Kapitel 17

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Am nächsten Morgen wache ich im Zelt auf. Wir haben den Abend gemütlich vor dem Feuer verbracht und sind relativ spät erst ins Bett gegangen. Nuri, Jule, Mario, Felix und Ann haben den Tag bereits geplant, während ich mich gemeinsam mit Roman und Marc um Erik, Milli und Hendrik gekümmert habe. Gegen elf Uhr sind schliesslich alle bereit zum Weitermarsch.

Ganze zwei Stunden laufen wir mit Unterbrechungen durch das Gebirge. Die Kälte frisst sich durch unsere Jacken und erfasst unsere Körper. Die Bewegung hält uns aber einigermassen warm. Plötzlich ruft jemand von weiter vorne um Hilfe. Roman begleitet Hendrik zu einem Stein und läuft schnell nach vorne. Ich humple auch zum Ort des Geschehens. Erik ist auf den Steinen ausgerutscht und hängt noch mit den Armen an den Steinen. Sofort zieht mein Erlebnis von vor sechs Tagen wie ein Film vor meinem inneren Auge vorbei. Wie starke Angst ich hatte. Vor Schock kann ich mich kaum rühren.

Julian und Roman fassen sich ein Seil und tun dasselbe wie bereits bei mir. Ich bemerke wie meine Knie weich wie Wackelpudding werden und setze mich auf den kalten Boden des felsigen Grundes. Stumm laufen mir die Tränen übers Gesicht. Wenn Erik das nicht überlebt werde ich nie wieder normal leben können. Ich werde immer daran denken müssen, dass ich es überlebt habe, er aber nicht. Wie in Watte gepackt bekomme ich das Gewusel um mich herum nicht mit. Erst als sich Milli zu mir auf den Boden setzt komme ich wieder in der Realität an. „Erik. Ich..... Erik!", rufe ich laut. Roman kommt zu mir und wischt mir die Tränen weg. Ich sehe dass er auch Tränen in den Augen hat. „Neiiiiiiin!", schreie ich laut.

„Shhhht Sarah, wir konnten ihn hochziehen.", meint Julian ruhig. Weinend liege ich einfach in den Armen der Spieler und hoffe, dass dieses Elend bald mal ein Ende haben wird. Dann reisse ich mich zusammen, putze meine Nase an einem Taschentuch und wische mir die Tränen weg. Erik steht zitternd vor mir. „Erik, ich weiss was du fühlst." Geistesgegenwärtig wirft er sich mir in die Arme. Etwa zehn Minuten stehen wir da, einfach schweigend und bangend. Dann muss es weitergehen.

Das ist das schreckliche daran, wir dürfen keine grossen Pausen einlegen. Er hatte gerade eine Nahtoderfahrung und kann sich nicht einmal in Ruhe von dem Schock erholen, weil schon der nächste droht. Gegen Ende des Tages können wir, mit Ausnahme von Nuri und Marc, alle nicht mehr. Wir sind alle mit den Nerven am Ende. Auch Felix, der normalerweise zäh wie Stahl ist, hat bereits die Hoffnung auf frühzeitige Rettung aufgegeben. Hendriks Wunde hat sich stark entzündet und er wird zusehends schwächer. Man sieht, dass er sich durchbeissen will. Aber er kann nicht mehr. Wir alle können nicht mehr. So schlagen wir unsere Zelte auf, in der Hoffnung, morgen im warmen Hotelzimmer aufzuwachen.

Mitten in der Nacht schrecke ich plötzlich hoch. Auch Nuri neben mir sitzt in seinem Schlafsack. „Hast du das auch gehört?" Hendrik tut rechts neben mir keinen Wank. „Nuri, hast du das auch gehört?" „Ja, das war ein Rotor." Ich nicke. Schnell schnappe ich mir meine Jacke und tapse barfuss nach draussen. Wie wild beginne ich mit der Jacke zu wedeln und herumzufuchteln. Doch der Pilot sieht nichts. Ich schreie so laut ich kann. Im Schein des Mondes kann man uns aber kaum sehen und wir sind windgeschützt hinter einem Felsvorsprung, sodass es im Zelt einigermassen warm werden kann. Neben mir flucht Nuri laut auf.

Nun kraxeln auch noch Marc, Mario, Ann und Felix aus den Zelten. „War jemand da?" Ich seufze nur laut. „Ja, ein Hubschrauber. Aber er hat uns nicht gesehen." „Haben die denn kein Nachtsichtgerät?", fragt Mario. „Keine Ahnung. Jemand von euch hat doch ein Handy, das noch funktioniert.", fragt Nuri in die Runde. Felix hält sein Smartphone hoch. „Ja, ich!" „Okay, das nächste Mal leuchtest du in Richtung Hubschrauber mit deiner Taschenlampe. Das werden sie dann hoffentlich sehen."

Felix nickt und ich wische mir den Dreck und den Schlamm von meinen Füssen und Waden. Dabei werden meine Hände rot- ich bin auf einen spitzen Stein getreten. Sofort kommt Marc zu mir und hilft mir, meine Beine abzuwaschen und verfrachtet mich danach in meinen Schlafsack.

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Herrje, Rettung verpasst, Chaos perfekt. Ob sie weiter ums Überleben kämpfen müssen oder ob der Hubschrauber doch umdreht? Ihr könnt rätseln und raten, im nächsten Teil kommt ihr der Lösung etwas mehr auf die Spur.

Bis bald.

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt