Der nächste Morgen bricht an, und das wissen wir nur dank Felix' leuchtender Armbanduhr. Hendrik und Milli lassen wir noch etwas schlafen, die letzte Nacht hat sie sehr erschöpft. Heute wollen wir durch die Steine hindurch ein Loch nach draussen freischaufeln. Irgendwie muss ja jemand nach draussen und Hilfe holen, Hendrik kann wahrscheinlich kaum noch laufen und auch der Rest der Truppe ist langsam am Ende der Kräfte angelangt. Bereits vor dem Frühstück machen wir uns an die Arbeit und beginnen damit, die Steine voneinander runterzuheben. Dies geschieht im Team, nach zwei gemeinsamen Tagen in den Bergen verstehen wir uns blind. Auch wenn uns allen die Arme noch wehtun packen wir mit an, denn nur so können wir überleben und Hendrik endlich in Sicherheit bringen. Nach einer Weile ist ein ca. 10 Zentimeter grosses Loch freigeschaufelt und ich kann meinen Arm rausstrecken. Draussen regnet es und die Luft, die reinströmt ist kühl. Jedoch bringt es ein bisschen Sauerstoff in die Höhle und hier drin ist die Luft sehr stickig geworden. Nach rund einer weiteren Stunde haben wir das Loch verdoppelt, doch dann brauchen wir eine Pause. Schwer atmend von der anstrengenden Arbeit setzen wir uns hin und trinken etwas. Auch das Wasser wird langsam knapp, immer weniger Vorräte sind in unseren Rucksäcken zu finden. Dabei ernähren wir uns schon seit drei Tagen nur von Riegeln und Wasser.
Nach einer Viertelstunde springt Felix plötzlich wie von einer Wespe gestochen auf und rennt zum Loch. „Hier sind wir, hallo!", schreit er lautstark raus in die Kälte. „Felix, uns hört sowieso niemand. Wer sollte denn hier sein bitteschön?", versuche ich ihn zu beruhigen. Doch dann höre ich es auch. Von draussen ertönen mehrere Stimmen. Nun schreien wir zu zweit nach draussen. Keine zwei Minuten später tauchen vier Gesichter auf. Sie gehören Marc, Erik, Mario und einer jungen Frau. Als sie uns entdecken eilen sie zu uns. Mario übernimmt sofort den Lead. „Was macht ihr denn hier drin? Ist was passiert?"
Völlig durcheinander stammeln Felix und ich das Erlebte runter, natürlich gleichzeitig und nicht nacheinander. Die anderen verstehen nur Bahnhof. „Ganz ruhig. Also ihr seid verschüttet worden, wenn ich das richtig verstanden habe.", fragt Mario ruhig. „Ja. Und wir müssen schleunigst raus hier. Wir haben kein Wasser und Hendrik und Milli...", stottere ich aufgelöst. „Was ist mit Hendrik und Milli?" „Sie... Hendrik wurde eingeklemmt. Wir haben ihn befreit aber er braucht einen Arzt. Und Milli ist total fertig, er hat kaum getrunken und gegessen die letzten Tage.", rufe ich nun fast. „Sarah braucht auch einen Arzt. Ihr Knie und ihre Hände sehen schlecht aus, sie ist abgestürzt...", redet Felix dazwischen. „Ja, aber das ist jetzt einige Tage her. Wichtig ist jetzt erst einmal Hendrik.", meine ich und stosse mich vom Loch weg.
Nuri schiebt sich an mir vorbei. Etwa fünf Minuten später sitze ich erneut bei Hendrik am Kopf, der Rest vergrössert das Loch. Nach gefühlten Stunden ist endlich ein Ausgang sichtbar, durch den man sich quetschen kann. Als erstes suchen Julian und Felix gemeinsam mit Milli das Weite. Roman und ich helfen Hendrik auf die Beine, der sich noch schwankend an uns abstützt. Besser gesagt wir tragen ihn mehr. Seine Beine zittern wie Espenlaub und er hat kaum Kraft sich an uns festzuhalten. Bevor er uns zusammenklappt setzen wir uns vor den Ausgang auf den dreckigen Boden und warten, bis sich sein Kreislauf etwas beruhigt hat.
Ich stopfe die Zelte und Rucksäcke durch die Öffnung, wo sie von Mario in Empfang genommen werden. Als erstes robbe ich durch das enge Loch. Dann kommt Hendrik unter starken Schmerzen nach, zum Schluss schiebt Roman noch von hinten an. Als letztes kommt noch Nuri durch das Loch hindurchgeschlüpft. Als alle draussen stehen dirigiert uns Mario auf den Boden und prüft den Zustand jedes Einzelnen. Hendrik hat seinen Kopf auf meinen Beinen abgelegt und die Augen schon wieder geschlossen. Ich spüre genau wie schlecht es ihm geht, wenn er weiterhin so auf Bewegung und Stress reagiert werden wir es nicht weit schaffen.
Beruhigend streiche ich ihm wieder und wieder über seine Stirn, ich habe bemerkt, dass das ihm guttut und ihn wirklich runterkommen lässt. Auch wenn es regnet, jetzt sind wir endlich draussen. Diese Nacht in der Höhle, das war die Qual. Und zwar so richtig. Erschöpft lehne ich meinen Kopf nach hinten, wo Roman sitzt. Er legt einen Arm um mich und etwa fünf Minuten sitzen wir einfach nur schweigend da. Auf einmal kommt die junge Frau auf mich zu. „Hi, ich bin Ann, schön dich kennenzulernen." „Hi, ich bin Sarah. Hab dich schon zu Beginn der Wanderung mit den Jungs gesehen." „Ja, Mario ist mein Verlobter. Aber jetzt sagt mal, weshalb habt ihr euch von der Gruppe getrennt?" Ich verziehe das Gesicht. „Naja, ich musste dringend auf Toilette. Leider war es aber zu diesem Zeitpunkt sehr neblig und man hat die Hand vor Augen nicht mehr gesehen. Auf dem Rückweg zur Gruppe bin ich dann abgerutscht und fast in die Tiefe gestürzt. Zum Glück konnte ich mich noch am Vorsprung halten und Jule und Roman haben mich dann gerettet. Leider hat der Reiseleiter nichts mitbekommen und ist weitergelaufen, im Nebel haben wir ihn nicht mehr gefunden. Die Gruppe um Felix weiss ich nicht, sie kamen uns aber gerade recht, deshalb habe ich nicht gefragt. Aber weshalb seid ihr los?"
Ann deutet auf Mario. „Er hat sich Sorgen um euch gemacht. Für Roman ist sowas gar nicht typisch, einfach abzuhauen ohne was zu sagen. Deshalb wollte er sich auf die Suche machen. Hat sich ja gelohnt." Ich nicke und greife Romans Hand, die wohl unbewusst auf meiner Schulter ruht. Mit meiner anderen Hand streiche ich Hendrik durch sein blondes, völlig durchnässtes Haar. Obwohl mein Knie schrecklich schmerzt lasse ich mir nichts anmerken und beisse die Zähne zusammen. „Wann geht's denn weiter?", frage ich vorsichtig. „Ich glaube heute nicht mehr meine Lieben. Wer von euch hat auch nur fünf Minuten die Augen geschlossen in dieser Nacht?" Alle bis auf Nuri und ich heben die Hand. „So, ihr zwei Hübschen. Schlafen, jetzt, sofort!", befiehlt Mario. Erschöpft schliesse ich die Augen. Ich spüre noch, wie Roman mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht streicht, dann gehorche ich Marios Befehl und falle ins Land der Träume.
----------------
Hallöchen! Ich bin's mal wieder mit einem etwas längeren Kapitel. Ich hoffe es gefällt euch und die Spannung bleibt noch immer erhalten. Bis bald.
T.
DU LIEST GERADE
47 degrees north (Roman Bürki FF)
FanfictionDie 19jährige Sarah hat auf ihrer Russlandreise nicht mit dem Team des BVB gerechnet. Gemeinsam startet eine mehrtägige Wanderung durch das Kaukasus-Gebirge in Russland. Dass sie auf ihrer Reise besondere Menschen kennen lernt, macht die ganze Situa...