Aussprache

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Wie konnte es nur soweit kommen? Wie zwei Kleinkinder geben wir uns gegenseitig die Schuld an unserem zerrütteten Verhältnis. Da war gerade einfach zu viel auf einmal.

Ich hebe das heruntergefallene Bild auf und hänge es wieder an die Wand. Zum Glück ist der Rahmen nicht kaputt gegangen.

Ich will wissen von welchen Briefen er gesprochen hat. Deswegen rufe ich direkt meine Mutter an. Vielleicht sind die Briefe ja nie angekommen.

Den Smalltalk, den meine Mutter immer führen will bringe ich schnell hinter mich und dann frage ich endlich nach Matteos Briefen.

"Und bitte sei ehrlich Mama."

Ich will ihn nicht wieder unbegründet beschuldigen.

"Ja, es kamen regelmäßig Briefe. Wir wollten dich schützen, deshalb haben wir dir nichts davon erzählt."

Ich hätte in Kontakt mit Matteo bleiben können? Er wollte das sogar. Nur weil meine Eltern ihn nicht leiden konnten, haben sie mir das verheimlicht.

"Habt ihr sie geöffnet oder weggeschmissen?"

"Nein, sie liegen ungeöffnet in einer Schachtel, im Keller."

"Schick sie mir bitte. Alle."

"Ámbar, ich glaube nicht-"

"Bitte. Tu einmal das, was ich dir sage und nicht das, was du denkst, was das beste für mich sei. Ich will diese Briefe."

"Warum auf einmal? Woher weißt du überhaupt davon?"

"Das ist doch vollkommen egal. Schick mir einfach diese Briefe, ich brauche sie wirklich dringend." bitte ich meine Mutter wiederholt und ich höre sie am anderen Ende der Leitung seufzen.

"Ich schicke sie morgen früh los, du hast mein Wort." verspricht sie mir und das beruhigt mich doch etwas. Ich will wissen was er mir zu sagen hatte. Hätten die Briefe was geändert, oder wären wir genauso zusammengerauscht wie heute?

Vielleicht sollten wir nochmal miteinander reden, normal. Wie zwei Erwachsene. Mir tut es so leid um Lucia. Sie hat sich so sehr gefreut und dann spielt er sich auf wie ein feiges Arschloch. Jetzt, wo sie ihn kennt, da will sie einen Papa haben. Jemanden, der immer für sie da ist und ihr die Aufmerksamkeit schenkt, die sie noch braucht.

Manchmal glaube ich, ich habe als alleinerziehende Mutter nicht genug gemacht. Es fühlt sich an, als hätte ich versagt. Wer weiß, vielleicht hätten Matteo und ich das gemeinsam meistern können. Dann hätten wir Lucia gemeinsam großgezogen. Das sind ja leider nur alles Spekulationen, die weit entfernt sind von der Realität.

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"Könntet ihr bitte auf sie aufpassen, solange ich weg bin?" bitte ich Yamila, nachdem meine Tochter vom Chor wieder zurück ist. Lucia macht immer noch ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Sie hat das ganze mit Matteo noch nicht verdaut und ich mach mir deswegen auch ein schlechtes Gewissen. Jetzt spielt sie bei Ramiro und Yamila in der Wohnhng mit Marcel. Ich hoffe das lenkt sie ab.

"Na klar. Wo machst du hin?"

"Ich muss noch ein bisschen was klären, sonst kann ich heute Nacht nicht ruhig schlafen."

"Ich verstehe. Lucia kann gern bei uns bleiben. Den Ersatzschlüssel haben wir ja auch, falls irgendwas ist." reagiert Yam verständnisvoll und wiedermal bin ich froh, so jemanden wie sie und Ramiro zu haben.

"Okay, wenn sie fragt, dann sagt ihr, das ich nochmal einkaufen muss. Ich beeil mich auch."

"Mach dir keinen Stress, Lucia ist doch unkompliziert."

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