Kapitel 50

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***30. November 2018***

Einige Wochen später hat sich alles wieder eingerenkt. Roman ist vor einigen Tagen wieder ins Training eingestiegen, allerdings wird er noch immer etwas geschont und steht unter strenger Aufsicht des Mannschaftsarztes. Wir sind natürlich wieder zurück in Deutschland und ich mache meine Ausbildung als Krankenschwester weiter.

Seinen Geburtstag haben wir nicht so ausgiebig wie im letzten Jahr gefeiert, er hatte noch nicht sehr viel Energie. Das Fest ist um zehn Uhr zu Ende gegangen, die Gäste hatten aber viel Verständnis. Es waren auch nicht viele eingeladen, Romans Familie, die WG und mein Cousin. Und natürlich Romans Freunde.

Die letzten Monate waren für Roman ziemlich anstrengend, er ist das Aufbautraining aber locker angegangen und hat sich nicht überanstrengt. Während der Zeit wurde er ununterbrochen von Markus, dem Mannschaftsarzt, überwacht. Kleinste Veränderungen hat er registriert und das Training angepasst. Heute ist Samstag, heute soll das nächste Spiel in der Bundesliga sein. RB Leipzig ist eine starke Mannschaft und unser heutiger Gegner. Natürlich habe ich mich wie immer mit Sarah und Co. bei uns zuhause verabredet.

Nervös packe ich meine Tasche, ziehe mir meine wärmsten Klamotten an, schnappe mir meine Autoschlüssel und steige ins Auto. Keine fünf Minuten später kommen auch schon Sarah, Scarlett und Melissa mit Gala vorbei und setzen sich zu mir in den Wagen. Sofort fahre ich los. Auf der Fahrt wird, wie immer, fleissig gesungen und gequatscht.

Der Anpfiff, das Spiel beginnt. Ich sitze mit einem Kakao neben Melissa und Sarah auf meinem Platz und spüre meine Hände vor Kälte bereits jetzt nicht mehr. Roman fokussiert sich aufs Spiel und auch der Rest des Teams schaut gebannt auf den Ball. Natürlich hat Leipzig Anstoss, wie könnte es auch anders sein. Gala hüpft wie wild auf Melissas Schoss rum, als sie ihren Papi spielen sieht. Erstaunlich, dass sie ihn aus dieser Entfernung erkennt. Aber auch ich würde Roman aus zwei Kilometern Entfernung sofort erkennen.

Milli spielt leider nicht, er hat die letzten Spiele komplett durchgespielt und wird heute geschont. Dafür darf er das Spiel bei seinen Eltern auf der Couch anschauen. Allerdings ist sein Wagen heute Morgen nicht angesprungen, ich denke er hat jetzt den Bus oder den Zug gewählt. Oder seine Eltern haben ihn abgeholt. Sowas kann aber auch nur Milli passieren.

Völlig abwesend bekomme ich das eins zu null durch Auba nur am Rande mit. Als Gala mir aber laut ins Ohr kreischt, gelange ich zurück in die Realität. Ich bin eine echte Tagträumerin, da versäume ich doch glatt das Traumtor von unserem Torschützenkönig. Die Südtribüne bebt und hüpft, die Fans singen laut „Heja BVB", und alle tanzen mit. Nachdem sich der Trubel etwas beruhigt hat beginnt das Spiel wieder. Doch noch immer sind die Borussen stärker.

Nach einer guten halben Stunde vibriert plötzlich ununterbrochen mein Handy. Leandro! Sofort nehme ich den Anruf entgegen. „Sarah? Scheisse Sarah.", ertönt eine brüchige Stimme durchs Telefon. „Leo, was zur Hölle ist passiert? Ich bin im Stadion.", schreie ich gegen den Lärm an. „Verdammt, Milli! Er hatte einen Unfall und..." „Moment, ich dachte er ist bei seinen Eltern.", meine ich besorgt. „Ja, sollte er auch. Er ist aber nie angekommen, seine Mutter hat eben besorgt angerufen und nach ihm gefragt. Ich habe ihr geantwortet dass ich es rausfinde. Und jetzt lese ich diese Nachricht von diesem Zugunfall.", ruft er verzweifelt in den Hörer. „Ganz ruhig, ich komme. Wir fahren jetzt gemeinsam da hin, ja?" „In Ordnung, aber fahr vorsichtig bitte.", fügt er noch an, dann drücke ich den roten Knopf und schnappe mir meinen Schal.

„Scheisse, Milli hatte einen Unfall. Ich muss los, bitte sagt den Jungs Bescheid, aber erst nach dem Spiel. Ich halte euch auf dem Laufenden.", meine ich knapp zu den anderen Spielerfrauen und renne die Treppe hoch zu den Ausgängen. Schneller denn je bin ich auf den Parkplätzen und steige ins Auto.

Millis Sicht:

Als ich die Augen öffne, ist rundherum alles totenstill. Ich spüre ein dumpfes Stechen in meinem Bauch und es dreht sich alles. Vorsichtig rapple ich mich hoch und sehe Blut an meiner Hand. Sofort wird mir übel. Hinter mir hustet jemand. Langsam stehe ich auf und setze mich auf die Armlehne eines Stuhls, da mein Kreislauf nicht mitmacht. Und da sehe ich erst das schreckliche Bild, das sich mir bietet. Wie im Film zieht alles noch einmal vorbei .

Es gab einen schrecklichen Knall, dann ist der Waggon entgleist und schliesslich umgekippt. Den Aufprall habe ich bereits nicht mehr gespürt. Vorsichtig taste ich mich an meiner Wange hoch bis zu meiner Stirn, wo wohl eine grosse Wunde klafft. Neben mir liegt ein junges Mädchen auf der Fensterscheibe, sie scheint am Bein verletzt. Ich knie mich zu ihr hin und rüttle sanft an ihr. „Hey Kleine, kannst du mich hören? Wir müssen hier raus, hörst du. Komm, ich helfe dir.", sage ich zu ihr und helfe ihr hoch, als sie die Augen öffnet. Gemeinsam mit ihr schlage ich mich durch bis zur Türe, die sich schwer öffnen lässt. Doch mit der Hilfe eines weiteren Mannes kriegen wir sie schliesslich auf. Mühsam klettern wir alle rauf, da die Türe jetzt senkrecht über unseren Köpfen schwebt, stellt sich das ganze als ziemliche Schwerstarbeit dar. Gar nicht so einfach.

Draussen bietet sich ein schreckliches Bild. Dutzende Menschen strömen aus den Waggons, unseren hat es besonders schlimm erwischt. Ich sehe nämlich ausser uns kaum Verletzte. Schnell helfe ich dem Mädchen raus, wo sie von einer Frau übernommen wird und gemeinsam mit dem anderen Mann eile ich wieder ins Innere des Zuges. „Wie ist dein Name?", frage ich ihn hastig. „Will, und deiner?" „Maximilian. Sag einfach Milli." „Na gut Milli, dann lass uns die Leute da rausholen. Wir beginnen mit denen, die noch selber gehen können und arbeiten uns dann vor zu denen, die wir tragen müssen, okay?", fragt er mich. Ich nicke. „Du hast das gelernt oder?" „Ich bin Sanitäter. Ich muss das können.", meint er professionell und hilft mir wieder zur Türe rein.

Bald sind alle Verletzten bis auf zwei draussen. Eine junge Frau und ein älterer Herr. Hinten im Waggon ist eine Frau bereits verstorben, sie scheint einen Genickbruch erlitten zu haben und war wohl auf der Stelle tot. Die Minuten bis die wirklichen Rettungskräfte eintreffen scheinen unendlich lang, dann fährt eine Ambulanz vor. Wir haben gerade den Mann rausgebracht, als ein Rettungssanitäter auf uns zu rennt und uns über den Unfall befragt. Wir erklären ihm alles Wesentliche und wenden uns dann wieder der jungen Frau zu, die noch im Waggon liegt. Mit Hilfe einer dritten Person schleppen wir sie raus und setzen uns erschöpft ins Gras.

Aus dem Zug ertönt ein leises Rumpeln. Sofort springe ich auf und klettere wieder durch die Türe rein. Ich höre Will noch, wie er mich zurückrufen will wegen der Explosionsgefahr, da scheinbar ein Tank ausgelaufen ist. Doch ich will diesen Menschen retten, der hier noch in Gefahr schwebt.

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Mit dem hat jetzt niemand von euch gerechnet, hab ich recht?

Naja, dieses Kapitel kommt etwas später als geplant, aber die Bearbeitung hat wirklich fast Stunden gedauert. Wieso? Ach, ich war so schlau und hab zwei Tasten an meinem Laptop rausgerissen. Aus Versehen natürlich, aber es mussten das s und das a sein. Jetzt brauche ich gefühlte 7 Stunden für ein einziges Wort. Weil diese kleine Noppe so klein ist, dass man sie kaum trifft. Alle die auch schon mal so fähig waren, wissen was ich meine.

Gute Nacht ihr kleinen Schlingel und bis bald.

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt