief. "Na, so schlimm ist es wohl auch wieder nicht."

Die Luft im Zelt ist stickig, gleichzeitig klirrend kalt und der Regen klatscht ununterbrochen auf unser Zeltdach. Mir wird langsam kalt und ich beginne zu zittern. „ Ist wirklich alles okay?" Ich nicke. „Ist bloss frisch hier drin." Roman zieht sich seinen dicken Pulli aus und hilft mir, ihn überzuziehen. „Danke." Ju zieht mir die Kapuze über den Kopf. „Wir sollten jetzt noch etwas schlafen, morgen müssen wir wieder aus diesem Berg rausfinden." Damit löscht er die Taschenlampe wieder und rückt etwas näher zu mir. Auch Roman, der auf meiner anderen Seite liegt, rutscht näher an mich ran. So schlafe ich irgendwann trotz meiner Schmerzen ein.



Der nächste Tag bricht an und ich wache erst auf als schon niemand mehr im Zelt ist. Als ich vorsichtig die ersten Schritte nach draussen wage sehe ich, dass Julian und Roman gerade lautstark diskutieren.

„Morgen ihr zwei.", murmle ich in die kalte Luft heraus. „Morgen. Alles gut bei dir?", fragt Julian sofort. „Jaja, alles bestens. Ich würde aber gerne nach Hause gehen." Roman runzelt die Stirn. „Das könnte schwierig werden. Wir sind hier leider nicht im Krankenhaus. Ich weiss, sie haben bereits einen Suchtrupp losgeschickt, sobald sie unser Verschwinden bemerkt haben. Der müsste schon bald auftauchen, das wird schon wieder."

Julian macht ein gequältes Gesicht. „Milli hat gesagt, dass er und Felix sich nachher auf die Suche nach einer seltenen Pflanze machen wollen, über die sie letztens gelesen hatten. Sie soll sehr wertvoll sein, Hendrik wollte unbedingt auch mit. Ich mache mir Sorgen Roman." „Scheisse, das heisst dass hier noch mal drei umherirren und nicht wissen wohin", seufzt Roman auf. „Ich befürchte ja. Aber ich schätze die haben noch keine Verletzten, im Gegensatz zu uns", meint Julian und deutet auf mich. „Bei mir ist alles okay, wirklich. Lasst uns aufbrechen, sonst finden wir nie zurück." „Kannst du denn wirklich gehen?" Ich verdrehe die Augen. „Jahaa, wenn ich's doch sage. Jetzt helft mir mit Zusammenpacken und dann gehen wir." Roman nickt und folgt meinen Befehlen. Jule packt das Zelt zusammen und so brechen wir eine halbe Stunde später auf.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt