Kapitel 54

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Keine zehn Minuten später steht sie neben mir, noch in Jogginghose und Pulli. Schliesslich hatte sie heute den ganzen Tag Dienst und war bis kurz vorher zuhause. Jay kommt eilig zur Tür herein und umarmt mich. „Es wird alles gut, ja? Pass auf, wir schauen jetzt dass sich erst einmal alle beruhigen und dann gehen wir zu Milli, okay?", fragt meine Arbeitskollegin mich. Jay läuft mir voraus an den Empfang, wo uns die freundliche Dame erklärt, dass wir wohl noch drei bis vier Stunden Geduld haben müssen. Eine freundliche Schwester zeigt uns einen Raum mit gemütlichen Sesseln, auf denen man bequem warten kann.

Seufzend setzt sich Roman rein und lehnt sich zurück. Ich hole aus meiner Handtasche ein Taschentuch raus und tupfe ihm die Schweisstropfen von der Stirn. Er hat stark geschwitzt, ich vermute mal er hat Angst und fühlt sich gestresst, sein Herz reagiert noch empfindlich auf Angst. Ich setze mich neben ihn auf den breiten Sessel und lege meinen Kopf an seine Seite. „Alles wird gut, Milli kommt durch.", versuche ich ihn zu beruhigen. Jay sitzt vis-à-vis von Nuri auf einem separaten Sessel und scharrt mit den Füssen nervös auf dem Boden.

Zwei Stunden später, um 1 Uhr, fallen mir die Augen zu und Roman deckt mich erst mit seiner Jacke zu und schliesst mich dann in seine Arme.

Romans Sicht:

Obwohl mir nicht sehr wohl ist setze ich mich hin und versuche mich zu beruhigen. Sarah setzt sich neben mich und legt ihren Kopf an meine Seite. Einige Zeit später ist sie eingeschlafen. Ich decke sie erst zu und ziehe sie dann eng an mich. Jay und Nuri schlafen auch in ihren Sesseln, ich lege meinen Kopf auf Sarahs ab und schliesse ebenfalls meine Augen.

Um drei Uhr kommt eine Schwester vorbei und fasst mich vorsichtig an den Schultern. „Herr Bürki, ihr Mannschaftskollege wäre wieder zurück auf der Intensiv. Sie könnten zu ihm.", meint sie freundlich. Ich nicke nur und lege meinen Kopf wieder ab, falle dann in einen traumlosen Schlaf. Morgens um 5 wache ich erneut auf. Sarah räkelt sich in meinen Armen, der Sessel ist nicht sehr bequem um eine ganze Nacht darin zu verbringen. Doch wir alle wollen in Millis Nähe sein. Nuri schläft noch immer, bloss Jay ist weg. Ich denke die ist schon nach Hause oder so.

Vorsichtig wecke ich Sarah und Nuri, um dann mit ihnen zu Milli zu gehen. Zu dritt laufen wir dann langsam in Richtung Intensivstation. Ich weiss noch nicht, wie wir so im Pokalkracher gegen Schalke spielen sollen. Ich meine, Milli kämpft um sein Leben, ich bin mit meinen Gedanken ständig abwesend und wir haben gerade Ende des Jahres. Anfangs Dezember.

Vor dem Zimmer halte ich kurz inne und deute den anderen an, still zu sein. Drinnen sitzt Jay an Millis Bett und hält seine Hand. Leise spricht sie mit ihm, aber sie streichelt über seinen Handrücken und scheint ihm etwas mitteilen zu wollen. Vorsichtig klopfe ich an und wir treten ein. Sarah geht sofort zu Jay und legt einen Arm um ihre Schulter. Mit der anderen Hand nimmt sie Millis Hand, dessen Finger Jay losgelassen hat.

„Es ist alles gut verlaufen, sie konnten die Blutung stoppen. Er darf sich keinesfalls anstrengen, die künstliche Beatmung braucht er, damit sein gesamter Organismus sich vollständig erholen kann. Somit ist er leider auch nicht ansprechbar bis sich seine Werte verbessert haben.", tröstet Jay mich etwas, doch ich bin mit meinen Gedanken ganz woanders. Wie fühlt es sich an, wenn man im künstlichen Koma ist? Und kann er uns hören? Jay scheint Gedanken lesen zu können. „Wenn ihr mit ihm sprecht kann er euch vielleicht hören.", meint sie nach einer kurzen Schweigeminute.

Ich beginne ihm vom Spiel gestern zu erzählen, doch in der Mitte bricht meine Stimme einfach ab. Meine Hände zittern und ich merke, wie mir Tränen in die Augen treten. Hektisch verlasse ich den Raum und stürme im Pullover raus in den Park. Dort atme ich dreimal tief durch und stütze mich auf meinen Knien ab. Das ist alles zu viel für mich, ihn so hilflos zu sehen. Ich bin eigentlich keine Heulsuse, doch das nimmt mich schon etwas mehr mit als ich zugebe. Ich atme in die kalte Luft und sehe, wie mein Luftzug in der Winterluft dampft. Es ist klirrend kalt, doch in diesem Moment fühle ich nichts ausser meiner Angst. Die Angst einen guten Freund zu verlieren.

Sarahs Sicht:

Roman stürmt einfach aus dem Raum raus in Richtung Ausgang. Natürlich habe ich seine zitternden Hände gesehen, und die Tränen, die er nur mit Mühe zurückhalten konnte. Schnell nicke ich Jay zu und renne dann hinterher, man weiss nie was er alles anstellen könnte. Am Ende tut er sich noch was an. Schnell hetze ich durch die Gänge des Krankenhauses und verliere ihn aus den Augen.

Eine Viertelstunde später führt mich mein Weg schliesslich nach draussen in den Park. Unter einem Baum sitzt Roman. Er hat seinen Kopf auf die Knie gestützt und wird von Schluchzern durchschüttelt. Ausserdem ist er nur im Pullover, bei Minusgraden im Dezember. Sofort gehe ich hin und setze mich vorsichtig neben ihn. Er fühlt meine Nähe und lässt sich auf meine Seite fallen, damit ich einen Arm um ihn legen kann. „Roman, was magst du mir erzählen? Darüber sprechen hilft.", meine ich leise und streiche ihm sanft mit der Hand über den Rücken. Doch er schweigt und weint leise weiter.

Ganze fünf Minuten kann ich ihn nicht beruhigen. Dann stehe ich auf und greife seine Hand. „Komm rein, bevor du noch erfrierst.", meine ich und helfe ihm auf die Beine. Langsam gehen wir rein, ich klammere mich an seine Hand in der Angst, er könnte noch einmal weglaufen. Im Flur sind kaum Leute, ich ziehe Roman zügig am Tresen vorbei. Alle Leute gucken komisch, ich beachte sie gar nicht. Das ist etwas, was ich in den Monaten mit Roman gelernt habe. Nicht hinschauen ist das Einzige, was man gegen nervtötende Fans oder Paparazzi machen kann.

Eilig laufe ich in Richtung Intensivstation, wo Jay mich schon erwartet. Als sie den zitternden Roman sieht läuft sie zum Schrank und holt eine Decke raus. „So, du setzt dich jetzt brav hier hin, ich kümmere mich um Milli und Sarah schaut nach dir, okay?", fragt sie ihn vorsichtig. Er nickt brav und setzt sich auf den Stuhl im Vorraum der Intensivstation. Ich laufe zur Küche und mache meinem Freund einen dampfenden Tee. Wenn nur Milli aufwachen würde, wären so viele Probleme gelöst.


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Good Afternoon People!

Wieder einmal ein Kapitel von mir. Ich dachte mir, an einem Donnerstagnachmittag kann das nicht schade. In nächster Zeit werden dann die Kapitel wieder überwiegend an den Abenden kommen. Ich muss ab nächster Woche wieder arbeiten und habe nur noch manchmal unter der Woche frei.

Was denkt ihr eigentlich bis jetzt so über die Story? Auch Kritik erwünscht!

Hab euch lieb!

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt