Kapitel 11

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Eine halbe Stunde ist vergangen und es sind noch knapp ein Dutzend Steine auf dem Haufen. Doch alle sind erschöpft und haben Angst, dass sich noch jemand verletzt. So sitzen wir jetzt alle an die Höhlenwand angelehnt und denken nach. Darüber, wie wir hier rauskommen oder wie wir überleben. Hier drin hat es kein Wasser, kein gar nichts. Wir können nicht mal um Hilfe rufen wenn ein Helikopter kommt und uns retten will. Den Eingang könnte man schon freimachen aber es ist zu anstrengend um es alles an einem Stück zu sechst zu tun.

„Was meint ihr, wenn wir erst einmal die Nacht abwarten und dann morgen weiterschauen? Wir können erst einmal Hendrik befreien und anschliessend versuchen ein Loch zu machen, sodass wir rauskriechen können. Was sagt ihr?", versucht Nuri einen Vorschlag. Alle stimmen zu, sonst hat niemand eine bessere Idee. „Also. Dann lasst uns die Schlafsäcke ausbreiten, Hendrik liegt wahrscheinlich etwas unbequem. Wir sollten schauen dass wir eine Matte oder etwas unter seinen Rücken legen, damit er diesen nicht auch noch kaputt hat." Felix nickt sofort und stellt seine Matte zur Verfügung, da sie etwas dicker ist. Schnell ist sie aufgepustet und gemeinsam heben wir Hendriks Oberkörper etwas an. Blitzschnell schiebt Felix die Matte darunter und ich breite einen Schlafsack über ihm aus.

„Ich glaube es ist besser wenn immer jemand wach bleibt. Man weiss nie was ist. Also ich bleib sonst als erstes wach.", meint Nuri. „Ich kann mit dir wach bleiben, zu zweit ist es besser.", sage ich sofort. Alle nicken und ziehen sich in ihre Schlafsäcke zurück. In der Höhle ist es kühl und so ziehen wir uns trotzdem schon unsere Schlafsäcke über, legen uns allerdings nicht hin sondern sitzen an die Wand.

Nuri starrt nachdenklich auf den Boden. „An was denkst du?" „An Meryem und Ömer, meine Kinder. Und an Tugba, meine Frau. Ich vermisse sie. Sie müssen sich schreckliche Sorgen machen, wir sollten ja in einigen Tagen von der Wanderung zurückkehren, die andere Gruppe hat uns bestimmt schon als vermisst gemeldet. Stattdessen sitzen wir hier in einer schrecklichen Höhle, in der es stockfinster und eiskalt ist. Milli ist mit den Kräften am Ende, du hast ein kaputtes Knie und Hendrik, dem geht's ganz übel. Wir müssen zusehen dass wir schleunigst Hilfe kriegen, ansonsten kommen wir hier draussen um." Verzweifelt krallt sich Nuri während seinem Geständnis in seinen Schlafsack. Ich streiche ihm beruhigend über den Rücken. „Nuri, alles wird gut. Wir müssen nur zusehen dass wir uns nicht noch mehr verletzen. Helfen können wir uns selbst, das ist keine Frage. Wenn wir morgen schon nur Hendrik aus diesem Steinhaufen bergen können sind wir schon einen riesengrossen Schritt voraus. Dann können wir nämlich den Eingang freischaufeln und so nach draussen gelangen." Nuri nickt und will gerade etwas sagen als jemand vor uns auf dem Boden laut aufstöhnt.

Sofort sind wir beide mucksmäuschenstill und lauschen. Nuri leuchtet mit der Taschenlampe die Gesichter ab. Roman, Felix, Jule und Milli schlafen eng aneinander gekuschelt und seelenruhig. Der Lichtkegel wandert weiter zu Hendrik. Dieser stöhnt erneut auf und bewegt jetzt die Hände. Ich stürze mich sofort zu ihm hin. „Hendrik, alles gut. Ruhig atmen, alles ist in Ordnung.", sage ich beruhigend und streiche über seine Stirn. Nuri eilt mit der Apotheke in unsere Richtung. „Hendrik, kannst du mich hören?", frage ich laut, als der blonde Torwart meine Aussagen nicht bestätigt hat. „Ja.", bringt er mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor. Zischend atmet er ein, er hat richtig starke Schmerzen.

„Hendrik, wo tut's weh?", höre ich Nuri hinter mir fragen. Hendrik deutet auf sein linkes Bein, das im Steinhaufen feststeckt. „Nur dein Bein?" „Naja, der Kopf. Aber das Bein ist deutlich schlimmer.", antwortet er. „Also, wir bekommen dich wohl heute Nacht nicht frei. Die anderen schlafen schon.", meint Nuri. „Jetzt nicht mehr. Wir holen dich jetzt da raus Hendrik. Pass auf, Roman, Nuri, Milli, Felix und ich heben die Steine von diesem Haufen weg. Du bewegst dich in dieser Zeit keinen Millimeter. Sarah passt auf dich auf und wenn was ist dann meldest du dich, okay?", meint plötzlich Julian hinter uns. „Gerne, aber beeilt euch, lange halte ich diese Schmerzen nicht mehr durch. Ich spüre meinen Fuss nicht mehr."

Sofort machen sich die Jungs an die Arbeit, während ich Hendrik immer wieder über seine schweissnasse Stirn streiche und beruhigend auf ihn einrede. Die Augen hat er vor Erschöpfung längst wieder geschlossen. Desto weiter runter die Jungs kommen, desto mehr machen sich die Schmerzen bemerkbar. Beinahe bei jeder kleinsten Entlastung des Beins beisst Hendrik sich auf die Lippen oder atmet zischend die Luft ein. Als nur noch wenige Steine draufliegen geht alles ganz schnell. Roman kommt zu mir und fasst seinen Kumpel unter den Armen. Die anderen Jungs schmeissen die letzten Steine weg und sofort wird Hendrik rausgezogen, damit er nicht erneut verschüttet werden kann. Mittlerweile schreit er vor Schmerzen.

Als Roman ihn wieder abgelegt hat knie ich mich wieder neben ihn. „Ganz ruhig atmen, wir haben dich rausgeholt. Jetzt wird alles gut, hörst du?" Hendrik nickt nur apathisch, er scheint mich nur am Rande mitzubekommen. Ich rutsche ein Stück weiter runter um mich gemeinsam mit Nuri um sein Bein zu kümmern. Vorsichtig schneidet dieser die Hose auf. Darunter kommt eine tiefe Wunde zum Vorschein. Kein schöner Anblick, jedoch habe ich das schon einmal gesehen und kann mit sowas gut umgehen.

Für Milli ist es aber zu viel auf einmal, er kippt nach hinten um, wo ihn Roman noch geradeso festhalten kann, damit er nicht auf den Boden knallt. Hendrik schreit erneut auf vor Schmerzen als Nuri und ich die Wunde abdecken und verbinden. Behutsam zieht Felix ihm den Schuh aus, den Fuss kann er noch immer nicht spüren. Als ich sichergestellt habe, dass Nuri und Felix für einen Moment alleine zurechtkommen, laufe ich rüber zu Milli, dessen Kopf sich mittlerweile in Romans Schoss befindet. Sanft klopfe ich ihm auf die Wange. „Milli, aufwachen. Mach hier bitte nicht schlapp, ja?" Schwach blinzelt Milli in den Schimmer der Taschenlampe. „Alles gut, du bist noch bei uns. Du bist vorhin umgekippt. Los trink was.", fordere ich ihn auf. Jetzt haben wir doch noch einen Patienten mehr. Roman hilft ihm, sich aufzusetzen und ich setze ihm die Flasche an die Lippen. Wider Erwarten trinkt er gierig daraus und die kühle Flüssigkeit scheint ihm gutzutun. Als ich die Flasche wieder runternehme sehe ich im Schein der Taschenlampe, dass er leichenblass ist. Ich nehme seine Hand um den Puls zu tasten und fühle, dass er eiskalt ist und am ganzen Körper zittert. Die Schweisstropfen stehen ihm auf der Stirn und seine Augen sind geweitet vor Angst und Schrecken. Unter Anleitung von Roman legt er sich wieder hin und ich geselle mich zurück zu den anderen.

„Alles gut bei euch?" Nuri nickt, wendet dabei aber seinen konzentrierten Blick nicht eine Sekunde von Hendrik ab. „Ja. Ich wäre aber froh wenn du versuchen könntest, ihn wach zu halten. Im Moment ist das sehr wichtig." Nickend wende ich mich dem blonden Torwart zu. „Hendrik, hörst du mich?", frage ich vorsichtig und nehme seinen Kopf in meine Hände. „Hendrik wenn du mich hörst mach bitte kurz die Augen auf. Nur ein kleines Blinzeln." Man sieht dass er sich anstrengt, doch seine Augen schliessen sich nach wenigen Sekunden wieder. „Kein Problem, alles ist gut. Hendrik, ich gebe dir jetzt meine Hand. Ich wäre froh wenn du sie drücken könntest, falls du irgendeine Veränderung wahrnimmst oder dir komisch wird, okay?" Ich verschränke meine Hand mit seiner und er drückt sie kurz zur Bestätigung. Dann setze ich mich einfach neben ihn und schaue ihn an. Alle ausser Nuri, der noch immer an Hendriks Bein sitzt, Roman, der Millis Kopf auf dem Schoss hat, und mir, liegen alle wieder in ihre Schlafsäcke. Fünf Minuten später ist wieder Ruhe in der Höhle.

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So, das ist das längste Kapitel, das ich bis jetzt hochgeladen habe! Es umfasst genau 1294 Wörter und hoffentlich jede Menge Spannung. Ich kann's kaum glauben, noch gestern habe ich mich über 130 Reads gefreut und heute sind es schon fast 170! Ihr seid unglaublich! Ich freue mich echt riesig, dass ihr meine Geschichte lest, besonders bei einer aktiven Leserin bedanke ich mich sehr. Und diejenige Leserin weiss genau, dass ich sie meine!!!

Einen wunderschönen Herbstabend euch! Und bis bald, bleibt am Ball!

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt