Kapitel 19

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Den ganzen Abend lang sitzen wir auf einem Stein am Lagerfeuer. Die Stimmung ist sehr bedrückt, alle schauen betreten in die Flammen. Drei Personen fehlen am Feuer. Nuri und Marc sind bei Hendrik im Zelt. Gegenüber von mir sitzt Ann gedankenversunken in den Armen von Mario. Felix starrt ins flammende Feuer. Plötzlich beginnt Erik zu plappern. Niemand weiss weshalb, er erzählt Geschichten und Witze, bis alle lächeln müssen. Selbst bei mir schleicht sich ein Lächeln übers Gesicht. Erik grinst mich an, sein Gespräch hat voll ins Schwarze getroffen. Jedoch bringe ich kein Wort raus, der Schrecken sitzt noch zu tief.

Der nächste Tag wird bereits am Morgen vom Nebel betrübt. Hendriks Zustand hat sich wenig verbessert, allerdings müssen wir unbedingt weiter. In der Hoffnung heute ans Ziel zu kommen packen wir alle Dinge. „So, sorry Hendrik aber wir müssen dir jetzt die Decke unter dem Arsch wegreissen.", meint Nuri besorgt. Mühsam öffnet er die Augen und steht mit der Hilfe von Roman und mir auf. Seine Beine zittern und ich kann mir kaum vorstellen, dass er in diesem Zustand lange laufen soll. „Können wir?", meint Mario, der mit Sack und Pack bereitsteht. Ann hält seine Hand und guckt wenig begeistert. Nuri stellt sich vor uns hin und prüft Hendriks Puls. Erik steht ebenfalls auf der Matte. Kurze Zeit später laufen wir los. Es geht zwar sehr langsam voran, Hendrik kann nur kleine Schrittchen machen. Sein Bein ist noch immer entzündet und er hat mittlerweile wohl hohes Fieber. Wir lösen uns beim Stützen gegenseitig ab, denn ich kann selber nur mit Mühe laufen. Die ganze Zeit beisse ich auf die Zähne, doch Roman bemerkt alles. .

Nach einer Stunde machen wir wieder eine Pause. Erik humpelt an einen Stein und setzt sich hin. Sofort eile ich hin. „Alles gut?" „Ja, alles gut. Bloss mein Fuss. Aber sonst alles in Ordnung.", meint er und lächelt gezwungen. Zwei starke Arme schlingen sich von hinten um meine Taille. Sofort breitet sich ein warmes Gefühl in meiner Magengegend aus.

„Na?", ertönt eine weiche, tiefe Stimme hinter mir. „Roman. Na?" Vor mir grinst Erik nur schelmisch. „Was denn Erik?", frage ich lachend. „Naja, ihr zwei... das wird immer besser." Fragend schaue ich Roman an. Der zwinkert mir zu. „Was soll denn sein mit uns beiden?" Erik lacht laut los. „Ihr wisst das genau. Da läuft doch was." „Woher soll ich denn das wissen?", frage ich schulterzuckend. „Naja, vielleicht weil du per Zufall direkt an diesem was auch immer das ist, beteiligt bist?!" Roman lächelt die ganze Zeit vor sich hin.

„Lasst uns weitergehen. Oder zumindest etwas tun. Ich kann nicht tatenlos rumsitzen und Löcher in die Luft starren.", ertönt es plötzlich aus Felix' Richtung. Nuri wendet sich an unseren blonden Torwart. „Hendrik, meinst du, du kannst gehen?" Dieser zuckt nur mit den Schultern. Also stellen sich Mario und Nuri links und rechts von ihm hin und stützen ihm. Roman und ich bilden das Schlusslicht, vor uns läuft der ganze Rest.

Den ganzen Weg quatschen wir über dies und das. Ich erfahre viel über Romans kleinen Bruder, im Gegenzug erfährt er von meiner komplizierten Beziehung zu Mum und Dad. Und von meinem Cousin, der jetzt wohl stirbt vor Sorge. Romans Eltern scheinen total nett zu sein. Ich bemerke, dass unsere Hände sich zufällig streifen und dass wir immer näher zusammenrücken. Nach einer Weile greift Roman einfach meine Hand und verschränkt unsere Finger. Sofort beginnt es in meinem Bauch wie verrückt zu kribbeln. Als hätte ich 3400 Tausendfüssler im Magen, die gerade ihren Friedenstanz durchführen. Es klingt verrückt, aber genauso fühlt es sich an. Wie man hier sieht bin ich kein Meister im Gefühle beschreiben. Aber wenn man es nicht selber einmal erlebt hat, ist es wirklich schwer dieses Kribbeln nachzuvollziehen. Ich meine, alle waren mal verliebt. Doch die Jugendliebe ist nichts gegen dieses Gefühl, welches ich in diesen Sekunden verspüre. Ich befürchte ich habe mich verliebt. Das ist aber jetzt das letzte, was ich in dieser Situation brauchen kann. Denn Roman hat sicher eine Freundin, so wie er aussieht und bei seinem Bekanntheitsgrad. Da müssen sich die Mädchen nur so um ihn reissen.

Die Schmerzen in meinem Knie, welche vorhin für kurze Zeit vergessen waren, tauchen wieder auf, stärker als zuvor. Ich ziehe die Luft ruckartig ein und konzentriere mich auf etwas anderes. Plötzlich reisst mich Erik aus meinen Gedanken. Er hat sich zu uns gesellt und geht humpelnd neben uns her. „Alles gut mit deinem Fuss?", frage ich besorgt und deute auf seinen Knöchel, den er nicht belastet. „Ja, alles gut. Ich sollte nur nicht zu stark auftreten. Sonst..." Weiter kommt er nicht. Nuri beginnt lauthals zu schreien und dann ist es mucksmäuschenstill.


47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt